Wortschöpfungen aus dem Sprachkurs: Abc für Ukrainer*innen
Jagt man in Deutschland Pilze? Wann schneidet es draußen? Ein neuwortreiches Win-win-Abc aus dem Sprachkurs für Ukrainerinnen.
F ür einen professionellen Journalisten ist es Alltag, Buchstaben zu Wörtern und dann zu sinnvollen Sätzen und Texten zu komponieren – zur Aufklärung, zum Lernen, zur Unterhaltung. Sprache als Mittel für Zwecke. Da kam der Deutschkurs für Ukrainerinnen gerade recht. Sprachkompetenz mal direkt zweckeinsetzen.
Unser wöchentlicher kleiner Ukraine-Sprachtreff, initiiert von der Bürgerstiftung Lebensraum Aachen, hat keine Unterrichtsmaterialien, keine vorgegebenen Regeln. Es wird gequatscht, Thema egal; Hauptsache Mund auf und üben, Learning by Doing. Mit manchen meiner Ukrainerinnen (sehr vereinzelt mal ein Ukrainer) ist es mühsam, meist aber erstaunlich flüssig. Mal erzählt Galyna etwas, mal frage ich, dann will Svetlana etwas wissen oder eine der vielen Oksanas. Grammatik und Regeln sind Schwerpunkte in den Kursen der Sprachschulen, die alle seit zwei Jahren machen, für ihre Zertifikate. Und was soll ich sagen: Ich habe selbst verblüffend viel gelernt. Ein Win-win-Abc für alle.
A wie Aachen. Das ist unser Lernort, das kleine Büro der ukrainischen Community. Gut 3.000 Geflohene sind in Deutschlands Westzipfel, eine Handvoll kommt montags zum Sprachtreff, erzählen, fragen, beidseitig Neues lernen.
B wie bremsen. „Abends bremst das Licht“, sagt Maryna einmal. Gemeint war brennen. Andererseits naheliegend: Licht bremst die Dunkelheit aus.
C wie ch. Ganz schwieriger Klang. Aachen sprechen alle Sprachschülerinnen mit weichem ch aus, ähnlich China. Ein kehliges ch gelingt nur mühsam. Als ich sage, China spräche man in Bayern wie Kina, ist die Verwirrung komplett. Könne man doch auch Aaken sagen, meint eine. Dann ist man schon nah beim niederländischen Aken.
D wie der, die, das. Slawische Sprachen kennen keine Artikel; die sind in die Substantive integriert je nach Fall: Ukraine, Ukraina … Also lassen die Teilnehmerinnen sie auf Deutsch auch gerne weg. Da muss der Lehrer einschreiten, manchmal reicht auch ein ironisch-strenger Blick. Schon kommt: „O ja, ich gehe in die Stadt“, statt „Ich gehe in Stadt“.
E wie essen. Siehe I wie Ingredienzen und J wie Jägerschnitzel
F wie Fottlouch. Ist die Aachener Version von Arschloch, Fott halt der Hintern. Solche lokalen Feinheiten sollen die Damen auch lernen. Hören es, schreiben es auch auf, trauen sich aber nicht recht, das selbst zu benutzen.
G wie großschlank. Als wir einmal über dünn, schlank, dick reden, sagt kokett die etwas füllige Oksana: „Ich bin großschlank.“ Wie soll man auch auf das Wort vollschlank kommen?
G wie gute Gruppe. „Guten Tag Gruppe“, schreibt eine auf Whatsapp. Eine besondere und sehr charmante Anrede. Nachricht: Sie könne leider nicht. Philosophische Antwort einer anderen: „Ich werde heute sein.“
H wie Herr. Apropos Anrede. „Warum schreibt man in Brief Herr und Frau?“, fragt eine. „Muss es dann nicht Dame heißen?“ Tja, hmmm … Nicht schlecht! Ist wenig logisch, aber halt Usus, Gewohnheit. Und diskriminierend. Damenrechtlerinnen, nehmt euch des Themas mal an!
