Strengere Regeln fürs Autofahren: Kartell des Wegsehens
Die EU debattiert über neue Führerscheinregeln. Doch die Politik vermeidet alles, was die Freiheit der Autofahrenden nur minimal einschränken könnte.
D iese Woche schon wieder: Ein Autofahrer, der zwei Menschen totgefahren hat, erhält dafür zwei Jahre Freiheitsstrafe – auf Bewährung. Es ist ein übliches Urteil: Mensch totgefahren, Bewährungsstrafe. Als hätte jede:r Autofahrer:in einen selbst verschuldeten Unfall mit Todesfolge frei.
Auch vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Abstimmung im EU-Parlament zu möglichen Gesundheitschecks für Menschen mit Führerschein so deprimierend. Denn die Vorschläge, die einigermaßen vielversprechend klingen – Sonderführerscheine für schwere und damit besonders gefährliche Autos wie SUVs, verpflichtende Gesundheitschecks für alle und regelmäßige Überprüfung, ob man noch auf dem aktuellen Stand ist, was Verkehrsregeln und Fahrpraxis angeht –, sind längst vom Tisch oder lagen gar nicht erst drauf.
Es ist ein Kartell des Wegsehens: Vor allem die deutsche Politik vermeidet alles, was nur den Anschein erwecken könnte, die heilige Freiheit der Autofahrenden minimal einzuschränken. Alle sollen so lange, so schlecht und so schnell fahren dürfen wie möglich – und oft eben auch darüber hinaus. Geschwindigkeitsbegrenzungen, breite Radwege auch an Landstraßen, sichere Übergänge für zu Fuß Gehende, Poller oder Bänke, die Durchgangsverkehr aussperren, Straßenabschnitte, die zu Aufenthaltszonen werden – es gibt so viele Vorschläge, die Städte, Orte, Gemeinden lebenswerter machen würden. Vorschläge, die schwächere Verkehrsteilnehmer:innen ohne Blech um sich herum, stattdessen vielleicht mit Rollator oder Schulranzen unterwegs, schützen würden. Die zu weniger und vorsichtigerem Autoverkehr führen würden und zu weniger Unfällen. Und die in den Schubladen liegen bleiben, weil die Umsetzung sofort zu Protesten und Klagen führt, vor denen die Politik einknickt.
Die Vision Zero, ein Verkehr ohne tödliche Unfälle? Dass sich das Bundesverkehrsministerium diese offiziell zum Ziel gesetzt hat, ist mit jedem Unfall, mit jedem Bewährungsurteil, mit jeder Blockade besserer Regeln ein Stück mehr zynische Makulatur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“
Rechtsruck in den Niederlanden
„Wilders drückt der Regierung spürbar seinen Stempel auf“
Koalitionsverhandlungen in Potsdam
Bündnis fossiles Brandenburg
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig