Nach den Erdbeben in Syrien: Alleingelassen

Im Rebellengebiet bergen die Weißhelme Verschüttete mit Händen. Strom und Wasser sind ausgefallen, Menschen schlafen im Freien.

Ein Mann mit verstaubter Kleidung und weißem Helm steht erschöpft auf einem eingestürzten Gebäude

Ein erschöpftes Mitglied der Weißhelme in Idlib Foto: Muhammad Al-Hosse

IDLIB taz | Mit bloßen Händen und Schaufeln suchen Mitglieder der Freiwilligen­organisation Weißhelme in den rebellengehaltenen Gebieten Nordsyriens nach Überlebenden des Erdbebens. Es fehlt an technischen Geräten zur Ausgrabung und an Fahrzeugen. Die Zahl der in den zerstörten Häusern Begrabenen ist enorm, Zivilisten und weitere Freiwillige helfen den Bergungstrupps.

Nach Angaben der Organisation ist die Zahl der in den rebellengehaltenen Gebieten Gestorbenen bisher auf 1.280 und die der Verletzten auf 2.600 gestiegen. Sie befürchten, dass die Zahl weiter ansteigen wird: Viele Menschen stecken noch unter den Trümmern fest.

Ahmed Abu al-Huda, der in Idlib lebt, erzählt der taz: „Mit meiner Familie schlief ich im vierten Stock eines Hauses im Stadtzentrum. Der Boden begann zu beben und wir rannten hinaus auf die Straße. Wir sahen zwei Tote, Vater und Tochter, die unter dem Dach eines in sich zusammengefallenen Hauses feststeckten. Die Weißhelme haben lange gebraucht, um sie zu bergen.“

Amer al-Hussein, der westlich von Idlib lebt, wartet darauf, dass sein Sohn aus der Ruine seines Hauses geborgen wird. 36 Stunden, erzählt er, hätte es gedauert, bis seine Enkelkinder aus den Trümmern geholt wurden. „Wir haben sie nun beerdigt“, sagt er. „Wir werden in dieser Katastrophe alleingelassen“, erklärt er. „Wir rufen die arabischen Länder und die gesamte Welt an, uns zu helfen.“

Assad fordert Aufhebung der Sanktionen

Hilfe soll nun aus der Türkei kommen. Hilfskonvois durften die Grenzübergänge Bab al-Hawa, Bab al-Salaam und al-Rai zwar passieren, doch bisher sind sie noch nicht in den betroffenen Gebieten angekommen.

Das vor allem von der islamistischen Hayat Tahrir asch-Scham kontrollierte Rebellengebiet kann vom syrischen Regime Baschar al-Assads wohl keine Hilfe erwarten. Im ebenfalls vom Erdbeben betroffenen, im Regime­gebiet liegenden Aleppo ist mittlerweile ein russischer Bergungstrupp angekommen, auch der Iran und Irak schicken Hilfe. Assad fordert außerdem eine Aufhebung der Sanktionen gegen sein Regime – von denen Hilfsgüter für Erdbebenopfer sowieso nicht betroffen wären.

Unterstützung brauchen die Menschen im Rebellengebiet nicht nur zur Bergung der Toten und womöglich noch Lebenden. Das Erdbeben hat große Risse in den Hauswänden hinterlassen. Auch vor dem Beben waren viele Gebäude in schlechtem Zustand: Die Armut ist hoch, die Infrastruktur unzureichend. In Idlib leben viele Binnengeflüchtete, die aus anderen Regionen vor dem Assad-Regime flohen. Das Erdbeben, sagt Sobhi al-Kurdi, die in Idlib lebt, sei noch beängstigender gewesen als die Bomben während des Krieges. „Wir wussten nicht, wann das ­Beben aufhören würde.“

Auch das Stromnetz ist beschädigt, Elektrizität und Wasser in den am stärksten betroffenen Gebieten ausgefallen. Auch die Kälte macht den Menschen zu schaffen. Aus Angst vor einem erneuten Beben oder dem Einsturz instabiler Gebäude schlafen manche weiter im Freien.

Aus den vom Erdbeben betroffenen Gebieten der Türkei, in denen auch viele syrische Geflüchtete leben, kommen immer mehr Leichen im Rebellengebiet an – den Familien ist es wichtig, dass ihre Angehörigen in syrischer Erde begraben werden. Auch von Massengräbern in Harim, nahe der syrisch-türkischen Grenze, wird berichtet.

Al-Hussein sagt: „Lob sei Gott, wir nehmen unser Schicksal und unsere Bestimmung an, aber der Schmerz in unseren Herzen wird bleiben.“

Mitarbeit: Lisa Schneider

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