I wie Ingredienzen. „Fisch salz-sauer“, den Julyka so liebt, ist leider unüblich, sage ich. „Warum?“ Tja, immer muss ich unsere Sprache verteidigen, „es gibt nur die Kombination süß-sauer, sonst halt salzig oder sauer.“ Beim Thema Essen folgt dann ein Moment, der mich zunächst sprachlos macht:
J wie Jägerschnitzel. „Was ist ein Jägerschnitzel?“, fragt eine. Meine arglos neunmalkluge Antwort: „Ein Schnitzel mit Pilzen, oft mit Sahnesauce.“ – „Aber warum Jäger? Jagt man in Deutschland Pilze?“ Der Unfug war mir noch nie aufgefallen. Nun werden auch keine Jägersleut paniert, sondern es liegt angeblich daran, dass Pilze im Wald, also dem Revier der Jäger, wachsen. Siehe auch W wie Wildschweinschnitzel. Was eine Schnitzeljagd ist, muss ich demnächst mal ansprechen.
K wie Kommunikation. Es sei gut „zu kommunikatieren“, sagt eine mal. Ja, könnte sein. Heißt aber kommunizieren, sage ich.
L wie Learning by Doing. Siehe F wie Fehler.
M wie Murphy’s Law. Das übersetzt Irynas App mit „Gesetz der Gemeinheit“. Interessant, gar nicht so schlecht.
M wie Maarkstrickste. „Ich war Sonntag in Maarkstrickste.“ Bitte, Marx trickste? Kommt jetzt postsowjetische Kommunismuskritik? Nein, Iryna II wollte erzählen, dass sie in Maastricht war. Wir üben die Aussprache, mit richtiger Betonung hinten auf tricht. Schnell folgt die Frage: Was ist tricht? Trichter? Nein, der Name stammt vomlateinischen Mosae Traiectum („Maasübergang“) ab und geht auf die von den Römern errichtete Brücke zurück. Maastricht ist die älteste Stadt der Niederlande.
M wie Mädchen, das. Warum sagt man das Mädchen, fragt eine. Tja. Manchmal siegt halt das grammatikalische Geschlecht über das natürliche. Tut mir leid: Muss man halt wissen und lernen. Genauso wie andersherum Anastasiia oder Nataliia. Schreiben sich mit zwei i. Warum, frage jetzt ich, eines reicht doch. Ist so, höre ich, muss man halt wissen.
N wie Nordlicht. In der Nacht waren Polarlichter bis in unsere Gegend zu sehen. Ein Aufregerthema. Eine hatte als Kind ein paar Jahre weit im Osten Sibiriens gelebt („gleich Alaska daneben“) und schwärmt vom Polarlicht: „Ich habe Nordlicht-Charakter.“ Tolles Wort, sage ich. „Das ist doch google-gut, oder?“, antwortet sie.
O wie Oksana. So heißen offenbar alle Ukrainerinnen, die nicht Iryna heißen. Zeitweilig waren mal drei von sieben Teilnehmerinnen Oksanas.
P wie Pixibuch. Lesen in Pixibüchern gehörte auch mal dazu. Eine Kindergeschichte spielte am Meer, es ging um ein aufblasbares Krokodil und einen Hai. Großes Gekicher rundum. Wegen des Hais, des Krokodils? Und warum? Heißt auf Russisch Schwanz, kichert eine, im Sinne von … – Sie wissen schon. Richtig erklären wollte es keine. Kicher, giggel, lach. Na gut, Deutschkurse müssen auch Spaß machen, bitte sehr.
P wie Plural. Tja, zum Beispiel Bier. „Nach drei Bier bin ich betrunken.“ Warum nicht nach drei Bieren, sind doch mehrere? Zwei verschiedene Weine, aber zwei Sorten Wein. Gut, da steckt der Plural im Wort „Sorten“, aber … Können wahrscheinlich Germanistik-Drittsemester erklären, ich nicht. Ich möchte auch kein Deutsch lernen müssen. Apropos Getränke: Sekt heißt auf Ukrainisch Champagnskoye. Na, sage ich, wenn ihr in die EU wollt, müsst ihr einen neuen Namen suchen. Champagner gibt es gebietsgeschützt nur aus der Champagne, nicht ausder Ukrapagne.
Q wie: siehe X wie auch Y.
R wie relaxen. „Deutsche arbeiten viel und gern.“ Die Beobachtung von Oksana II ist mäßig überraschend. Zusatz: „Und sie relaxen so gut.“ Ach! „So viele Menschen in Cafés, so viel Pause.“
S wie schneiden. „Da, es schneidet“, sagte eine zwischendurch. Sie hatte nach draußen gezeigt. Schnee fiel.
