Ökonom Achim Truger über Wachstumszwang: „Das hat noch niemand versucht“
Wegen der grünen Transformation müsse sich Deutschland vom Wachstumszwang lösen, rät Achim Truger. Es braucht auch einen neuen Begriff von Wohlstand.
taz: Nachdem die Wirtschaft vergangenes Jahr um 0,3 Prozent leicht geschrumpft ist, wird sie ihren Schätzungen zufolge dieses Jahr um 0,2 Prozent leicht wachsen. Ist die Lage tatsächlich so schlimm, wie zuletzt behauptet?
Achim Truger: Wenn die Wirtschaft schrumpft oder stagniert, dann haben die Menschen weniger in der Tasche. Und es gab in Deutschland seit fünf Jahren de facto kein Reallohnwachstum mehr. Das heißt, dass sich die Menschen weniger leisten können als noch vor der Coronakrise. Gleichzeitig spart der Staat wegen schlechterer Finanzlage statt in die Zukunft zu investieren. Diese beiden Probleme hätten wir nicht, wenn es ein kräftiges Wachstum gäbe.
Achim Truger seit 2019 Mitglied bei den sogenannten Wirtschaftsweisen, einem Beratergremium der Bundesregierung. Der Ökonom lehrt und forscht an der Universität Duisburg-Essen
Deutschland ist ein reiches Land. Zuletzt hat die Ungleichheit aber noch weiter zugenommen. Sowohl den schwachen Konsum als auch die schlechte öffentliche Haushaltslage könnte man auch mit Umverteilung via höherer Löhne sowie Steuern angehen. Warum braucht es deswegen ein starkes Wirtschaftswachstum?
Weil es nicht so einfach ist, wie Sie sagen. Wenn es weniger zu verteilen gibt, verschärfen sich gerade in Abschwungphasen die Verteilungskonflikte. Statt mehr Verteilungsgerechtigkeit wird deswegen ein Abbau des Sozialstaates diskutiert. Die FDP-Spitze zum Beispiel stellt derzeit das Bürgergeld und die Rente mit 63 in Frage.
Es braucht also Wirtschaftswachstum für den Erhalt des sozialen Friedens?
Kurzfristig ist ein stärkeres Wirtschaftswachstum wichtig, um Verteilungskonflikte zu vermeiden. Langfristig sollte sich die Gesellschaft aber vom Wachstumsparadigma lösen und diskutieren, was Wohlstand für sie ist und wie dieser gerecht verteilt werden kann.
Müssen wir nicht eh im Zuge der ökologischen Transformation weg vom Imperativ des Wachstums?
Es hat in der Vergangenheit durchaus Fortschritte und eine gewisse Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch gegeben. Aber ob wir es in der kurzen Zeit, die uns noch bleibt, zur Klimaneutralität schaffen, wenn die Wirtschaft weiter wächst, steht in den Sternen. Denn dafür gibt es keine Blaupause. Das hat noch niemand versucht.
Sie sind also weniger optimistisch.
Selbst wenn wir wüssten, dass wir für das Erreichen der Klimaneutralität schrumpfen müssen, wissen wir nicht, wie das geht. Was die Gesellschaft bisher lediglich kann, ist krisenhaft zu schrumpfen. Das geht aber mit einer massiven Arbeitslosigkeit und anderen gefährlichen sozialen Konflikten einher. Deswegen sollte die Gesellschaft auch nicht darüber streiten, ob wir uns noch Wachstum erlauben können oder nicht, sondern über die richtigen Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität diskutieren. Wenn wir dieses Ziel sozial gerecht erreichen können, ist es nebensächlich, ob es dann noch ein Wachstum gibt.
Was wären die richtigen Maßnahmen?
Als erstes muss massiv in die Klimaneutralität investiert werden. Dafür ist eine Reform der Schuldenbremse notwendig. Auch die Länder und Kommunen müssen in der Lage sein, den Investitionsstau zu beheben. Auch die Menschen und Unternehmen müssen fit gemacht werden für die klimaneutrale Zukunft.
Einige Ökonom*innen setzen vor allem auf den CO2-Preis, um Emissionen teurer zu machen…
Der CO2-Preis alleine wird uns nicht in die klimaneutrale Zukunft führen. Stattdessen könnte es sogar sinnvoll sein, im Zuge der Transformation für bestimmte Güter Preisbremsen einzuführen.
Deutschland tritt auf der Stelle
Die sogenannten Wirtschaftsweisen haben ihre Prognose gesenkt. Im Herbst gingen die Berater*innen der Bundesregierung noch von einem Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent für dieses Jahr aus. In ihrem am Mittwoch veröffentlichten Frühjahresgutachten sind es nur noch 0,2 Prozent. 2025 wird die Wirtschaft demnach um 0,9 Prozent wachsen.
In der EU läuft es besser
Unterdessen geht die EU-Kommission in ihrer Frühjahrsprognose von einem Wachstum in der EU in diesem Jahr von 1,0 Prozent aus. Für 2025 schätzt sie ein Plus von 1,6 Prozent.
Inflation geht zurück
Eine gute Nachricht zum Schluss: Die Preise steigen nicht mehr so schnell. Die Wirtschaftsweisen gehen von einer Inflationsrate von 2,4 Prozent für 2024 und 2,1 Prozent für 2025 aus. Vergangenes Jahr lag die Inflation bei 5,9 Prozent. (spo)
Warum?
Ein steigender CO2-Preis kann die Inflation antreiben und zu sozialen Spannungen führen. Arme Haushalte werden sich nämlich keinen neuen, sparsameren Kühlschrank leisten können, um die steigenden Stromkosten durch einen geringeren Verbrauch zu kompensieren.
Die gestiegenen Strompreise waren in den vergangenen Monaten auch Thema in der Debatte um den Industriestrompreis. Kann man nicht in Kauf nehmen, dass gewisse, energieintensive Teile der Industrie aus Deutschland abwandern, statt diese langfristig zu subventionieren?
Klimapolitisch ist nichts gewonnen, wenn energieintensive Unternehmen abwandern und im Ausland weiterhin CO2-intensiv produzieren. Gleichzeitig hat die Debatte um Subventionen eine zweite Dimension: Es geht auch um Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft. Und die Wirtschaft wird auch in Zukunft einen gewissen Umfang an Stahlproduktion und chemischer Industrie brauchen. Hinsichtlich der gestiegenen geopolitischen Spannungen wäre es heikel, diese Branchen wegen zu hoher Energiepreise komplett ziehen zu lassen.
Aber das wird doch bestimmte Güter wieder teurer machen.
Deswegen muss klar gesagt werden, welche Industrien man in Zukunft im Inland braucht. Dann müssen diese Teile auch hier bleiben und hier dekarbonisiert werden.
Heißt das letztlich auch, dass sich viele Menschen in Zukunft weniger leisten werden können als früher?
Wenn dadurch die Wirtschaft etwas schrumpft, heißt es nicht, dass die Gesellschaft automatisch an Wohlstand verliert und es den Menschen wirklich schlechter geht.
Warum?
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist ein schlechter Indikator für Wohlbefinden. Wenn es steigt, geht es den Menschen auch nicht automatisch besser. Deswegen sollte es einen umfassenderen Begriff von Wohlstand geben. So dient ein großer Teil der Produktion auch der Produktion von Statussymbolen. Folglich wäre viel an Ressourcen gespart und Wohlstand geschaffen, wenn in einen guten und verlässlichen öffentlichen Nah- und Fernverkehr investiert wird, statt SUV mit 300 Sachen über Autobahnen brettern zu lassen.
Derzeit wird im Rahmen der Diskussion um die Viertagewoche viel über die Verkürzung von Arbeitszeit debattiert. Kann mehr Freizeit nicht auch mehr Wohlstand bedeuten?
Gerade Liberale sollten sich fragen, welche Präferenzen die Menschen haben. Wenn sie lieber weniger Arbeit statt höhere Löhne haben wollen, dann ist das ein legitimes Bedürfnis. Gleichzeitig gilt: Weniger bezahlte Arbeit ist nicht automatisch weniger Arbeit. Viele gesellschaftlich notwendige Aufgaben wie Ehrenämter, Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen werden außerhalb der bezahlten Arbeitszeit erledigt. Diese Arbeiten spiegeln sich nicht im BIP wider. Sie sind aber extrem wichtig für den gesellschaftlichen Wohlstand.
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