piwik no script img

Pestizide mit Glyphosat bleiben erlaubtÖzdemir befürchtet sonst Klagen

Agrarminister Özdemir stoppt das ab 1. Januar vorgesehene Verbot von glyphosathaltigen Pestiziden. Dabei hatte das der Koalitionsvertrag vorgesehen.

Das Anwendungsverbot von Glyphosat wurde erstmal gestoppt Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/imago

Berlin taz | Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hat die deutsche Zulassung von Pestiziden mit dem umstrittenen Wirkstoff Glyphosat um ein halbes Jahr verlängert. Das geht aus einer Verordnung hervor, die am Freitag im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden ist. Damit reagiere er darauf, dass die EU-Kommission den Wirkstoff kürzlich bis 2033 genehmigt hat, teilte Özdemir mit. Ihm sei nichts anderes übriggeblieben, als das von der Vorgängerregierung zum 1. Januar 2024 vorgeschriebene Anwendungsverbot von Mitteln mit Glyphosat zu stoppen. Andernfalls hätten ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission und Klagen etwa von Herstellern in Deutschland gedroht, so Özdemir.

Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff. Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation stufte ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ ein – mit Glyphosat gefütterte Säugetiere hatten Tumore entwickelt. In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte einen der Hersteller, den Chemiekonzern Bayer, zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf den Unkrautvernichter zurückführen.

Bayer beruft sich dagegen auf verschiedene Zulassungsbehörden, die Glyphosat als sicher einstufen. Das Gift tötet so gut wie alle Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt.

Aus diesem Grund gibt es verschiedene Einschränkungen für den Einsatz. Deutschland untersagt zum Beispiel, glyphosathaltige Pestizide in Wasserschutzgebieten zu verwenden. Diese Beschränkungen würden jetzt weiter gelten, erklärte Özdemir. „Wir werden prüfen, welche weiteren Möglichkeiten es gibt, die Anwendung von Glyphosat wirksam einzuschränken“, so der Grüne.

Veto der FDP

Sein Ministerium nimmt dabei nach eigenen Angaben „die Anwendung durch nicht professionelle Nutzer in Klein- und Hausgärten“ und „die flächige Anwendung“ auf Wiesen und Weiden in den Blick. Die neue Regelung soll die nun bis 30. Juni 2024 geltende Verordnung ablösen. Dann soll es eine längerfristige Regelung geben.

Özdemir verwies auf die im Ampel-Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung, Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen. „Ich will unserer Koalitionsvereinbarung zu Glyphosat trotz EU-Genehmigung so weit wie möglich nachkommen“, sagte der Minister. Glyphosat schade „ohne Zweifel“ der Artenvielfalt.

Die FDP sieht das jedoch anders. Deshalb habe sich Deutschland bei der entscheidenden EU-Abstimmung im November nicht gegen eine weitere Zulassung des Wirkstoffs stimmen können, sondern sich enthalten müssen, verteidigte sich Özdemir. Das trug dazu bei, dass es keine ausreichende Mehrheit unter den Mitgliedstaaten gab, um den Zulassungsvorschlag der EU-Kommission zu stoppen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • Die Grünen sollten sich endlich umbenennen, denn grün ist an ihnen schon lange nix mehr.

  • Pflugloser konventioneller Ackerbau kommt nicht komplett ohne Glyphosat aus.

    Man muss sich eben genau überlegen was man will. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die genaue Definition der erlaubten Anwendung, Ratten und andere Lebewesen mit dem konzentrierten Wirkstoff zu füttern (?!?) gehört sicherlich nicht dazu.

    Kritische Anwendungen, bei der Glyphosat Rückstände leicht nachweisbar in die menschliche Nahrungskette gelangten, wie die Bekämpfung von Weizenaufschlag aus dem Vorjahr in der fast erntereifen Wintergerste sind seit Jahren verboten.

