Label für angebliche Klimaneutralität: Werbung mit sieben Siegeln

Zertifizierungsfirmen helfen Unternehmen, ihre Produkte als klimaneutral zu vermarkten. Verbraucherschutzorganisationen sehen das als „Ablasshandel“.

Plastikflaschenabfüllung, eine Frau mit blauem Arbeitskittel

Klare Sache für Verbraucherschützer: Diese französische Wasserabfüllanlage ist gar nicht so öko Foto: Foto: Richard Damoret/REA/laif

BERLIN taz | Glaubt man der Werbung, ist die Fifa-Fußball-Weltmeisterschaft in Katar „klimaneutral“. Dabei wurden zahlreiche Stadien dort neu gebaut, Spielfeld und Zuschauerplätze sind trotz geöffneter Dächer klimatisiert. Oder das „Volvic“-Mineralwasser des Lebensmittelkonzerns Danone: Es wird in Einweg-Plastikflaschen verkauft und hunderte Kilometer aus Frankreich herangekarrt. Und das Unternehmen Hipp bewirbt Babybrei als „klimapositiv“ – obwohl er teilweise Rindfleisch enthält, das im Vergleich zu anderen Fleischarten und zu pflanzlichen Lebensmitteln besonders viel Treibhausgas verursacht.

„Immer wieder wollen Organisationen und Unternehmen mit ihrer Werbung den falschen Eindruck erwecken, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung dem Klima nicht schadet“, kritisiert Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands. „Tatsächlich entstehen in der Produktion aber grundsätzlich klimaschädliche Emissionen.“

Die würden etwa Unternehmen nach eigenen Angaben durch Projekte ausgleichen, die an anderer Stelle Treibhausgase einsparen sollen. „Der Handel mit freiwilligen Kompensationszertifikaten ist aber nicht reguliert. Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist somit völlig unklar, wie verlässlich Emissionen kompensiert werden. Das ist Greenwashing und sollte verboten werden“, so Pop. Sie fordert ein explizites Verbot der Werbung mit „Klimaneutralität“ oder ähnlichen Formulierungen.

Das verlangte am Donnerstag auch die auf die Nahrungsmittelbranche spezialisierte Verbraucherorganisation Foodwatch. „Um ein Lebensmittel mit Klima-Claims zu vermarkten, müssen die Hersteller nicht einmal den Treibhausgasausstoß reduzieren“, erklärte der Verband. Foodwach hat Anbieter von Klimaneutral-Labeln wie Climate Partner oder Myclimate untersucht. Keiner mache seinen Kunden konkrete Vorgaben zur Reduktion, so Foodwatch.

Das Geld mit den Gutschriften

Damit rührt die Verbraucherorganisation an eine inzwischen weit verbreitete Praxis von Unternehmen: Eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission fand bei 10 Prozent der Lebensmittel und 8 Prozent der anderen untersuchten Waren sowie Dienstleistungen einen „Klima-Claim“. Bei Eiern war sogar jedes vierte Produkt dabei, bei Milch, Orangensaft und Tomaten circa jedes sechste. Inzwischen dürfte der Anteil Foodwatch zufolge noch gestiegen sein, da die europaweite Studie aus dem Jahr 2020 stammt und seitdem weitere Hersteller das Klima als Marketing-Thema entdeckt haben.

Nicht von ungefähr: Allein die Lebensmittelbranche verursacht rund 30 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen. Deshalb ist die Branche besonders bemüht, sich klima­bewusst zu geben.

Dafür kauft sie über die Label­anbieter CO2-Gutschriften aus „vermeintlichen Klimaschutzprojekten“, wie Foodwatch schreibt. „Dort werden Emissionen reduziert, indem fossile Energiequellen durch erneuerbare Energien ersetzt, lokale Aufforstungsmaßnahmen mit Kleinbauern umgesetzt und energieeffiziente Technologien implementiert werden“, erläutert der Labelanbieter MyClimate.

Zwar würden die Zertifizierungsunternehmen die Maxime propagieren: „Zuerst Emissionen vermeiden, dann reduzieren und zuletzt kompensieren“, so Foodwatch. Dass die Anbieter ihre Kunden dennoch nicht zur Treibhausgassenkung verpflichten, liegt der Verbraucherorganisation zufolge wahrscheinlich vor allem an einer Tatsache: Sie verdienten den VerbraucherschützerInnen zufolge an jeder verkauften Gutschrift.

Auch ohne Label kann man etwas tun

UmweltschützerInnen bezweifeln, dass die Kompensationsprojekte wirklich das Klima entlasten. Für die EU-Kommission hat das Freiburger Öko-Institut 2016 hunderte zertifizierte Klimaschutzprojekte analysiert. Das Ergebnis: Nur 2 Prozent der untersuchten Projekte halten sehr wahrscheinlich, was sie versprechen. Gründe sind zum Beispiel, dass die Angaben der Projektbetreiber zur Höhe der gebundenen Treibhausgase auf nicht verifizierbaren Hypothesen basierten. Foodwatch hält die Annahme für „hochspekulativ“, ein Projekt würde das Klima entlasten: „So kann jeder Baum doppelt verbucht werden, obwohl er höchstens einmal zum Klimaschutz beiträgt“. „Das Geschäft mit der Klimawerbung“, folgert Rauna Bindewald von Foodwatch, „ist moderner Ablasshandel, der dem Klima mehr schaden als nützen kann“.

Die EU-Kommission will laut Foodwatch Ende November einen Entwurf für eine „Green Claims“-Verordnung vorlegen, zudem wird aktuell über eine Verbraucher-Richtlinie diskutiert – darin könnten grüne Werbeversprechen strenger reguliert werden. Bundesernährungsminister Cem Özdemir sollte sich dabei für ein Verbot von „Klimalügen“ einsetzen, forderte der Verband.

Climate Partner, die Fifa und Hipp ließen eine Bitte der taz um Stellungnahme bis Redaktionsschluss unbeantwortet. MyClimate verteidigte sich mit dem Argument: „Wir sprechen mit dem Kunden über die Hotspots der CO2-Berechnung.“ Das bedeutet nicht, dass MyClimate die Kunden zur Reduktion verpflichtet. Danone und Granini erklärten, sie würden Emissionen wo immer möglich vermeiden.

Wer klimafreundliche Produkte bevorzugen will und „klimaneutral“-Labeln nicht vertraut, kann vor allem weniger tierische Lebensmittel wie Fleisch und Milchprodukte konsumieren. Sie haben eine vergleichsweise schlechte Klimabilanz.

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