Zwei kleine Tannen vor einem Baumstumpf

Wiederaufgeforstete Wälder brauchen meist Jahrzehnte, bis sie als CO2-Speicher wirken Foto: Paul Langrock

Umweltzertifikate als Ablassbrief:Zu grün, um wahr zu sein

Die grüne Klimaschutzministerin von Rheinland-Pfalz unterstützt einen Verein, der laut Experten reines Greenwashing betreibt.

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17.3.2024, 16:15  Uhr

Auf den ersten Blick erscheint die Ecosystem Value Association e. V., kurz EVA, seriös. Neben schönen Waldfotos, die sich auch gut als Windows-Hintergrundbilder machen würden, wird auf seiner Webseite die Zertifizierung mit dem „Wald-Klimastandard“ der EVA als Anreiz für eine „klimafreundliche Bewirtschaftung von Wäldern“ beworben. Und ihr Anbieter hat Großes vor. Mit dem EVA-Standard sollen bald Wälder weltweit zertifiziert werden. Doch was als Klimaschutz vermarktet wird, kritisieren Klimaforscher als Greenwashing.

Das Prinzip der EVA-Zertifikate ist recht simpel. Der Verein berechnet mit dem eigens geschaffenen Regelwerk, dem „Wald-Klimastandard“, den CO₂-Speicherwert von Aufforstungsprojekten und erlaubt dem jeweiligen Waldbesitzer dann den Verkauf von Zertifikaten zum Preis von bis zu 90 Euro pro Tonne. Diese kaufen Firmen wie der Wirtschaftsprüfer von PwC auf dem sogenannten freiwilligen CO₂-Kompensationsmarkt – sprich: nicht auf einem der verpflichtenden, staatlichen Märkte – und bereinigen damit ihre Klimabilanz.

Das Pilotprojekt der EVA ist der Staatswald im Forstrevier Hochacht in der Nähe von Adenau. Es geht um eine 16 Hektar große Fläche mitten in der Osteifel, knapp 50 Kilometer südlich von Bonn. Eigentümer ist der Staat, der in Deutschland nicht nur den Großteil der Wälder instandhält, sondern auch der größte Holzproduzent ist. Hier zertifizierte die EVA die gesamte Aufforstung.

Wie schön, es werden Bäume gepflanzt!, mag der Laie nun denken. Und je mehr gepflanzte Bäume, desto mehr gebundenes CO₂. Das klingt wie eine gute Sache, und deshalb tritt bei dem Pilotprojekt sogar die Klimaschutzministerin von Rheinland-Pfalz als Schirmherrin auf: Katrin Eder von den Grünen.

An einem Julitag im vergangenen Jahr steht sie auf einer kahlen Fläche im Wald vor ein paar Journalisten und Förstern und einem Vertreter der EVA und verkündet: „Der rheinland-pfälzische Forst nimmt eine Vorreiterrolle ein, sowohl im Nachweis der klimapolitisch so wichtigen Treibhausgasbindung durch den Wald als auch im Erkunden nachhaltiger Honorierungsmöglichkeiten für diese Leistungen.“

Das Dumme ist bloß: Vor der Zertifizierung wurden hier Bäume abgesägt, und nun werden lediglich wieder neue gepflanzt. Was als Klimaschutz vermarktet wird, ist schnöde Forstwirtschaft.

Viele Zertifikate sind wertlos

Gemeinsam mit dem Waldökologen Pierre Ibisch und den Förstern Peter und Tobias Wohlleben hat sich die taz die Projekte der EVA genau angesehen. Das Ergebnis der Recherchen legt nahe: Das Projekt der EVA mit dem Staatswald ist ökologisch kritikwürdig und spart kein zusätzliches CO₂ ein. Denn die kahle Fläche im Staatsforst wäre so oder so wieder aufgeforstet worden, auch ohne Zertifikate der EVA. Gesetzlich ist der staatliche Forst dazu verpflichtet.

Pierre Ibisch, der sich als Professor für „Nature Conservation“ an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde mit dem klimagerechten Umbau des Walds beschäftigt, kritisiert sowohl die zusätzliche Zertifizierung durch die EVA als auch die Methode, mit der der Staatsforst in Rheinland-Pfalz umgebaut wird.

Vor der Zertifizierung wurden die Bäume im Forst Adenau mit schweren Erntemaschinen, sogenannten Harvestern, gefällt und das Holz verkauft. Waldökologen kritisieren diese in­dus­trielle Methode seit Jahren, weil dabei irreversible Schäden am Boden und umliegenden Pflanzen entstehen. Ibisch zufolge emittieren die Kahlflächen im Staatswald sogar CO₂; wegen des Einsatzes der Harvester, aber primär wegen der Räumung von Totholz von den Flächen, was die Bodentemperatur erhöht und so zu Kohlenstoffemissionen beiträgt. „Und das für viele Jahre“, sagt Ibisch.