S wie Sonne. Svetlana sagt, sie fände das deutsche Wort sonnenbaden so schön. Baden in der Sonne. Stimmt!
S wie sprechen. Oksana III lobt „das Gesproch“. Sie meint Gespräch. Hätte aber auch Gesproch heißen können. Pech gehabt. Und dank Gespräch wieder so ein teuflischer Umlaut, hier ä. Siehe auch U wie Umlaute.
T wie Tschüss und Tschö, wa. Umgangssprache (siehe auch F wie Fottlouch) soll zwischendurch immer mal dazugehören. Die Damen sollen ja nicht als Grammatik-Asse weitermachen, sondern sich im Alltag zurechtfinden. Also zum Beispiel die Grußbegriffe Tschüss und Tschö kennen und das Aachen-typische „Tschö, wa“. Klappt muhsam, dann immerhin mühsam. Eine halbe Stunde später sagt eine strahlend beim Herausgehen, als wäre sie gebürtige Aachenerin: „Bis nächste Woche. Tschö, wa!“
T wie Tischchen und Teppichchen. Solche Wörter bereiten besondere Mühe. Sag doch kleiner Tisch oder Teppich, schlage ich vor. Den Deutschlernenden kommt Aachen manchmal zugute, nicht weil man hier in rheinischer ch-sch-Verwirrung Tichschen sagen würde, nein: AachenerInnen sind maulfaul. Im Aachener Dialekt sagt man seit Ewigkeiten statt Mittwoch: Mi’woch. Reicht doch, versteht jedeR, warum der Zunge unnötige Purzelbäume zumuten. Der kurze Sprechhüpfer im Mi’woch ist übrigens die gleiche Glottisschlag genannte Pause, die man beim Gendern macht, etwa bei „Liebe Leser-innen“. Aachener-innen können sich somit, so sie diese Zusammenhänge kennen würden, als stolze Erfinder-innen des Genderns fühlen.
U wie Umlaute. Sind für Ostsprachensprechende die Hölle, wegen des ö. Wir üben die Holle bis zur Hölle. Klappt. Das „Tschö, wa“ hatte schließlich auch geklappt.
V wie verbessern. Gravierende Fehler verbessere ich kurz. Das finden alle gut. Hilft ja. Und, sage ich immer: Versucht’s! Macht falsch, was nur geht! Fehler, die ihr hier macht, passieren euch draußen nicht mehr oder zumindest seltener. Und ich ermuntere, sich gegenseitig zu korrigieren. „Ich glaube, Iryna“, fährt ihr Svetlana mal dazwischen, „du musst sagen: Wir gehen nach draußen, nicht zu draußen.“
W wie Wildschweinschnitzel. Damit der Jagdcharakter beim Jägerschnitzel (siehe J) berücksichtigt wird, kommt der Vorschlag, es müsse wenigstens ein Wildschweinschnitzel in der Pfanne liegen. Gute Idee, aber die Pilze würde das immer noch nicht erklären. Yulia macht den Vorschlag, dass wir alle mal gemeinsam Pilze jagen gehen, im nahen Wald. Gesagt, getan: Die Jagdausbeute geriet indes dürftig. Und so durfte ich mannigfaltige Lobpreisungen ukrainischer Wälder hören. Offenbar müssen sich Bäume dort mühen, Platz zum Wachsen zu finden inmitten all der Steinpilzteppiche, sage ich. „Was ist Steinpilzteppich?“
W wie Weißpilze. Unser Jagdausflug endete mit der Erkenntnis, dass Steinpilze auf Ukrainisch übersetzt Weißpilze heißen. Deutlich passender. Was soll auch ein Stein in diesem göttlich köstlichen Pilz? Iryna III zeigt ein Foto ihrer Tochter, mit einem Riesen-Weißpilz, mindestens ein Dreipfünder, gefunden bei Monschau. Pilztechnisch ist die Eifel offenbar die Ukraine Deutschlands.
X wie auch Y. Kamen nicht nennenswert vor.
Z wie zusammen lernen. Dieser Text geht nach Erscheinen auch an meine Ukrainerinnen. Mögen wir alle etwas lernen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen