Grünen-Kreisvorsitzende über Koalition: „Wir erreichen unsere Ziele nicht“

Die Grünen in Cloppenburg hadern mit der Ampel-Koalition. Nun haben sie einen Bundesparteitag beantragt, um über einen Koalitionsaustritt zu sprechen.

Kanzler Scholz mit Finanzminister Lindner, Vizekanzler Habeck lauschend

Grüne außen vor: Kanzler Scholz mit Finanzminister Lindner, Vizekanzler Habeck lauschend Foto: Michael Kappeler/dpa

taz: Frau Rameil, wollen die Cloppenburger Grünen die Ampel-Koalition im Bund stürzen?

Anne Rameil: Nein, das ist bei dem Antrag auf die Einberufung eines dringlichen Bundesparteitags definitiv nicht unsere Absicht. Aber wir brauchen als Grüne eine öffentlich wahrnehmbare Debatte darüber, was unsere roten Linien in dieser Koalition mit SPD und FDP sind.

Aber Sie wollen schon auch über einen Austritt der Grünen aus der Koalition debattieren, heißt es im Antrag.

Uns war von Anfang an klar, dass diese Koalition nicht einfach wird. Und natürlich gehört es dazu, dass wir in der Koalition Kompromisse schließen müssen. Wir vermissen aber deren Ausgewogenheit: Wir Grüne mussten schon ziemlich viele bittere Pillen schlucken, die ihre Ursache in der Energiekrise hatten und die wir mittragen mussten. Nun machen aber SPD und FDP gegen uns gemeinsame Sache und torpedieren die Klimaziele.

Das heißt?

In dieser Koalition erreichen wir unsere politischen Ziele nicht im erforderlichen Maß. Nun darf aber nicht der Eindruck entstehen, dass wir Grüne an der Macht kleben und um jeden Preis regieren wollen. Warum sollten bisherige Grünen-Wähler*innen bei kommenden Wahlen sonst noch einen Grund haben, uns ihre Stimmen zu geben? Deshalb ist klar, dass ein Austritt aus der Koalition auch eine Option ist, über die wir diskutieren sollten.

56, ist Co-Vorsitzende der Grünen im Kreis Cloppenburg. Beruflich leitet sie einen ambulanten Pflegedienst.

Stoßen Sie damit in der Partei- und Fraktionsspitze auf offene Ohren?

Uns teilte der Bundesvorstand mit, dass er den Antrag als Misstrauensvotum versteht. Dabei ist das gar keine Kritik an unserer Parteispitze: Viel mehr wollen wir ihnen und ihren Forderungen gegenüber den Koalitionspartnern Nachdruck verleihen, wir wollen sie unterstützen. In den Koalitionsgesprächen kann unsere Parteispitze der SPD und der FDP künftig klar machen: Hier macht unsere Partei nicht mit und das stärkt sie.

Was sind denn die roten ­Linien?

Mit dem Aufweichen der Sektorenziele und dem beschleunigten Autobahnausbau befinden wir uns ganz nah an den roten Linien: Diese Ergebnisse des Koalitionsausschusses Ende März haben gezeigt, dass Kompromisse nicht mehr ausgewogen sind. Und auch der anhaltende Streit um die Kindergrundsicherung enttäuscht uns sehr – offensichtlich fällt uns jetzt auf die Füße, dass die Einigung zur Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag zu ungenau war und jetzt um die Finanzierung gerungen werden muss. Das alles sind Ergebnisse, bei denen selbst im konservativen Cloppenburg die grüne Seele leidet. Und zuvor mussten wir schon eine Menge bitterer Pillen schlucken, etwa bei der Verlängerung der AKW-Laufzeiten. SPD und FDP haben offenbar beschlossen, in uns die größte Konkurrenz zu sehen und uns deshalb permanent zu attackieren.

Was folgt daraus?

Für die Zukunft müssen wir also die grünen Kernthemen des Koalitionsvertrags definieren, die nicht verhandelbar sind.

Beschlossen hatte den Antrag eine Kreismitgliederversammlung – wie verlief darüber die Diskussion?

Es war sogar eine außerordentliche Mitgliederversammlung. Die findet erst statt, wenn sich mindestens zehn Prozent der Mitglieder dafür aussprechen. Ich bin seit Ende der 90er bei den Cloppenburger Grünen aktiv und das hat es seither bei uns noch nie gegeben. Es war dann eine sehr differenzierte Debatte, die aber im Tenor absolut einhellig war. Nur sehr wenige Mitglieder fanden die Form, also die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags, zu scharf.

Glauben Sie, dass Ihre Wut über die Ampel-Koalition repräsentativ für die gesamte Grünen-Basis ist?

Das kann ich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Natürlich geht manchen unsere Forderung, auch über einen Austritt aus der Koalition zu sprechen, zu weit. Was aber offensichtlich ist: Es gibt mit dieser Koalition ein breites Unbehagen und unser Antrag trifft durchaus auf positive Resonanz.

Wie optimistisch sind Sie, dass sich zehn Prozent der Kreisverbände hinter Ihren Antrag stellen, damit der außerordentliche Parteitag stattfindet?

Wir haben sehr schnell Rückmeldungen einiger Kreisverbände erhalten, die uns unterstützen. Und viele Kreisverbände haben uns informiert, dass sie vor Ort über unseren Antrag diskutieren wollen. Noch kann ich aber nicht einschätzen, ob wir in den nächsten Wochen genügend Zustimmung bekommen.

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