    Die heute erlaubten genau definierten Anwendungen an Stelle des Pfluges ermöglichen eine kraftstoffsparende (ca. 30% weniger Dieselverbrauch) und bodenschonende Bewirtschaftung der Ackerflächen. Zudem werden Bodenbrüter geschont, da die Flächen nach Aufgang der Kulturpflanze z.B. nicht gestriegelt werden müssen wie nach der pfluglosen Mulchsaat ohne Glyphosat im Biolandbau.

    Mit Glyphosat vor der Aussaat behandelte Flächen bleiben dabei beim späteren Aufwuchs der Kulturpflanze nicht gänzlich Unkraut- bzw. Beikrautfrei, somit haben Insekten und Vögel auch Nahrung. Die Kulturpflanze erhält eben nur einen Wachstumsvorsprung wie eben durch das Pflügen oder das Umgraben des Gartens.

    Sicherlich gibt es Möglichkeiten durch erweiterte Fruchtfolgen und deren geschicktem Wechsel und anderen Methoden den Glyphosat- und auch allgemein den Einsatz von Herbiziden, aber auch von Fungiziden und Insektiziden im konventionellen Landbau weiter zu minimieren.

    Das man dies tun und den sog. Integrierten Pflanzenbau weiterentwickeln muss ist ebenso weitestgehender fachlicher Konsens wie mein Eingangssatz ganz oben.

  • Natürlich kann man Glyphosat für Deutschland sofort verbieten, dann dürfen aber auch keine Lebensmittel mehr aus Ländern die es benutzen Importiert werden. Aber weil dadurch die Erlöse für die Landwirtschaft steigen würden, wird das nie passieren.

    • @Günter Witte:

      Ähhm... ein solches Importverbot wäre einfach nur wirkungslos, da es innerhalb der EU keine "Importe" in dem Sinne gibt.

      • @Co-Bold:

        Wie bezeichnen dann Sie es wenn Wahren aus anderen Ländern nach Deutschland eingeführt werden ?? Und welches dieser Länder hat ein Glyphosat Verbot ??

  • Die Grünen sind einfach nur noch eine Lachnummer: Sie stimmen der Verlängerung auf EU Ebene zu, bzw. stimmen dort nicht mit nein, obwohl es im Koa Vertrag so steht.



    Und dann kann man leider nichts auf nationaler Ebene machen, Pech gehabt!



    Echt diese Partei kann weg! Restlos streichen! Niemand brauch diesen verlogenen Haufen von opportunistischen Karrieristen. Da ist einem selbst die Merz CDU noch sympatischer. Die sind wenigstens ehrlich bei dem Schmutz, den sie vorhaben!

  • So traurig es ist, aber was will Özdemir jetzt noch machen? Der eigentliche Skandal und auch Verstoß gegen den Koalitionsvertrag war doch, dass die FDP sich bei der EU Abstimmung nicht daran gebunden gefühlt hat. Das hat mich massiv geärgert.

    Ich habe auch überhaupt nicht verstanden, warum. Manchmal hat man den Eindruck, es geht der FDP aus Prinzip nur darum, Dinge zu verhindern, die die Grünen aus sehr guten Gründen voran treiben möchten.

  • Der Özdemir nominiert sich dafür wohl zum Preisträger des "Umfaller des Jahres"

    Wie lange sind's noch gleich bis zur Wahl ?

  • Längst wähle ich die ÖDP.

    Die Grünen haben die letzten 20 Jahre bezüglich Tier- und Naturschutz nichts auf die Reihe gekriegt. Und scheinen auch kein Interesse daran zu haben.

    Vor drei Jahren setzte die ÖDP nach einer haushoch gewonnen Volksabstimmung in Bayern ein neues Artenschutzgesetz durch.

    Ich habe lange darauf gewartet, dass die Grünen endlich mal Ähnliches auf Bundesebene machen.

    Doch die haben ganz andere Interessen.

    Und nicht die besten.

  • Wenn die EU das Glyphosat verboten hätte, dann hätte es der Herr Özdemir bestimmt als seinen Erfolg bezeichnet. Jetzt wo die EU das Zeug weiter erlaubt, wird das Wahlversprechen halt kassiert. Aber das ist man ja von den Grünen mittlerweile gewohnt, was für ein abstoßender Haufen...

  • "Özdemir verwies auf die im Ampel-Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung, Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen." Und warum hat Herr Özdemir diese Vereinbarung nicht durchsetzen können? Die Grünen in der Regierung sind die schlimmste politische Enttäuschung meines Lebens.

    • @Frau Sperling:

      Naja, Deutschland ist nun mal EU-Mitglied. Bestimmte EU-Regelungen können nicht einfach abweichend national geregelt werden.



      Von daher war es wohl eher unlauter in den Koalitionsvertrag so etwas reinzuschreiben.

      Ein Koalitionsvertrag ist am Ende ja auch nicht mehr als eine Absichtserklärung. In jedem Falle kein bindendes Recht, das EU-Regelungen außer Kraft setzen könnte.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Das hätten die CSU-Landwirtschaftsminister auch nicht anders gemacht.



    Wozu brauchen wir also einen „grünen“ Landwirtschaftsminister?

  • Koalitionsverträge sind offensichtlich für den A****.



    Wie hieß es bei Pirates of the Caribbean: “The code is more what you'd call 'guidelines' than actual rules."

  • Ich würde sagen: Er hat sich den Sachzwängen entsprechend verhalten. Und ich glaube nicht, dass das soviel mit der FDP zu tun hat. Eher die Landwirtschaftliche Industrie. Leider nennt niemand die Argumente, die ihn umgestimmt haben. Das würde mich mal interessieren.

  • Die Ampel ist wie ein Patient mit einem Tumor, dessen Entfernung der Patient nicht überlebt. Angesicht der großen Wahrscheinlichkeit, dass der Tumor soundso gehen möchte, verstehe ich die Zugeständnisse an ihn nicht.



    Ich würde meinen Wählern wenigstens der Abschied versüßen!

  • Ist das nicht ein Grüner?????????????????

    • @degouges:

      Warum nehmen sich die Grünen kein Beispiel am Verkehrsminister - einfach nichts tun!

  • Das größte Problem des Glyphosat ist dessen antibakterielle Wirkung. Es zerstört nicht nur grüne Pflanzen, sondern auch Mikroorganismen, die im Boden vorkommen. Dadurch wird die Bodenstruktur verschlechtert, Humus abgebaut (der im wesentlichen aus Kohlenstoff besteht...) und die Wasserhaltefähigkeit der Böden eingeschränkt.



    Auch im Darm können Mikroorganismen durch Glyphosat geschädigt werden. Dadurch verliert das Mikrobiom im Darm an Diversität und wird deutlich anfälliger gegen alle Einflüsse, die belastend sind.



    Die Alternative zum Glyphosat in der Landwirtschaft ist die mechanische Bodenbearbeitung. Diese wird jetzt durch den Wegfall der Agrardieselbeihilfe und der steigenden CO2-Abgabe teurer.

    • @wollewatz:

      Die Beeinträchtigung von Mikroorganismen Boden führt nicht zu Humusabbau. Die Bodenfauna ist dafür mit zuständig. Deren Beeinträchtigung führt daher zu einer Verlangsamung des Humusabbaus. Eine Folge davon ist u.a. die verlangsamte Bereitstellung von Nährstoffen aus demmHumus.

      • @Rudolf Fissner:

        Gemeint ist wohl Humusverlust.

  • Der Titel ist etwas unglücklich. Anscheinend sind Özdemir durch den EU-Beschluss die Hände gebunden. 😟

    • @MeineMeinungX:

      Ihm sind durch den EU Beschluss, den ER mitentschieden hat, die Hände gebunden. Das ist zu 100% seine Verantwortung und die seiner Partei.

    • 4G
      48798 (Profil gelöscht)
      @MeineMeinungX:

      Durch den Eu-Beschluß, den Özdemir durch seine Enthaltung mit gestaltet hat?