„Quiet Quitting“-Debatte: Es heißt soziale Ungleichheit

In Debatten über Arbeitsmoral wird oft ein Konflikt zwischen Alt und Jung behauptet. Das lenkt davon ab, dass es eigentlich um Reich und Arm geht.

Der Kopf einer Buddha-Statue

Muss man sich leisten können: in ein Kloster ziehen, um nach dem Sinn des Lebens zu suchen Foto: Panthermedia/imago

Sie sagen, die jungen Leute wollten nicht mehr arbeiten. Und wenn sie doch noch arbeiten, weil sie das Geld halt brauchen oder zumindest eine Antwort auf die Smalltalk-Frage „Was machst du so?“, dann arbeiteten sie zunehmend weniger: lieber Teilzeit als Vollzeit, lieber 30 statt 40 Wochenstunden.

Sie definierten sich nicht mehr über ihren Beruf wie einst ihre Eltern. Ihre Maxime: Nur noch das Nötigste erledigen, ja nicht verausgaben, die Freizeit genießen. Diejenigen, die diesen Umstand in Zeitungsartikeln feststellen oder behaupten, in manchen Fällen beklagen, in anderen begrüßen, nennen ihn: Quiet Quitting.

Die jungen Leute, sagen sie, wollten nicht mehr so viel arbeiten, nicht weil sie ignorante Fau­len­ze­r:in­nen seien, wie es manch erregter Kommentar aus der älteren Generation vielleicht doch andeutet. Eher habe sich ihre Arbeitsmoral verändert, weil sie den Sinn des Lebens woanders sähen als in Lohnarbeit; weil sie auch erkannt hätten, dass sie nicht mit den gleichen Aufstiegschancen rechnen können wie einst ihre Eltern. Für die älteren Generationen sei es leichter gewesen, aus eigener Kraft an Eigentum zu kommen, ein Haus zu bauen oder eine Wohnung zu kaufen. Früher sei es halt besser gewesen.

Social Inequality klingt cooler

Auch wenn es dem eigenen Unbehagen ein klares Ziel gibt: Die jungen Leute, sie nennen sie auch Millennials (auch nicht mehr die Jüngsten!), sind nicht gleich junge Leute. Und die älteren Leute, sie nennen sie auch Boomer, sind nicht gleich ältere Leute. Die jungen Leute und die alten Leute gibt es genauso wenig wie die Migranten, die Türken, die Hertha-Fans, die Las­ten­rad­fah­re­r:in­nen. Wenn man nun aber trotzdem so tut, als gäbe es sie, und sich dann Alte und Mittelalte und Junge und Jüngere streiten und diskutieren und aufeinander sauer sind, dann freuen sich die Mächtigen und Wohlhabenden, weil dann keiner über sie spricht. Man nennt das: Ablenkung.

Dabei sind junge Leute entweder junge Leute, die erben werden oder deren Eltern sich um andere Formen von Absicherung für sie kümmern konnten, weil sie selbst in der finanziellen Lage dazu waren. Oder sie sind junge Leute, die es nach hartnäckiger Auseinandersetzung mit dem Bafög-Amt geschafft haben, mit staatlicher Hilfe zu studieren, nur um dann zu merken, dass ein Studium allein noch keinen sozialen Aufstieg bedeutet. Und die dann auch sehen, dass sie das, was die anderen jungen Leute haben, wahrscheinlich niemals haben werden: finanzielle Sicherheit.

Während die einen jungen Leute kündigen können, wenn sie gerade eine Sinnkrise durchleben, um dann in ein buddhistisches Kloster zu ziehen und den wahren Sinn des Lebens zu suchen, müssen die anderen auch arbeiten, wenn sie ihre Arbeit als extrem sinnlos erleben. Man nennt das: soziale Ungleichheit. Man könnte es aber auch Social Inequality nennen. Das klingt cooler.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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