piwik no script img

Die VerständnisfrageSind lange Nägel nicht unpraktisch?

Wie kommen Frauen mit langen Nägeln im Alltag klar, fragt ein Leser. Eine Nail Artist, die selbst gerne lange Nägel trägt, antwortet.

Die Nägel sind das verbindende Medium Foto: Pond5/imago

In der Verständnisfrage geht es jede Woche um eine Gruppe, für deren Verhalten der Fragesteller_in das Verständnis fehlt. Wir suchen eine Person, die antwortet.

Ralf Rüggeberg, 60, IT-Spezialist aus Bischofsheim, fragt:

Wie kommen Frauen mit langen Nägeln im Alltag zurecht?

Charissa Chioccarelli, 33, Nail Artist aus Berlin, antwortet.

Die Frage wird mir immer wieder gestellt, meist von Männern oder älteren Frauen. Ich betreibe ein Nagelstudio und trage selbst gerne lange Nägel. Oft schwingt in der Frage ein abwertender Unterton mit. Lange Nägel haben für viele außerhalb der Szene ein trashiges Image. Dabei ist Nail Art eine total unterbewertete Kunst- und Ausdrucksform, immerhin werden da auf winziger Fläche aufwendige Kunstwerke erschaffen.

Münzen aufzuheben ist das Einzige, was mir im Alltag manchmal schwerfällt. Sonst habe ich absolut keine Probleme. Eine Antwort auf unangenehme Fragen umgehe ich und mache mir einen Witz daraus. Wenn jemand fragt, wie ich mit meinen Nägeln den Haushalt schmeiße, sage ich: „Ach, dafür bezahle ich jemanden.“ Und versuche, darüber hinwegzulachen.

Es ärgert mich, wenn die Nägel im Widerspruch zu meinem Muttersein gesehen werden. Eine Frau sagte mir neulich: „Deine Nägel sind ja toll, aber ich habe ein Kind, deshalb könnte ich das nicht.“ Als ich antwortete, dass ich auch Mutter bin, war sie überrascht. Warum sollte sich das ausschließen?

Das Image von langen Nägeln hängt mit vielen Faktoren zusammen. Zum einen liegt der Ursprung der Nail Art, wie wir sie kennen, in der Black und Latinx Community in den USA. Lange gab es rassistische Konnotierungen, Nails wurden als „ghetto“ und „trashy“ betrachtet. Sie waren Teil einer Subkultur.

Kritik an Nail Art ist oft misogyn und rassistisch

Wie so oft wurden auch lange Nägel erst dann aufgewertet, als weiße Menschen begannen, sich dafür zu interessieren. Das ist total problematisch. Als weiße Beitreiberin eines Nail-Art-Studios ist es mir wichtig, immer den Credit zu geben und mit Kun­d*in­nen über die Wurzeln von Styles­ zu sprechen.

Auch misogyne Bilder spielen eine Rolle, weil einfach alles, was traditionell für Weiblichkeit steht, gesellschaftlich abgewertet wird. Ich sehe das intersektional, die Nägel stehen an einigen Schnittstellen. Auch für viele queere und trans Menschen haben sie eine besondere Bedeutung.

Das Schöne ist, dass die Nails uns verbinden. Oft komme ich in der U-Bahn ins Gespräch mit Menschen, die mir Komplimente für meine Nägel machen. Bei uns im Studio wollte ich einen Space schaffen, der über die Nägel hinausgeht. Die Nägel sind das verbindende Medium – sowohl für uns Nail Artists als auch für die Kund*innen.

Wie manche sich ein Bild in ihrer Wohnung aufhängen, trage ich Kunst auf meinen Nägeln. Ich schaue sie ständig an und freue mich. Heute trage ich schlichte weiße Nägel mit süßen roten Kirschen. Und es geht für mich darum, das Image zu reclaimen: Ja, ich bin weiblich, ja, ich trage gerne lange Nails. Gleichzeitig bin ich Mutter und Geschäftsfrau. Das schließt sich alles nicht aus.

Häh? Haben Sie manchmal auch diese Momente, wo Sie sich fragen: Warum sind andere Leute so? Wir helfen bei der Antwort. Wenn Sie eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, dann schicken Sie Ihre Frage an verstaendnis@taz.de.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • Das macht schon Sinn, warum Krankenhauspersonal kurze Nägel tragen muss. Denn lange sind einfach unhygienisch, weil sich darunter ständig Bakterien sammeln.

  • Die Nägel darf man sich aber nicht von unten angucken. Hygiene ist bei den meisten Langnagelträgern nicht wirklich gegeben.

  • echte Nägel



    wie die Falschen "funktionieren", weiß ich nicht, aber echte Nägel sind das beste Werkzeug: Pinzette, Schraubenzieher, Pfannenwender, Nasenbohrer, Kräuterknipser, ... trage meine Nägel seit der Kindheit lange, das einzige Problem hatte ich mit meiner Gitarre, aber gut, das ist vorbei. Ich habe drei Kinder und zwo Gärten und den Haushalt. Genau die viele Arbeit sorgt dafür, dass die Nägel stark, aber geschmeidig werden. Sie sollten möglichst nicht geschnitten werden, am besten mit der Glasfeile kürzen. Und ja, alle paar Monate kann einer der Nägel einreißen und das nervt, denn dann müssen alle zehn Nägel gekürzt werden, da sonst die Feinkoordination der Hände nicht funktioniert und die Fingerkuppen überempfindlich sind. Lange Nägel sind superpraktisch, probieren macht klug.

  • Als Mensch mit kurzen Nägeln hätte mich mehr interessiert, wie das so klappt mit Hygiene, Blumenumtopfen, Babywickeln, Nasepopeln, Handschuhetragen, Klavier(gitarreflötegeige...)spielen, Haarewaschen, Streicheln usw.

    Und wie gut halten die geklebten? Bei den Frauen in meiner Umgebung, die damit Erfahrung haben, würd ich sagen: so lala, danach sind die eigenen Nägel kaputter als meine eigenen brüchigen...

    Und dass eine Nailartist eventuell das ganze professionell trägt, kommt dann schon noch dazu. Wenn ich meinen Friseur nach dem Stylingaufwand der Haare frage, krieg ich anderes zu hören als bei meiner Nachbarin...

    Abgesehen davon:



    Ist das so Schwarze u/o Latinx Kunst wie behauptet? Haben nicht seit jeher Menschen an der Länge der Nägel gezeigt, dass sie nicht mit den Händen arbeiten müssen? Unabhängig von der Kultur. Wat is mit all den weißen Diven, Künstlerinnen, Sängerinnen,Schauspielerinnen der letzten 200 Jahre?



    (Auch heute noch ist mindestens in nordafrikanisch-arabischen Ländern mit langem kleinen Nagel bei Männern üblich als Zeichen der Distinktion.

  • Eigentlich ein guter Versuch, allerdings wäre ein kurze Frage-Antwort-"Spiel" zielführender gewesen.



    Ich halte das für eine Modeerscheinung, die sich hoffentlich irgendwann von selbst erledigt, bevor irgendeine Anwaltskanzlei versucht, Arbeitsgerichte damit zu beschäftigen, weil ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer wegen extremer Unterperformanz gekündigt hat, weil durch lange Nägel z.B. die Tastatur vom Computer oder der Kasse nicht schnell genug bedient werden.



    Eine Freundin von mir trägt solche Nägel ausschließlich in der Freizeit, und selbst da nicht dauerhaft.



    Beruflich arbeitet sie mit Akten und viel am Computer, und in der Freizeit wird auch viel am Computer gespielt, da sind die Nägel offensichtlich auch nicht gerade hilfreich, zumindest wenn man Haltungsschäden vermeiden will.



    Ich selber arbeite im Bereich der Informatik, neben vielen Eingaben, schreibe ich auch regelmäßig umfangreiche Dokumentationen, bzw. aktualisiere bestehende. Bisher habe ich nur eine Auszubildende mal erlebt, die versucht hat, mit dergleichen Nägeln, in unserem Fachbereich klarzukommen. Nach 4 Wochen kam sie nicht mehr mit den Nägeln ins Büro und hatte folglich auch sichtlich keine Schmerzen mehr in den Händen am Ende des Arbeitstages.

  • Was für ein Geschwafel! Eine schlichte Antwort wie die Frau ihr Baby wickelt oder es kitzelt, ohne es zu zerkratzen, kam nicht. Stattdessen wurde über Rassismus in diesem Zusammenhang fabuliert.

  • Und der Toilettengang? Wie der Prinz von Zamunda, mit dem königlichen Arschabwischer.

  • Intersektionale Nail-Art, man lernt nie aus.

    Was sagt Judith Butler zu langen Nägeln?

  • Mir (Frau, Ende 40) ist allerdings ebenfalls nicht klar, wie man mit solchen Nägeln seinen Haushalt macht oder im Garten arbeitet. Mal abgesehen davon, dass ich es auch nicht ästhetisch ansprechend finde. Eventuell kann ich mit den Nägeln noch am Computer schreiben, aber Gemüse schälen, das Blumenbeet umgraben oder den Fußboden schrubben? Stelle ich mir mit langen, aufgeklebten Nägeln als schwierig bis unmöglich vor. Nee, da ist meine Freiheit, mit meinen Händen alles machen zu können, was ich tun muss und möchte, mir wichtiger als "Nail Art".

    • @Patricia Jessen :

      Ich arbeite am PC und habe reichlich Schreibarbeit. Wenn meine Nägel zu lange sind (das heißt das sie beim Tippen vor der Fingerkuppe auf die Taste kommen, dann gibt es bei richtig Streß Unfälle und es splitten sich die Nägel auf und spätestens dann schneide ich sie runter.



      Mit den angeklebten Plastikteilen hat das allerdings nichts zu tun. Auf ner normalen Cherry hat sich das schreiben dann erledigt.



      Gibt aber bestimmt gute Möglichkeiten mit anderen Tastaturen.

      • @Moonlight:

        Ich war auch lange Zeit der Meinung, eine Sekretärin mit entsprechend langen Nägeln würde sicher auch anderen Klischees entsprechen, denn Tippen damit wäre unmöglich.



        Bis ich in einem meiner Kurse eine Frau hatte, die sich durch den Spruch herausgefordert fühlte. "Eher säge ich meine Ausbildung ab als meine Nägel!"



        Sie hat am Ende alle anderen in der Tippgeschwindigkeit übertroffen. Seither verkneife ich mir den Spruch.

  • Als Gitarrenlehrer hatte ich mal eine erwachsene Schülerin, die partout die Nägel ihrer linken Hand nicht schneiden wollte. Es funktionierte natürlich nicht.



    Blasinstrumente wären teilweise möglich, Klavier geht auch gar nicht. Tippen auf Smartphone und Co scheint dagegen sogar besonders schnell und genau zu funktionieren. Es kommt halt aufs Instrument an...

    • @Prayn:

      Ein Schelm, der Schlechtes denkt!...LOL

  • „Ach, dafür bezahle ich jemanden.“

    Dann drücke ich die Daumen, dass die Haushaltshilfe nicht auch irgendwann lange Nägel möchte.

  • Wirklich modern und fortschrittlich klingt es nicht, wenn lange Nägel mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht werden.

    Auch kurze Nägel sind weiblich, und auch Männer können diese tragen wenn sie wollen.

  • Ein Smartphone oder ein Tablet könnte ich nur mit abgebissenen Fingernägeln bedienen. Schließlich tippt man nicht mit den Nägeln, sondern mit der Finergkuppe.

    Und auch nicht da, wo sich die Fingerabdrücke kreisförmig konzentrieren, sondern wirklich die Spitze des Fingers.

    Also es gibt schon mehr Probleme als nur Münzen von der Straße aufheben.

  • "Münzen aufzuheben ist das Einzige, was mir im Alltag manchmal schwerfällt."



    Über die künstlerischen und gesellschaftlichen Auslassungen gehe ich mal hinweg, der obige Satz ist m. E. der Kern der Antwort. Es liegt am jeweiligen Alltag, ob mit langen Nägeln zurechtgekommen wird oder nicht. War schon im alten China so, wenn die Herrschenden durch lange Nägel zu erkennen gaben, dass sie sich mit körperlichen Tätigkeiten nicht abgeben mussten. Auf dem Bau oder so funktioniert das nicht. Anderswo eben schon.

  • Anscheinend ja ein ganz, ganz wichtiges Thema. Lifestyle XYZ will Verständnis.



    Warum und warum hier?



    Soll doch jede und jeder machen, was will, mit allen Folgen, und gut ist.

  • Hm, jetzt wurde ja leider die eigentliche Frage gar nicht beantwortet. Schade, mich hätte wirklich interessiert, wie lange es zb. dauert, sich bei bestimmten Bewegungen umzugewöhnen, wo im Alltag Fallen sind und wie man damit umgeht. Kann man die Nägel im Zweifel auch schnell wieder loswerden? Ich hatte selbst nämlich immer kurze Nägel und hätte gerne gewusst, wie umständlich das ist, sowas mal auszuprobieren.

    • @LouiseLabee:

      Genau das Gleiche habe ich mich auch gefragt. Aber das ist der Interviewerin wohl bei dem sonstigen bla bla nicht aufgefallen?!

  • Gefühlt ein halber Satz zur Beantwortung der Frage. Der Rest sind gesellschaftliche Auslassungen.



    Kunst liegt im Auge der Betrachterin. Oder in der Hand?

    • @fly:

      "Kunst liegt im Auge der Betrachterin. Oder in der Hand?"



      Ich finde, das liegt eher _auf_ der Hand.

      Tschuldigung, konnte ich mir nicht verkneifen.