Studium und Klasse: Scham, Stolz, Studienabschluss

Unser Autor hat endlich sein Masterstudium erfolgreich beendet – nach 14 Semestern, mit 32 Jahren. Warum der Weg zum Abschluss so ein langer war.

Portrait des Rappers Haftbefehl

Thema der Masterarbeit: Rapper Haftbefehl und die psychologische Anziehungskraft von Gangsta-Rap Foto: Paul Zinken/dpa

Liebe Leser:innen, ich habe vor Kurzem einen wichtigen Lebensabschnitt beendet: mein Studium. Ich habe meine Masterarbeit (über den Rapper Haftbefehl und die psychologische Anziehungskraft von Gangsta-Rap) erfolgreich verteidigt und somit das Masterstudium der Politikwissenschaft abgeschlossen. Damit lasse ich nun den Lebensabschnitt hinter mir, der mein bisheriges Leben in ein Vorher und Nachher teilt, weil mit ihm wenig so geblieben ist, wie es einmal war.

Ein abgeschlossenes Studium? Ist das der Rede wert?, denken Sie jetzt vielleicht als Le­se­r:in einer Zeitung, deren Le­se­r:in­nen zum großen Teil Aka­de­mi­ke­r:in­nen sind (knapp 80 Prozent haben laut einer Leser:innen-Befragung im Jahr 2019 ein abgeschlossenes Studium). Für mich aber ist dieser Abschluss nicht selbstverständlich. Auch weil er einige Zeit in Anspruch genommen hat, mehr Zeit als bei anderen.

Es hat lange gedauert, weil ich im ersten Mastersemester ein Praktikum bei der taz gemacht habe und nach dem zweiten angefangen habe, hier zu arbeiten. Weil Studieren neben der Arbeit doch nicht so ein Selbstläufer gewesen ist, wie ich es mir bei meiner Entscheidung schöngeredet habe. Andererseits war die Entscheidung alternativlos: Was kann man mit deinem Studium später überhaupt anfangen!?

Besonders bedrohlich klingt diese Frage, wenn man der Erste in seiner Familie ist, der an einer Universität studieren darf, weshalb man diese Chance auf keinen Fall verspielen darf; und wenn man von Bafög abhängig ist, das früher als später ausläuft, man keine finanziellen Rücklagen und auch kein Erbe in Aussicht hat. Also: Ja, klar, gib Arbeit!

Du musst das durchziehen, Junge!

Das mit dem Job lief zum Glück ganz gut, auch ohne Master (hätte anders laufen können). Das Studium konnte ich trotzdem nicht aufgeben (Hallo!? Du bist der Erste, du musst das doch zu Ende bringen, Junge!). Du musst also das Studium durchziehen, aber du kannst dich nicht wirklich auf das Studium verlassen, weshalb du früher als andere Arbeit finden und Geld verdienen musst.

Irgendwann habe ich nicht mehr darüber gesprochen, dass ich noch an der Uni eingeschrieben bin. Bis auf wenige Ausnahmen wussten nur enge Freun­d:in­nen davon, dass ich eine Masterarbeit schreibe. Auf die erfolgreiche Verteidigung habe ich nur mit einem Freund angestoßen. Später kamen noch kurzfristig und zögerlich Eingeladene dazu. Ich habe mich dafür geschämt, dass ich den Master nicht wie andere mit 25, sondern mit 32 Jahren abschließe. Dabei gibt es keinen Grund, sich weder für ein spät abgeschlossenes noch für ein nie angefangenes oder abgebrochenes Studium zu schämen.

Weil ich das jetzt erst verinnerlichen kann, möchte ich an dieser Stelle, an der es oft um Enttäuschung und Wut darüber geht, warum ein Studium für manche Menschen selbstverständlich ist und für andere eben nicht, auch einmal ein anderes Gefühl mit Ihnen teilen: den Stolz darüber, dass ich es nach 14 Semestern endlich zu Ende gebracht habe.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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