Lieferkettengesetz der EU: Wo sind die Grünen?
Das EU-Lieferkettengesetz droht verwässert zu werden – auch weil die Ampel Druck macht. Die Grünen hatten einst anderes versprochen.
D ie langen Verhandlungen für ein EU-Lieferkettengesetz sind auf der Zielgeraden – diesen Mittwoch steht das Thema auf der Tagesordnung des Europäischen Rats. Die Richtlinie ist eine einmalige Gelegenheit, die Verantwortung von Unternehmen für ihre Produkte und deren Herstellung endlich neu zu definieren und verbindlich festzulegen. Doch Deutschland stellt sich quer.
Dabei wird eine solche Regelung zum Schutz von Umwelt und Klima dringend gebraucht: Mehr als 50 Prozent der CO₂-Emissionen sowie der enorme Verlust von Lebensräumen, Umweltverschmutzung und Umweltschäden weltweit sind auf die Wirtschaft zurückzuführen. Die große Mehrheit der Unternehmen ist durch die Aussicht auf kurzfristige Gewinne geblendet und ignoriert langfristige wirtschaftliche Risiken und Chancen – und die Nachhaltigkeit sowieso.
Entfalten konnte sich diese destruktive Dynamik bisher ungestört, weil es keine strengen gesetzlichen Vorschriften für Lieferketten gab. Verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln blieb größtenteils eine Sache von freiwilligen Selbstverpflichtungen und Appellen. Doch das reicht nicht.
Erkannt hat man das auch in Brüssel: Unternehmen sollen nun gesetzlich verpflichtet werden, Sorgfaltspflichten einzuhalten. Sie müssen prüfen, ob ihre Geschäftspartner entlang ihrer Wertschöpfungsketten zu negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur beitragen. Ist dies der Fall, sind sie verpflichtet, diese Effekte zu verhindern.
Doch jetzt, in der Endphase der Verhandlungen, droht das EU-Lieferkettengesetz zurechtgestutzt zu werden. Übrig bliebe lediglich der Schatten eines ehemals ambitionierten Entwurfs, welcher den Status quo weitgehend unangetastet ließe. Gerade die Bundesregierung versucht die Richtlinie zu verwässern – mit den Schreckgespenstern „Bürokratie“ und „Deindustrialisierung“. Dabei führt eine starke und klare Richtlinie nicht zwingend zu mehr Papierarbeit, sorgt aber sicher für mehr Rechtssicherheit.
leitet das deutsche Büro der internationalen Umweltrechtsorganisation ClientEarth.
Gleichzeitig würde ein starkes EU-Lieferkettengesetz den Anspruch unterstreichen, fair und auf Augenhöhe zu wirtschaften. Als wertschätzende Wirtschaft wahrgenommen zu werden, ist heutzutage nicht Bedrohung, sondern Grundlage einer zukunftsträchtigen Industrie. Nichtsdestotrotz waren Wirtschaftslobbyisten bereits während der Verhandlungen zum deutschen Lieferkettengesetz von 2021 mit diesen vorgeschobenen Argumenten erfolgreich. Mit Blick auf das EU-Lieferkettengesetz und die Position der Bundesregierung kommt in Brüssel der Eindruck auf, dass Berlin die exportabhängige deutsche Wirtschaft kompromisslos verteidigen will – egal wer gerade regiert.
Aber noch ist es nicht zu spät für Deutschland, das EU-Lieferkettengesetz in seinem ursprünglichen Ambitionsniveau zu verteidigen. Dafür sollten sich die Verhandlungsführer an der Position des Europäischen Parlaments orientieren. Um den Geltungsbereich der Richtlinie zu beschreiben, entwickelten die Parlamentarier eine umfassende Liste von möglichen Umweltauswirkungen. Diese Liste umfasst die Auswirkungen, welche in einzelnen internationalen Abkommen abgedeckt werden – geht aber darüber hinaus.
Der Rat der EU und die Europäische Kommission wollen hingegen eine solche Liste der Umweltauswirkungen auf die begrenzte Anzahl internationaler Abkommen beschränken. Das wäre zu kurz gegriffen, denn eine solche verengte Definition würde zahlreiche Auswirkungen nicht abdecken. Wichtige Punkte wie Plastikverschmutzung, Tiefseebergbau oder Bodenausbeutung blieben dann außen vor.
Der Vorschlag der EU-Kommission und des EU-Rats würde nicht nur Mensch und Natur schaden, sondern letztlich auch der Wirtschaft. Schließlich widerspricht er dem Ziel, einheitliche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Manche Umweltschäden, Sektoren und Unternehmen wären vom EU-Lieferkettengesetz abgedeckt, andere nicht – wobei die nicht abgedeckten Aktivitäten potenziell die besonders schädlichen sind.
Fatal für das Klimaprofil
Ein breiterer Gültigkeitsbereich des EU-Lieferkettengesetzes würde zudem nahtlos an ähnliche EU-Rechtsvorschriften anschließen, wie etwa die neue Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeitsberichterstattung. Und: Die Wirtschaft muss ohnehin ihre Geschäftsmodelle dekarbonisieren, also von Kohlenstoff befreien. Wäre nun der Aspekt Klima aus dem EU-Lieferkettengesetz ausgeklammert, wäre das fatal für die Anreize an Unternehmen, für das Klimaprofil der Grünen als Regierungspartei – und widersprüchlich zu aktuellen Forschungsergebnissen:
Der jüngste IPCC-Bericht hat gezeigt, dass die Dekarbonisierung ganzer Wertschöpfungsketten notwendig ist, um der Klimakrise Einhalt zu gebieten. Rasant schließt sich das Zeitfenster, in dem wir die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise vermeiden können. Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2050 das Netto-null-Ziel für Treibhausgase zu erreichen. Der ambitionierte Ursprungsentwurf des EU-Lieferkettengesetzes sieht vor, dass Unternehmen nicht nur verpflichtet sind, Übergangspläne für eine Dekarbonisierung zu erstellen – sondern diese auch umzusetzen.
Greenwashing verhindern
Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass der Klimaaspekt nicht in den finalen Verhandlungen gekürzt wird – denn genau diese Anforderungen an die Wirtschaft fehlen bisher. Das EU-Lieferkettengesetz könnte ein klaffendes Loch in der EU-Umweltpolitik stopfen. Und es könnte dazu beitragen, Greenwashing zu verhindern, also das Vortäuschen von Nachhaltigkeitsleistungen.
Als die vorherige Bundesregierung 2021 ein mangelhaftes Lieferkettengesetz verabschiedete, verwiesen führende Grüne darauf, dass die kommende übergeordnete Gesetzgebung in Brüssel besser sein und auch die Umwelt umfassend schützen müsse. Nun ist es an der Zeit, dass die Grünen liefern.
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