Kulturzentrum Oyoun in Berlin-Neukölln: „Sie hoffen, dass wir aufgeben“

Dem Kulturzentrum Oyoun wurden nach Antisemitismus-Vorwürfen die Fördergelder gestrichen. Geschäftsführerin Louna Sbou sagt: zu Unrecht.

Das Bild zeigt das Oyoun-Gebäude in Neukölln

Nach dem Willen des Senats soll das Kulturzentrum Oyoun in Neukölln bis zum 15. April seine Sachen gepackt haben Foto: Klaus Martin Höfer/Imago

taz: Frau Sbou, das Oyoun hat die Senatskulturverwaltung verklagt, weil sie Ihnen die Zuwendungen gestrichen hat. Sie haben erst beim Verwaltungsgericht (VG) verloren, jetzt auch beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin. Was heißt das?

Louna Sbou: Verloren haben wir nicht, ganz im Gegenteil. Das OVG meint zwar, dass wir uns nicht ausreichend damit auseinandergesetzt hätten, dass es sich laut VG schon aus formalen Gründen nicht um eine Zusicherung für vier Jahre Förderung gehandelt habe. Aber das stimmt nicht, das VG hat genau gegenteilig entschieden.

Sie sagen, es gab eine Förderzusage für vier Jahre, die Kulturverwaltung bestreitet das und hat die Förderung zum Jahresende eingestellt. Sie haben als Beleg eine E-Mail vorgelegt.

Genau, wir haben eine E-Mail samt Anhang, der digital unterschrieben wurde, und wir haben sämtliche Gespräche und den E-Mail-Verkehr, die alle diese Zusicherung bestätigen. Das VG hat darum auch gute Gründe dafür gesehen, dass es eine Förderzusage für vier Jahre gibt. Trotzdem hat es uns in der Eilentscheidung leider keinen vorläufigen Rechtsschutz gewährt, damit wir die Förderung bis zum Entscheid in der Hauptsache weiter ausgezahlt bekommen. Darum machen wir nun eine Anhörungsrüge, notfalls legen wir Verfassungsbeschwerde ein.

Die37-Jährige ist eine der drei Mitgründerinnen des Oyoun und agiert seit 2020 als Geschäftsführerin und künstlerische Leiterin. Sbou ist studierte Wirtschafts­juristin, Kuratorin und Mentorin mit Schwerpunkt auf resiliente Teambegleitung, trans­nationale Solidarität und einem nichtwestlichen Ansatz für kollektives Schaffen.

Mit welchem Argument?

Es gibt ein internes Gutachten der Kulturverwaltung, das im Rahmen des Prozesses erstellt wurde. Daraus ergibt sich, dass es eine verbindliche Förderzusage bis Ende 2025 gibt – und dass es auch nach intensiver juristischer Untersuchung keinen haltbaren Grund gab, den Vertrag wegen „Antisemitismus“ oder ähnlichem zu widerrufen. Diese Akte hat die Kulturverwaltung dem VG erst nach Abschluss des Eilverfahrens vorgelegt – auch wir durften sie erst vor kurzem einsehen. Bis heute weigert sich die Kulturverwaltung, die vollständige Akte offenzulegen.

Was machen Sie nun damit?

Das Hauptverfahren läuft ja noch, wo endgültig entschieden wird. Mit diesem Gutachten der Verwaltung haben wir jetzt noch bessere Argumente zur Hand. Das Problem: Bis das VG entscheidet, kann es Jahre dauern. Darum hoffe ich sehr, dass es mit der Anhörungsrüge beim OVG klappt und wir bald wieder Gehälter für unsere Leute zahlen können.

Lassen Sie uns über die Ursache des Streits reden. Es ging um eine Veranstaltung der Jüdischen Stimme, ein paar Wochen nach dem Angriff der Hamas auf Israel. Die Kulturverwaltung wollte, dass Sie den Verein ausladen. Warum haben Sie das abgelehnt?

Der Streit zwischen dem Kulturzentrum Oyoun und der Kulturverwaltung begann 2022. Damals verlangte die Verwaltung erstmals die Absage einer Veranstaltung des Vereins Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost in den Räumen des Oyoun an der Neuköllner Lucy-Lameck-Straße. Der umstrittene Verein kritisiert die israelische Palästina-Politik scharf, Mitglieder sind teilweise BDS-Unterstützer*innen.

Als Oyoun sich weigerte, eine Veranstaltung der Jüdischen Stimme am 4. November 2023 abzusagen, drohten Verwaltung und Kultursenator Joe Chialo (CDU) mit dem Entzug der Finanzierung. Wochen später wollte Chialo von diesem Zusammenhang nichts mehr wissen, fortan hieß es, die Förderung sei ohnehin nur bis Ende 2023 bewilligt und laufe dann aus. Dagegen hat das Oyoun Klage eingereicht und einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Letzterer wurde zuerst vom VG, vorige Woche dann auch vom OVG abgelehnt.

Der Fall hat internationales Medien­interesse erregt, da hier erstmals staatliche Förderung wegen eines Antisemitismus-Streits eingestellt wurde. Die New York Times etwa spricht von Cancel Culture und einer „Bedrohung der deutschen Reputation als Hort künstlerischer Freiheit“.

Der Versuch, Fördergeldbewilligungen an eine Antisemitismus-Klausel zu knüpfen, wurde von Kultursenator Chialo wenige Wochen später zumindest vorerst zu den Akten gelegt – selbst seine eigene Verwaltung hatte die Klausel als nicht rechtssicher bezeichnet. (sum)

Wir haben uns 2019 mit einem Konzept beworben, in dem wir ganz klar gemacht haben, wofür wir stehen, was deutsche Erinnerungskultur für uns bedeutet, was Dekolonialität, was Antirassismusarbeit und was pluralistische Gesellschaft bedeuten. Und warum es so wichtig ist, dass intersektionale Perspektiven einen Raum bekommen, auch wenn es unbequem ist, im historischen Kontext vielleicht eine Wunde aufzukratzen – und dass das zum Heilungsprozess dazugehört. Für uns war es nie ein Thema, bestimmte Gruppen auszuladen oder sie mundtot zu machen. Für uns war ganz klar, dass es in einer liberalen Demokratie, wie es Deutschland sein soll, möglich sein muss, dass es Räume für Ansichten wie die der Jüdischen Stimme gibt.

Sagen Sie, der Senat muss sich grundsätzlich raushalten aus dem, was die von ihm finanzierten Häuser machen?

Ich denke, die Förderrichtlinien des Landes Berlin oder auch des Bundes bilden eine sinnvolle demokratische Grundlage. Grundsätzlich gehören Kunstfreiheit, Staatsferne, Transparenz zu den wichtigsten Fördergrundsätzen. Die Kunst- und Meinungsfreiheit der geförderten Häuser darf nicht eingeschränkt werden.

Wo hört für Sie denn Meinungsfreiheit auf?

Es kann auf jeden Fall nicht sein, dass Kunstfreiheit da aufhört, wo es für den Kultursenator politisch zu brisant wird, wie es Kulturstaatssekretärin Sarah Wedl-Wilson bei einem Treffen mit uns gesagt hat.

Das hat sie gesagt?

Ja. Das war bei einem internen Video-Call. Wir waren alle total perplex. Das Meeting wurde dann abrupt beendet.

Trotzdem: Fällt es für Sie unter die Kunst- oder Meinungsfreiheit, den Terror der Hamas zu verharmlosen?

Was heißt das zum Beispiel?

Etwa, wenn man wie Judith Butler sagt, die Hamas sei eine „legitime Befreiungsbewegung“, oder den Terror vom 7. Oktober „Gefängnisausbruch“ nennt wie die Jüdische Stimme.

Ich persönlich würde das nicht sagen. Aber es gibt Menschen und Gruppen, die das tun – und es gibt im internationalen Kontext auch wissenschaftliche Arbeiten, die solche Statements stützen. Wir hier bei Oyoun sind keine Expert*innen, können jedoch beobachten, dass der 7. Oktober international anders kontextualisiert wird als in Deutschland. Dieser Perspektive wollen wir Raum geben.

Richtig ist, dass die Nahost-Frage in Deutschland auch innerhalb der Linken umstritten ist. Warum ist das Oyoun kein Haus, in dem darüber konstruktiv gestritten werden kann?

Das kann man. Es gibt hier auch Veranstaltungen, wo das passiert ist, zum Beispiel von Amnesty International Deutschland, die sich ganz anders positionieren als Amnesty International im globalen Kontext. Die Bundeszentrale für politische Bildung war auch hier. Wir geben durchaus den Raum für Stimmen, die wir kritisch sehen oder mit denen wir weniger d'accord sind. Es gab auch Diskussionsrunden zu antideutschen Positionen, nicht zuletzt bei unserem Festival im Dezember 2023. Ich finde das Argument, dass Antideutsche den Staat Israel als eine Art Ersatznationalismus nutzen, sehr spannend. Wir haben auch im Team Menschen, die mehr dem antideutschen Spektrum zuzuordnen sind – und das ist okay. Wir können uns darauf einigen, dass Gewalt keine Lösung ist und es immer eine Möglichkeit gibt, dass wir aufeinander zugehen und in Dialog treten. Ich kann aber nicht nachvollziehen, warum zum Beispiel der Verein Jüdische Stimme in Deutschland boykottiert werden sollte.

