Aktivistin zur Landwirtschaft im Libanon: „Lokal und zirkulär aus der Krise“
Inflation und Klimakrise lassen Bäuer*innen im Libanon umdenken, sagt Yara Ward. Die ökologische Landwirtschaft werde zur echten Alternative.
taz: Yara Ward, bei der „Alternativen Grünen Woche“ haben Sie zum Thema „Agrarökologische Transformation in Krisenzeiten“ referiert. Wie läuft das in Ihrer Heimat im Libanon?
Jahrgang 1997, koordiniert für die NGO Jibal Trainings für Bäuer*innen und Forschungsprojekte zur agrarökologischen Transformation.
Yara Ward: Besser als vor der Krise. Mittlerweile sind die Bäuer*innen offener dafür. Das war vor einigen Jahren anders. Damals war die industrielle Landwirtschaft noch sehr profitabel. Mittlerweile haben wir aber die höchste Inflationsrate nach Venezuela. Unsere Währung hat seit 2019 etwa 60-mal ihren Wert gegenüber dem Dollar verloren.
Was verändert das?
Unsere Landwirtschaft ist extrem abhängig vom Import industrieller und chemischer Produktionsmittel wie Dünger, Pestizide oder Hybridsamen. Viele Bäuer*innen können sich diese Produkte jetzt kaum mehr leisten und sind gezwungen, sich bei den Firmen zu verschulden, die sie herstellen, weil sie keine Kredite bei Banken oder dem Staat bekommen. Die Abhängigkeit nimmt so immer weiter zu. Wenn es dann aufgrund der Klimakrise Dürren oder Starkregen gibt, geht schnell die ganze Ernte verloren. Das bedeutet große Verluste. Und plötzlich sind die Bäuer*innen maßlos überschuldet und finden keinen Ausweg mehr. Viele begehen Suizid. Es ist schrecklich. Die Alternative ist, die Produktion umzustellen.
Wie erleben Sie die Klimakrise im Libanon?
Wie viele andere Orte auf der Welt haben wir trockenere Sommer und feuchtere Winter. Eigentlich sollte uns das nicht viel ausmachen. Wir haben fruchtbare Böden, Wasser, Berge, perfektes Wetter. Wir sind nicht in der Golfregion oder der Arktis. Wir müssten also besonders resilient sein. Stattdessen sind wir besonders vulnerabel.
Weshalb?
Die Probleme sind hausgemacht. Unsere korrupten Eliten haben die Landwirtschaft auf industrielle Monokultur ausgerichtet. Viele Bäuer*innen arbeiten seit Jahrzehnten konventionell. Ihre Böden nehmen nicht mehr ausreichend Feuchtigkeit auf. Wenn es viel und stark regnet, erodieren die oberen, fruchtbaren Bodenschichten. Sie lösen sich ab und fließen zum Teil ins Meer. Für die Bäuer*innen ist das eine Katastrophe.
Und Agrarökologie kann diese Probleme lösen?
Ja, weil der Ansatz die Probleme direkt angeht und das Ernährungssystem zirkulär neu denkt: weniger importabhängig, fokussiert auf die lokale Produktion und Resilienz. Dabei geht es nicht nur um Anbauprinzipien, sondern auch um Marktzugänge. Lokale Märkte können Bäuer*innen helfen, mehr Geld für ihre Produkte zu bekommen, Schulden zu überwinden und die Abhängigkeiten von der industriellen Landwirtschaft zu lösen. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Verbesserung der Bodenqualität. Das trägt dazu bei, unser Ökosystem wieder zu stabilisieren, sodass es resilienter auf Extremwetterereignisse reagieren kann.
In Deutschland gab es in den letzten Wochen große Proteste von Landwirt*innen. Haben Sie davon etwas mitbekommen?
Ja. Und ich denke, die Landwirt*innen protestieren für die falschen Ziele. Ich verstehe, dass sie ihre Subventionen aufrechterhalten wollen. Es ist wie eine Droge und sie sind abhängig. Aber das ist falsch. Sie sollten für ein anderes System, eine andere Landwirtschaft demonstrieren. Das aktuelle System ist absurd.
Weshalb?
Es basiert auf einem massiven Im- und Export von Lebensmitteln. Das ist ökologisch absurd. Zudem ist das System, also der neoliberale Kapitalismus, fragil. Das sagen viele und die Entwicklung im Libanon beweist, dass es stimmt: In Krisenzeiten ist unsere Wirtschaft schwach. Das gilt natürlich nicht für den CEO von Monsanto, sondern eben für 80 Prozent der Weltbevölkerung.
Auch hierzulande verdichten sich die Krisensymptome. Was könnten die deutschen Bäuer*innen von Ihnen lernen?
Zentral ist, sich auf das Lokale zu fokussieren. Es braucht lokale Lieferketten, lokalen Konsum, lokalen Anbau. Und das alles muss zirkulär gedacht sein. Nur so kann die Landwirtschaft eine Krisenresilienz entwickeln. Die lokalen Zirkel dürfen aber nicht geschlossen sein. Sie müssen miteinander kommunizieren und sich austauschen, also im Sinne der Zapatistas: „Think global, act local!“
International zu denken ist gerade angesichts des Nahostkonflikts schwer. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?
Viele Menschen fühlen eine große Ungerechtigkeit und Machtlosigkeit. Das merken wir auch in unserer Arbeit. Und erst kürzlich war einer unserer Bauern an der israelischen Grenze physisch betroffen. Er musste fliehen, weil sein Dorf von der israelischen Armee bombardiert wurde. Insgesamt haben wir in den Grenzregionen eine agrarökologische Anbaufläche von 600 Fußballfeldern verloren. Dort standen uralte Olivenbäume. Die Flächen wurden von illegalen Phosphorbomben getroffen.
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