EU-Lieferkettengesetz: Dieser Standard wird Schule machen

EU-Firmen müssen künftig mehr Arbeitssicherheit, Bezahlung und Umweltschutz in den Fertigungsländern garantieren. Warum das kein Standortnachteil ist.

Ein Junge posiert für die Kamera vor Schränken mit Garnrollen

Ein syrischer Teenager vor Garnrollen in einer türkischen Textilfabrik Foto: Valerio Muscella/Redux/laif

Die meisten Unternehmen arbeiten nachhaltig und bewahren den Planeten vor Unbill. Jedenfalls versprechen sie das. Die Wirklichkeit sieht oft ganz anders aus: Viele Firmen versuchen kaum, ihre ökonomische Praxis und die mehrheitlich akzeptierten moralischen Vorstellungen miteinander zu versöhnen. Daran könnte das europäische Lieferkettengesetz, welches das EU-Parlament am Donnerstag beschloss, etwas ändern: Firmen aus EU-Ländern sind künftig verpflichtet, in ihren weltweiten Zulieferfabriken höhere soziale und ökologische Standards umzusetzen.

Ethisch ist es richtig, Arbeitssicherheit, Bezahlung und Umweltschutz auch in armen Staaten zu verbessern. Nur gemeinsame Anstrengungen können verhindern, dass sich eine Katastrophe wie beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza mit über 1.100 Toten wiederholt – das hat der sogenannte Bangladesch Accord bewiesen, ein Vertrag zwischen internationalen Konzernen und Gewerkschaften. Das EU-Lieferkettengesetz kann nun dazu beitragen, solche Fortschritte in viele weitere Länder auszudehnen. Hoffnung macht etwa, dass die hiesigen Auftraggeber künftig auch die Bezahlung der Beschäftigten in den Fertigungsländern berücksichtigen müssen. Existenzsichernde Löhne werden – endlich – zum Ziel erklärt.

Auch wirtschaftspolitisch setzt die EU mit dem neuen Gesetz einen Standard, dem sich Firmen weltweit anschließen werden. Als größter Wirtschaftsblock der Erde neben den USA und China ist sie dazu in der Lage. Ausländische Betriebe, die in Europa arbeiten, müssen das Gesetz ebenfalls anwenden. Zudem machen EU-Gesetze international Schule, wie sich zum Beispiel an der Datenschutzgrundverordnung beobachten lässt. Schließlich wollen viele global tätige Konzerne nicht darauf verzichten, mit der EU Geschäfte zu betreiben.

Unternehmen aus Europa werden also wohl weniger Kostennachteile gegenüber der Konkurrenz erleiden, als mancher Wirtschaftsverband jetzt befürchtet. Eher haben sie Vorteile, weil sie einen neuen Standard als erste beherrschen lernen. Wer will, kann all das nun als Wirtschaftsimperialismus in ethischem Gewand denunzieren. Die Ar­bei­te­r*in­nen an den Nähmaschinen jedoch werden die Fortschritte zu schätzen wissen.

Wobei man sich immer mehr wünschen kann: Das Gesetz würde zwar Schadenersatzklagen gegen europäische Unternehmen erleichtern, dennoch existieren hohe Hürden. Abzuwarten bleibt auch, wie das Gesetz die anstehende Verhandlung mit den EU-Mitgliedstaaten übersteht. Immerhin: Die Auswüchse der Billigglobalisierung dürfte es etwas zurückdrängen.

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Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.

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