Zurück zu Ihnen: Das Oyoun sitzt nun ohne Förderung da. Trotzdem arbeiten Sie weiter, am 24. März eröffnet das Projekt „Gadag: Fäden der Erinnerungen“. Wie haben Sie das denn gemacht, ohne Geld?

Das geht nur, weil wir jetzt unbezahlt arbeiten – weil wir diese Arbeit so wichtig finden, weiterarbeiten wollen und auch die Künst­le­r*in­nen nicht hängen lassen werden. „Gadag“ ist Teil unseres kuratorischen Schwerpunkts „Mightier than a Trampled Flower“. In diesem Rahmen hatten wir schon mehrere künstlerische Projekte, die die Rollen von Frauen und queeren Allianzen in Kriegs- und Konfliktzeiten erforschen und offenlegen.

Und das ganz ohne Geld?

Wir haben dafür Projektgelder von der Lotto-Stiftung – unabhängig von der Grundförderung der Senatsverwaltung für Kultur, die uns gestrichen wurde. Doch auch bei diesen Projekten erschwert die Verwaltung uns jetzt die Umsetzung: Ende Februar erst haben wir erfahren, dass wir „Gadag“ bis Ende April umsetzen müssen statt wie vorher vereinbart bis August. Und wir haben noch ein Projekt von der Kulturverwaltung, das bis 2026 läuft – auch das versuchen sie zu widerrufen.

Es gibt also die Grundförderung – darum läuft der Prozess – und es gibt Geld für Einzelprojekte?

Ja, die sind unabhängig von der Grundförderung. Wobei diese Einzelprojekte auch beweisen, dass es eine vierjährige Zusage für die Grundförderung gibt. Denn sonst wären die Projekte, die teils bis 2026 laufen, ja gar nicht bewilligt worden. Die Kulturverwaltung selbst hat uns für drei Projekte Gelder bewilligt, die mehrere Jahre laufen. Das widerspricht natürlich ihrer Behauptung, sie habe uns nur eine Grundförderung für ein Jahr gegeben, die Ende 2023 „regulär“ ausgelaufen sei. Und seit wir diesen Zusammenhang vor Gericht aufgedröselt haben, sabotieren sie nun auch die Projektförderungen. Jetzt wurden wir aufgefordert, das Haus zum 15. April zu räumen, obwohl das von ihnen bewilligte Projekt bis 30. April läuft und wir darüber hinaus auch Programm haben. Man könnte meinen, sie wollen ein Scheitern der Projekte erzwingen.

Warum?

Sie hoffen wohl, dass wir aufgeben. Aber das tun wir nicht, wir kämpfen bis zum Ende. Das sind wir nicht nur uns und den Communities schuldig, sondern auch allen anderen Kultur- und Kunstprojekten, die gerade den Atem anhalten und sich nicht trauen, was zu sagen, aber sehr solidarisch sind uns gegenüber. Es hätte ja bis vor kurzem niemand gedacht, dass die Politik so im Nacken von Kunst und Kultur hängt und so einen Druck ausübt. Ich finde das gefährlich.

Weil Kultureinrichtungen Angst um ihre Förderung haben müssen?

Es gibt einmal die Einschüchterung, die Kunst und Kulturschaffende erleben, und zugleich eine massive Ausgrenzung. Was zum Beispiel passiert ist nach der Berlinale mit Yuval Abraham

…dem israelischen Regisseur von „No other land“, der bei der Preisverleihung wie sein palästinensischer Kollegen Basel Adra Israel kritisierte…

…und dann in Israel nicht mehr sicher war aufgrund der Antisemitismusvorwürfe aus der deutschen Politik gegen ihn. So etwas darf nicht unbeachtet bleiben. Ich spüre gerade sehr viel Hass und sehr viel Angst. Kein Wunder, dass viele Linke, auch Jüd*innen, das Land verlassen.

Sie verstehen das?

Ja, klar. Deutschland ist nicht sicher für progressive, linke, jüdische Intellektuelle. Es ist nicht sicher für Menschen, die nicht der politischen Ideologie der Regierung folgen. Wenn Po­li­ti­ke­r*in­nen oder auch Medien unhinterfragt Schuldzuweisungen und Narrative von radikalen Akteuren wie Volker Beck (ehemaliger Grünen-Bundestagsabgeordneter und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft) aufgreifen und verbreiten, spielt es den Rechten, der AfD in die Hände. Auch wir im Oyoun bekommen unglaublich viele Hassnachrichten, es kommen immer wieder aggressive Leute hier rein – übrigens besonders oft, wenn gerade wieder ein Hetzartikel über uns im Tagesspiegel erschienen ist. Darum schließen wir jetzt immer ab und haben auch Security. Eine Mitarbeiterin, die bedroht wurde, ist schon aus Angst ins Ausland gegangen.

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