Expertin über Muslimfeindlichkeit: „Nicht leicht, Mus­li­m*in zu sein“

Über Mus­li­m*in­nen wird oft im Kontext von Problemen berichtet. Das führt zu Diskriminierung, sagt Saba-Nur Cheema vom Expertenkreis Muslimfeindlichkeit.

Portrait von Saba-Nur Cheema

Saba-Nur Cheema Foto: privat

taz: Frau Cheema, Sie sind Mitglied des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM), der jetzt seinen Bericht vorgelegt hat. Was steht drin?

Saba-Nur Cheema: Mus­li­m*in­nen erfahren in Deutschland in nahezu allen Lebensbereichen Benachteiligung und Diskriminierung. Wir sprechen hier nicht nur von einzelnen Anfeindungen oder Beschimpfungen, sondern von alltäglicher, struktureller Ausgrenzung und von verbalen Angriffen bis hin zur Gewalt. Es ist nicht leicht, in Deutschland Mus­li­m*in zu sein.

Wie äußert sich das konkret?

Nehmen wir als Beispiel den Bereich Bildung. Muslimische Schülerinnen und Schüler sind häufig mit negativen Fremdzuschreibungen konfrontiert. Muslimische Jungs werden etwa oft als gewaltbereit und aggressiv angesehen. Ein sexistischer Kommentar von ihnen wird durch Lehrkräfte schnell kulturalisiert, also durch ihre Kultur erklärt. Bei nicht-muslimischen Jungs wird das in der Regel als individuelle Äußerung interpretiert, die nicht auf Herkunft oder Religion zurückzuführen sei. Muslimischen Mädchen wird dagegen oft zugeschrieben, unterdrückt, naiv und machtlos zu sein.

ist 36 Jahre alt, Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Seit 2020 ist sie eines von insgesamt 12 Mitgliedern des Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit, der die Bundesregierung beim Kampf gegen Antimuslimischen Rassismus beraten soll

Woher kommen solche Zerrbilder?

Eine der Studien, die wir in Auftrag gegeben haben, hat über 700 Schulbücher untersucht. Muslime und der Islam kommen nur vor, wenn es um die Kreuzzüge, Sexismus oder um Terrorismus geht. Muslimfeindlichkeit hingegen wird in den wenigsten problematisiert. Das betrifft nicht nur das Schulmaterial, sondern auch öffentliche Diskurse in Zeitungen und im Fernsehen.

Die Medien sind schuld?

Sie spielen zumindest eine Rolle. Es geht um sogenanntes Framing: Wie werden Mus­li­m*in­nen dargestellt? In welchen Kontexten kommen sie zu Wort? Unser Bericht zeigt, dass über Mus­li­m*in­nen vor allem im Zusammenhang mit Problemen berichtet wird, dann etwa, wenn es um mangelnde Integration, Terror oder Frauenverachtung geht. Das betrifft nicht nur konservative und rechte, sondern auch linksliberale Medien.

Wo und wann führt antimuslimischer Rassismus zu Gewalt?

Ereignisse wie die Hetzjagd in Chemnitz 2019, der Anschlag in Hanau 2020, aber auch häufige Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und Moscheen geschehen nicht im luftleeren Raum. Wenn eine Partei wie die AfD, die offen gegen Mus­li­m*in­nen hetzt, nunmehr von einem Fünftel der Bevölkerung unterstützt wird, gibt es mehrere Gründe zur Sorge. Diese antimuslimische Stimmung gibt potenziellen Tätern Rückenwind, da sie das Gefühl bekommen, von einem großen Teil der Gesellschaft unterstützt zu werden.

Bisher haben wir über einzelne Aspekte von antimuslimischem Rassismus gesprochen. Ihr Bericht versteht sich aber als eine Art Gesamtbilanz zum Thema. Wie sind Sie vorgegangen?

Unser Bericht basiert auf empirischen Daten und fasst den wissenschaftlichen Kenntnisstand zusammen. Wir haben uns sowohl auf Untersuchungen gestützt, die es schon gab, als auch weitere Studien in Auftrag gegeben. Gleichzeitig ist eines unserer Ergebnisse, dass wir mehr Forschung benötigen, um das Ausmaß von Muslimfeindlichkeit besser zu erfassen.

Wie unterscheidet sich antimuslimischer Rassismus von anderen Spielarten des Menschenhasses?

Muslimfeindlichkeit ist als eine Spielart von Rassismus zu verstehen, die auf ähnlichen Strukturen und Mustern basiert wie Hass gegen andere Gruppen, etwa gegen Schwarze Menschen oder Sinti und Roma. Jedoch wird in dieser spezifischen Form eine Religion rassifiziert und kulturalisiert: Menschen werden aufgrund äußerer Merkmale als Muslime markiert, auch wenn sie nicht religiös sind, und mit Attributen wie gefährlich, rückständig und integrationsunwillig beschrieben.

In Ihrem Bericht gibt es ein eigenes Kapitel zum Verhältnis von antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus. Was hat es damit auf sich?

Darin beschäftigen wir uns mit der Debatte um Parallelen zwischen beiden Phänomenen. Immer wieder wird die These geäußert, es erginge den Mus­li­m*in­nen heute so wie den Jü­d*in­nen in Deutschland vor 1933. Dieser Vergleich verkennt grundlegende Unterschiede. Die Ideologien funktionieren anders. Antisemitismus ist vor allem der Hass auf „die da oben“, Rassismus hat dagegen eher ein herablassendes Element, es geht um eine vermeintliche Überlegenheit gegenüber „denen da unten“. Und die Situation heute ist eine ganz andere als Anfang des 20. Jahrhunderts, als es ja gesellschaftlich anerkannt und normal war, sich selbst als antisemitisch zu bezeichnen.

Gleichzeitig nutzen etwa AfD-Politiker*innen gern den Vorwurf, Mus­li­m*in­nen seien besonders antisemitisch …

Natürlich gibt es auch Antisemitismus unter Muslim*innen. Dennoch ist dieser Vorwurf der AfD nicht aus Sorge für Jü­d*in­nen zu erklären, sondern durch den Wunsch, Mus­li­m*in­nen pauschal zu diffamieren und auszugrenzen. Kurz gesagt: Die AfD instrumentalisiert Jüd*innen, um eine antimuslimische Agenda zu legitimieren. Studien zeigen deutlich, dass gerade AfD-Politiker*innen antisemitische Codes häufiger benutzen und unter ihrer Wäh­le­r*in­nen­schaft antijüdische Positionen überproportional verankert sind.

Gibt es antimuslimischen Rassismus von links?

In vielen linken Kreisen gilt Religion als etwas, was die Gesellschaft überwinden muss. Das ist eine legitime Weltanschauung, doch gibt es auch jene Linke, die ihre religionskritische Haltung nur am Islam abarbeiten. Der Islam wird dabei als besonders große Bedrohung dargestellt, als rückständig und demokratiefeindlich. Diejenigen, die eine solche Haltung vertreten, haben große Schnittmengen mit antimuslimischen Parolen von rechts.

Es war ausgerechnet der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer, der 2020 den Ex­per­t*in­nen­kreis ins Leben rief, dem Sie angehören. Seehofer ist nicht gerade für Sensibilität beim Thema Rassismus bekannt. Hatte das Auswirkungen auf Ihre Arbeit?

Wir sind ein unabhängiges Gremium und haben entsprechend gearbeitet. Es gab auch keine Versuche von der Seite der Politik, unsere Arbeit zu beeinflussen.

Seehofer hat insbesondere Po­li­zis­t*in­nen immer wieder vor dem Vorwurf in Schutz genommen, dass sie rassistisch gegenüber Mus­li­m*in­nen seien. Welche Erkenntnisse zu Rassismus bei der Polizei stecken in Ihrem Bericht?

Antimuslimische Feindbilder sind in der Polizei weit verbreitet. So sind beispielsweise fast 30 Prozent der befragten Po­li­zis­t*in­nen in Hessen besorgt, dass Deutschland ein islamisches Land werden könne. Als jemand, die in Hessen lebt, frage ich mich schon, wie sich diese Haltung im polizeilichen Alltag äußert – und auch intern. Erst vergangene Woche wurde der Fall eines Polizisten in Frankfurt bekannt, der aufgrund seines arabischen Vornamens von seinen Kollegen rassistisch gemobbt und ausgegrenzt wurde.

Wie hat sich die Lage verändert, seit Seehofer und die Große Koalition abgetreten sind?

Als positiv kann man bewerten, dass diese Regierung mit Reem Alabali-Radovan eine Antirassismusbeauftragte hat. Dennoch bleibt zu sehen, wie ernst das Anliegen des Berichts genommen wird. Dass die Bundesinnenministerin Nancy Faeser doch keine Zeit in ihrem Kalender für die Vorstellung des Berichts gefunden hat, wirft für mich Fragen auf.

Was müsste denn passieren, damit es besser wird?

Wir haben klare Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung formuliert. Zuerst braucht es mehr Bewusstsein in Politik und staatlichen Behörden dafür, dass antimuslimischer Rassismus ein reales Problem ist – beispielsweise mithilfe von Sensibilisierungsmaßnahmen für angehende Be­am­t*in­nen. Zudem empfehlen wir die Gründung eines Sachverständigenrates und ei­ner*­ei­nes Bundesbeauftragten, um das Problem nachhaltig zu bekämpfen.

Außerdem sollten Beschwerde- und Monitoring-Stellen ausgebaut werden. Der Kultusministerkonferenz empfehlen wir, die Lehrpläne und Schulbücher zu überarbeiten: stereotypische Darstellungen von Mus­li­m*in­nen zu korrigieren und Muslimfeindlichkeit als Problem zu adressieren. Wir empfehlen, dass Muslimfeindlichkeit in den Kodex des Deutschen Presserats aufgenommen wird. Und es ist wünschenswert, dass Mus­li­m*in­nen öffentlich sichtbarer werden und beispielsweise stärker in Schlüsselpositionen vertreten sind.

Ist Letzteres nicht oft nur eine kosmetische Verbesserung?

Klar: Nur weil mehr muslimische Jour­na­lis­t*in­nen berichten, ändert sich nicht automatisch etwas an muslimfeindlichen Diskursen in den Medien. Aber es bringt Potenzial für Veränderungen mit sich. All unsere Handlungsempfehlungen funktionieren im Zusammenspiel. Mehr Monitoringstellen ändern ja auch nichts, wenn nicht gleichzeitig Fortbildungen zur Sensibilisierung des Phänomens angeboten werden. Bessere Schulbücher bleiben wirkungslos, wenn das Lehrpersonal nicht sensibler mit dem Thema umgeht als bisher. Es braucht ein Gesamtkonzept.

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