Katrin Eder gestikuliert

Die grüne Klimaschutzministerin von Rheinland-Pfalz, Katrin Eder, setzt sich für den fragwürdigen Klimazertifikatshandel ein Foto: Christoph Schmidt/dpa/picture alliance

Dass das Projekt ausgerechnet von einer grünen Klimaschutzministerin unterstützt wird, hält er für einen Skandal. Katrin Eder sei auf die Holzindustrie „reingefallen“, sagt er.

Auch stellt Pierre Ibisch grundsätzlich infrage, ob die Zertifikate überhaupt irgendeinen ökologischen Nutzen haben. Und tatsächlich ähnelt der Markt mit CO₂-Kompensationszertifikaten dem Wilden Westen: groß, unreglementiert und bevölkert mit einigen fragwürdigen Gestalten. Erst Anfang 2023 erschütterte ein massiver Skandal das wichtigste Zertifikat, den „Verified Carbon Standard“ der US-amerikanischen NGO Verra. Verra steht hinter knapp 75 Prozent aller Zertifikate weltweit, die auf dem freiwilligen Kompensationsmarkt gehandelt werden.

Wie Recherchen der Zeit und des Guar­dian belegten, sind mehr als 90 Prozent der mit dem Verra-Standard zertifizierten Papiere wertlos. Sie stehen für CO₂-Kompensationen, die es so gar nicht gibt. Doch seit dem Skandal hat sich erstaunlich wenig getan. Der CEO von Verra, David Antonioli, trat im Mai 2023 ohne Angaben von Gründen zurück – das war’s.

Das große Geschäft mit den Zertifikaten

Inzwischen hat der Markt für freiwillige Klimazertifikate einen Umfang von etwa 850 Millionen Dollar, Tendenz steigend. Bei Shell können Sie „klimaneutral“ tanken, mit Lufthansa „klimaneutral“ fliegen und selbst Gazprom „kompensiert“ die eigene CO₂-Bilanz teilweise auf dem „freiwilligen“ Markt. Der Eindruck entsteht: Es geht voran. Doch diese Unternehmen verursachen so viel CO₂-Emissionen wie bisher auch. Die Schäden sollen lediglich an anderer Stelle – etwa mithilfe der Verra- oder EVA-Zertifikate – ausgeglichen werden.

„Netto-Null-Emissionen“, nennt sich das Konzept, für das der Zertifikatenhandel zum Teil mit sehr tatkräftiger Unterstützung großer Ölkonzerne erfunden wurde. Unternehmen müssen so keinen eigenen Beitrag zum Klimaschutz leisten, sondern können sich aus der Verantwortung für umweltschädliche Geschäftspraktiken freikaufen. Ein fragwürdiges Modell, das verdeckt, was gerade in Wirklichkeit passiert.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Denn jene Öl- und Gaskonzerne investieren im Moment – trotz Erderwärmung – Hunderte Milliarden Dollar in die Erschließung neuer Vorkommen, wie aus der „Global Oil & Gas Exit List“ hervorgeht, welche die Umweltschutzorganisation Urgewald und Partnerorganisationen Mitte November vorstellten. Wenn die Kompensationszertifikate nicht einmal halten, was sie versprechen, wird das noch problematischer.

Dass sich seit dem Verra-Skandal so wenig getan hat, liegt nur zum einen daran, dass das System so schwierig zu durchschauen ist. Der wichtigere Grund ist: Es profitieren zu viele von den Zertifikaten. Da sind jene Verschmutzer wie Shell und Co., die sich mit den Zertifikaten wie mit Ablassbriefen sündenfrei kaufen; die Zertifizierer, die zu wichtigen Playern im NGO-Segment aufsteigen; und die Projektbetreiber, etwa im Bereich der Agrar- und Holzindustrie, die zusätzliche Millionen verdienen.

Auch die Förster Peter und Tobias Wohlleben kritisieren den Verein EVA und Klimaschutzministerin Katrin Eder, etwa für die Projektlaufzeit von 30 Jahren. Dabei sei der Wald zunächst jahrelang eine CO₂-Schleuder. Das liege zum einen daran, dass Bäume nur langsam wachsen, zum anderen daran, dass im Boden gespeichertes CO₂ ohne den Schatten und Schutz der Bäume freigesetzt wird.

Erst nach etlichen Jahren entfalte der Wald langsam die Fähigkeit, CO₂ zu speichern. „Bis die Bilanz wieder ausgeglichen ist, vergehen in unseren Breiten Jahrzehnte – eine Zeitspanne, die die Regel-Projektlaufzeiten von 30 Jahren, die in solchen Wie­der­bewaldungs­projekten üblich ist, häufig übersteigt. Bilanziell sind solche Projekte also keine CO₂-Senke, sondern eine CO₂-Quelle“, sagt Tobias Wohlleben. Denn sobald die Laufzeit vorbei ist, kann der Wald wieder abgeholzt werden.

Genug Geld sollte da sein

Die EVA bestreitet die Laufzeit von nur 30 Jahren nicht. Das Projekt in Adenau endet 2053, so steht es auch auf der Webseite des Vereins. Das Klimaschutzministerium Rheinland-Pfalz erklärt auf taz-Anfrage, dass „das volle Speicherpotenzial nach 30 Jahren erreicht“ werde. Eine Behauptung, die Tobias Wohlleben für unwissenschaftlich hält. „Das Speicherpotenzial wird auch in 300 Jahren noch nicht erreicht sein. Das Einzige, was nach 30 Jahren erreicht ist, ist das Ende der Projektlaufzeit“, kritisiert er.

Insgesamt enthält das Antwortschreiben des Ministeriums viele Floskeln, die zum Teil einfach von der Website der EVA übernommen wurden. Auch behauptet das Ministerium gegenüber der taz, dass das geerntete Holz weiterverarbeitet werde und „das darin gebundene CO₂ dem langfristigen Holzproduktspeicher zugeführt wurde“. Bloß woher diese Gewissheit kommt, was mit dem verarbeiteten Holz passiert ist – das beantwortet das Ministerium nicht. Und das Forstamt als Projektbetreiber reagiert auf mehrfache Anfragen erst gar nicht. Ein Pro­blem­bewusstsein scheint nicht zu existieren.

Pierre Ibisch, Waldökologe, über die Vergabe von Klimazertifikaten für etwas, das Pflicht ist

„Das ist so, als würde man Menschen Geld dafür geben, dass sie an der roten Ampel anhalten“

Das von Klimaschutzministerin Eder protegierte Projekt gibt nicht einmal vor, einen Wald als langfristigen CO₂-Speicher zu entwickeln. Worin die bei Kompensationsprojekten geforderte „Zusätzlichkeit“ im Sinne des Klimaschutzes liegen soll, beantworten sowohl das Ministerium als auch die EVA mit Floskeln zum allgemeinen Klimaschutzbeitrag des Walds, nicht aber im Hinblick auf ohnehin bestehende gesetzliche Pflichten. Es ärgert die Kritiker des Projekts, dass hier gewöhnliche industrielle Holzproduktion als Beitrag zum Klimaschutz vermarktet wird. Das sei Greenwashing, so Tobias Wohlleben.

Den Waldökologen Pierre Ibisch freut zwar grundsätzlich, dass statt einer Fichtenmonokultur ein Mischwald aufgeforstet werden soll. Das gilt als klima­resilienter und wird deshalb schon seit Jahrzehnten von Wissenschaftlern empfohlen. Im Forst Adenau sei dieser Umbau aber schon länger verschlafen worden, sagt Ibisch. „Hier soll das Beharren auf einem ungeeigneten waldbaulichen Modell – trotz jahrzehntelanger Warnungen – und die ökosystemschädigende Flächenbehandlung durch ‚Klimaschutz‘-Einnahmen belohnt werden.“

Warum muss überhaupt ein privater Zertifikatehändler den neuen Wald finanzieren, wenn die Aufforstung ohnehin Pflicht ist? „Der Erhalt unserer Wälder ist für den Klimaschutz es­sen­ziell. Doch dafür fehlt die Finanzierung – hier setzt der Wald-Klimastandard an“, argumentiert die EVA auf ihrer Website. Jedoch hat der Landesforst Rheinland-Pfalz im letzten öffentlichen Bilanzbericht 2021 einen Überschuss von knapp 8,8 Millionen Euro aus dem Verkauf von Holz erwirtschaftet. Genug Geld sollte also da sein.

Ganz abgesehen davon, dass ein staatlicher Forst die gesetzlichen Vorgaben einhalten muss, auch wenn zur Not zusätzliche Finanzmittel aus der Staatskasse nötig wären. „Auch das ist meines Erachtens Greenwashing, weil insbesondere das Land die Vorbildfunktion und das Geld hat, sich an geltende Gesetze zu halten“, sagt Förster Tobias Wohlleben.

Kein Schutz vor Missbrauch der Regeln

Alexander Zeihe, Vorstand von EVA, weist den Vorwurf des Greenwashings zurück. Zeihe war vor seiner Tätigkeit bei der EVA jahrelang Hauptgeschäftsführer des Interessenverbands der Waldeigentümer, einer Lobbyorganisation. Man habe aus dem Verra-Skandal gelernt, sagt er: „Grundlage des Wald-Klimastandards von EVA ist es, über regelmäßige Rezertifizierungen im Zeitraum von drei bis fünf Jahren nach der Erstzertifizierung die tatsächliche Speicherleistung der Projekte zu überprüfen und so die korrekte Ausgabe von Zertifikaten zu gewährleisten.“

Was Alexander Zeihe nicht sagt, ist, dass schon das Verra-Regelwerk einen ganz ähnlichen Passus enthielt. Vor Missbrauch schützt dieser offenbar nicht. Auch erklärt Zeihe nicht, warum etwa das Pilotprojekt im Forstrevier Hochacht ein eventuelles finanzielles Defizit, sollte es denn vorliegen, nicht durch den Gesamtüberschuss des staatlichen Forsts in Rheinland-Pfalz begleichen könnte. Zeihe bestreitet nicht, dass sein Verein Klimazertifikate für etwas vergibt, was gesetzlich ohnehin Pflicht ist.

Waldökologe Pierre Ibisch fällt dazu nicht mehr viel ein. „Das ist so, als würde man Menschen Geld dafür geben, dass sie an der roten Ampel anhalten.“

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