Wortwahl in der Klimakatastrophe: Sprache als Klimakiller
2-Grad-Ziel, Umwelt, CO2-Äquivalente, Kompensation: Viele Klimabegriffe sind verharmlosend oder sachlich falsch. Ein Plädoyer für klügere Sprache.
Zu langsam, zu ineffektiv, zu häufig wirkungslos – die Pariser Klimaziele von „deutlich weniger als im Schnitt 2 Grad plus“ werden von keinem Land der Welt erreicht. So beurteilt die globale Klimabewegung die Maßnahmen der nationalen Regierungen rund um den Globus. Die fossile Lobby ist viel zu stark, die Regierungen sind zu sehr mit ihr verbandelt oder trauen sich zu wenig. Aber ein wenig ist auch die Klimawissenschaft verantwortlich – aufgrund ihrer Sprache.
Es fing bereits an mit dem Begriff „Klimawandel“. US-Wissenschaftler der 1970er und 1980er nannten das Phänomen immerhin noch „Treibhauseffekt“. Treibhäuser sind heiß, das begreifen Menschen intuitiv. Aber „Klimawandel“? Ach, irgendwas ändert sich doch immer. Und Wandel klingt nach Lustwandeln, nach Spaziergang in lauschigen Wandelhallen.
Dann, einige Zeit später, das „2-Grad-Ziel“. Gefühlt sind zwei Grad Unterschied nicht der Rede wert: Schon allein der Wärmeunterschied zwischen Tag und Nacht ist größer. Abermillionen von Menschen haben die dramatischen Konsequenzen von „plus 2 Grad“ nie verstanden. Das Rechnen mit globalen Mittelwerten, die auch Ozeane, sprich 70 Prozent der Erdoberfläche, miteinschließen, verschleiert das Wesentliche der Klimakatastrophe: Extremwetter und Landzerstörungen. Also Hitzewellen, Dürren, Wüstenbildung, Überflutungen, Meeresanstieg, Unberechenbarkeit von Jahreszeiten und Ernten, Unsicherheit von Leben überhaupt. Wäre als Kernbotschaft vermittelt worden, dass lokal viele höhere Temperaturen entstehen und somit Welternährung und Lebenssicherheit auf der Kippe stehen, wäre die Wirkung weit größer gewesen.
Sodann der Begriff „negative Emissionen“. „Negativ“ ist ein negativ besetztes Wort, „Emissionen“ auch. „Negative Emissionen“ müssen also etwas besonders Schreckliches sein. Was, es geht um Treibhausgas-Speicherung? Warum nennt man das dann nicht so? Der Begriff „Umwelt“ wiederum ist nicht den Klimawissenschaften anzulasten, weil schon älter, aber ebenfalls verhängnisvoll. Alles, was lebendige Natur ist, pulsierendes Leben, quirlige Artenvielfalt, wird in ein menschenzentriertes Wort gequetscht. Um-Welt, das ist die Welt um den Menschen herum, seine Bedürfnisse und Interessen.
Mitwelt statt Umwelt
De facto eine Un-Welt, weil der Begriff leugnet, dass Menschen ohne Natur nicht existieren können. Um-Welt, das ist die fatale Fortsetzung des Bibelspruchs: „Macht euch die Erde untertan!“ Der Spruch wurde über Jahrhunderte benutzt, und bis heute gelten Tiere, Pflanzen und Ökosysteme juristisch als Dinge. Eine verdinglichte „Umwelt“ ist viel leichter zu erobern, auszubeuten und zu zerstören als das lebendige Subjekt einer „Mitwelt“ mit ihren nichtmenschlichen Mitgeschöpfen, die ihren Eigenwert in sich selbst trägt.
„CO2-Äquivalente“ ist ein weiterer Problembegriff. Er suggeriert, dass man alle Treibhausgase mit CO2 gleichsetzen und verrechnen könne. Dabei haben Lachgas, Methan und Stickoxide völlig unterschiedliche biologische Kurz- und Langzeitwirkungen. Auch Wasserdampf ist ein Treibhausgas. Die Erfindung der „CO2-Äquivalente“ dient dazu, Computersimulationen für die Wirkung von Klimamaßnahmen zu erstellen. Sie führt aber auch dazu, dass Autos, Kühe und Reisfelder als CO2-Emissionsquellen mit Mooren oder Wäldern als CO2-Emissionssenken verrechnet werden – obwohl Verbrennermaschinen eine völlig andere Wirkung haben als Kühe. Die wegen ihres Methan-Rülpsens als „Klimakiller“ geschmähten Rinder etwa können mittels nachhaltiger Weidesysteme jede Menge CO2 auf Weiden speichern helfen.
Qualitative Unterschiede
Mit anderen Worten: Über die rein quantitative Verrechnung mittels „CO2-Äquivalenten“ gehen entscheidende qualitative Unterschiede verloren. Das wirkt sich zugunsten von großtechnischen Vorschlägen und Scheinlösungen aus und zulasten von natürlichen Klimalösungen. Inzwischen ist überall zu lesen, dass „wir“ nicht mehr umhinkommen, in Form der CCS-, DACCS- oder BECCS-Technik CO2 abzuscheiden und unterirdisch zu lagern. Auch der grüne Vizekanzler Robert Habeck redet so daher.
Dieses CO2-fixierte Denken suggeriert zudem, dass man entstandene Schäden mit Geld „kompensieren“ könnte – etwa indem man beim Kauf von Flugtickets gegen einen Aufpreis kleine Solarprojekte fördert. Deren lokale Wirkung kann aber die weit über den CO2-Ausstoß hinausreichende Negativwirkung von Kondensstreifen in der Atmosphäre niemals reparieren und wiedergutmachen. Dennoch sind dadurch alle verführt zu glauben, dass sie munter weiter Treibhausgase ausstoßen dürfen, solange es scheinbar möglich ist, andernorts CO2 einzusparen. Auch die gigantischen Naturzerstörungen, die etwa durch den Lithiumabbau für Elektromotoren entstehen, werden so unsichtbar gemacht. Viele glauben deshalb, es reiche, ein E-Auto und ein paar Solarpanels zu kaufen, um die Klimakrise zu stoppen.
Naturbasierte Lösungen wirksamer
Dabei sind naturbasierte Klimalösungen mit ihren positiven Nebeneffekten weit wirksamer als technische. Wenn wir die Natur ungestört für sich wirtschaften lassen, gewinnen auch wir Menschen – etwa an Erholungsorten und gesunder Ernährung. Moorschutz, Aufforstungen, Humusaufbau, Pflanzenkohle, regenerative Landwirtschaft, Küsten-, Watten-, Seegras- und Mangrovenschutz, renaturierte Flussläufe, wiederergrünte Schwammstädte – all das hat ein ungeheures, bis heute nicht ansatzweise gehobenes Klimapotenzial.
Ich persönlich möchte nicht in einer Techno-Welt voller Maschinen zur CO2-Abscheidung und E-Autos leben. Sondern in einer Welt der Naturfülle mit renaturierten Wäldern, Stadtparks und Mooren, mit Lebensräumen für unsere wilden Mitgeschöpfe. Renaturierungen sind schön, und wir sollten ihre Schönheit mit einer Sprache beschreiben, die die Natur in ihrer ganzen Lebendigkeit feiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen