Nach dem Erdbeben in Syrien: Eine schreckliche Ausgangslage

Im Bürgerkriegsland steht die Hilfe nach dem Erdbeben vor enormen Problemen. Vor allem die Rebellengebiete sind schwer zu erreichen.

Zwei junge Männer sitzen erschöpft und traurig auf den Trümmern eines Hauses in Aleppo

Rettungskräfte in Aleppo: Über das genaue Ausmaß der Zerstörungen gibt es bisher wenig Angaben Foto: Omar Sanadiki/ap

KAIRO taz | Es ist nach dem Erdbeben schwer, sich einen Überblick über die Lage in Syrien zu verschaffen. Denn es sind politisch und verwaltungstechnisch zwei getrennte Gebiete betroffen: das vom Regime in Damaskus kontrollierte Aleppo plus Umgebung und die von den Rebellen kontrollierte nordwestliche Provinz Idlib. Über das genaue Ausmaß der Zerstörungen gibt es von beiden Gebieten bisher wenig Angaben. Bisher wurden dort über 1.700 Tote gemeldet. Eine Zahl, die sicherlich noch steigen wird, da noch viele Menschen unter den Trümmern begraben liegen und es vor allem in der Provinz Idlib an schwerem Bergungsgerät fehlt.

Die Ausgangslage in beiden Gebieten war schon vor den Beben katastrophal. In der Rebellen-Provinz Idlib leben fast 3 Millionen Binnenflüchtlinge, die in den letzten zwölf Jahren Bürgerkrieg vor dem Regime geflohen sind. Die meisten leben unter der Armutsgrenze. In einem Bericht der Organisation World Vision vor zwei Monaten ist die Rede davon, dass die Selbstmordraten, vor allem unter jungen Menschen, dort in der ersten Hälfte letzten Jahres enorm angestiegen sind. Der meist angegebene Grund: eine verzweifelte wirtschaftliche Situation. Dazu kam 2022 noch ein Cholera-Ausbruch. Und jetzt das Erdbeben.

Was die Armut betrifft, ist die Ausgangslage in dem vom Regime kontrollierten Gebiet nicht viel besser. Laut Martin Griffiths, dem Chef des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten, leben 90 Prozent der Syrer unter der Armutsgrenze und über 80 Prozent wissen nicht, wovon sie die nächste Mahlzeit finanzieren sollen. Der Ukrainekrieg und die Inflation bei Nahrungsmittelpreisen haben diese Lage noch verschärft.

Weder das Regime noch die Rebellen sind auch nur annähernd in der Lage, die Folgen des Erdbebens alleine zu stemmen. Und beide haben ihre ganz eigenen Probleme, wenn es darum geht, internationale Hilfe in die vom Erdbeben betroffenen Gebiete zu bekommen. Für die vom Regime kontrollierten Gebiete, vor allem für die Stadt Aleppo, muss Hilfe über Damaskus kommen. Dazu gibt es derzeit noch sehr spärliche Informationen. Nachbarländer wie der Irak und der Iran haben aber bereits Hilfe geschickt. Ein 50-köpfiges russisches Bergungsteam kam am Dienstag in Damaskus an. Russland und der Iran sind die wichtigsten Verbündeten Assads.

Sanktionen bremsen Hilfe

Die weitere internationale Nothilfe sollte jetzt von den UN koordiniert werden. Aber es gibt in den Regime-, anders als in den Rebellengebieten, keine NGOs und internationale Organisationen, die helfen können, nur den syrischen Roten Halbmond.

„Wir brauchen schwere Geräte, Feuerwehrfahrzeuge und Krankenwagen, um die Bergungsarbeiten durchzuführen, eine Menge Probleme kommen jetzt zum Vorschein wegen der Sanktionen gegen Syrien“, erklärte der Chef des Roten Halbmonds, Khaled Hboutati, am Dienstag in Damaskus. Diese US-Sanktionen, infolge der dokumentierten Menschenrechtsverletzungen des Regimes, könnten sich als größte Bremse in der Erdbebenhilfe erweisen.

Und spätestens wenn es um den Wiederaufbau geht, wird das Assad-Regime an seine Grenzen stoßen. Denn bisher weigern sich die meisten Staaten, mit Assad zusammenzuarbeiten. Und selbst die UN waren in den letzten Jahren immer wieder in Skandale verwickelt, weil Hilfslieferungen im korrupten Amigo-Sumpf des Regimes verschwanden und Lieferverträge mit Assad-Kumpanen abgeschlossen wurden.

Zusammenarbeit eher unwahrscheinlich

Die Rebellengebiete haben ein anderes Problem: Trotz des Versprechens des Regimes am Montag, ganz Syrien mit Erdbebenhilfe zu versorgen, ist es unwahrscheinlich, dass die Rebellen und das Regime zusammenarbeiten. Dazu gibt es zu viel gegenseitiges Misstrauen.

Die gesamte Versorgung der Rebellengebiete lief in den letzten Jahren nur über die türkische Grenze, auch alle Hilfslieferungen. Auch die Erdbebenhilfe für die Provinz Idlib wird hauptsächlich auf diesem Weg stattfinden. Eine Sprecherin des UN-Büros zur Koordination Humanitärer Hilfe, das in den letzten Jahren alle Hilfslieferungen nach Idlib abgestimmt hat, erklärte am Dienstagmittag, dass zeitweise keine Hilfslieferungen über Bab al-Hawa, den einzigen Grenzübergang in die Idlib-Provinz, stattfinden konnten, da einige Zufahrtsstraßen zerstört und nicht zugänglich sind.

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