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Vorfälle bei Frankfurter PolizeiRechte Chats und tödliche Schüsse

Der hessische Innenausschuss zitiert Innenminister Beuth zur Befragung. Es geht um zwei schwerwiegende Vorfälle bei der Frankfurter Polizei.

Bei einem Polizeieinsatz im Frankfurter Bahnhofsviertel starb ein Mann durch Kopfschuss Foto: 5vision Media/dpa

Frankfurt am Main taz | Ein Dutzend Abgeordnete des hessischen Landtags unterbricht am Dienstag aus aktuellem Anlass den Sommerurlaub. In Wiesbaden kommt der Innenausschuss zu einer Sondersitzung zusammen. Einmal mehr fordern Parlamentarier Aufklärung von Hessens Innenminister Peter Beuth, CDU.

Grund dafür sind gleich zwei Vorfälle, in deren Zentrum die Frankfurter Polizei steht. Zum einen geht es um einen Mann, der bei einem Einsatz durch den Schuss aus einer Dienstwaffe getötet wurde. Zum anderen – mal wieder – um rechtsextreme Chats und den unangemessenen Umgang damit innerhalb der Behörde.

Bei einem nächtlichen Einsatz hat ein Polizeibeamter in der vergangenen Woche einen randalierenden 23-jährigen Drogenabhängigen mit der Dienstwaffe getötet. Zunächst hieß es, der Mann sei auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Inzwischen steht fest: Er starb nach einem gezielten Kopfschuss.

Die tödlichen Schüsse fielen in der Nacht zum Dienstag in einem einschlägigen Hotel im Bahnhofsviertel. Die Polizei war zu einem Noteinsatz gerufen worden. Ein Mann hatte laut Polizei zwei Prostituierte auf sein Zimmer bestellt. Mit Gewaltandrohung habe er die beiden dazu zwingen wollen, Drogen zu nehmen. Die Frauen seien entkommen und hätten die Polizei gerufen.

Widersprüchliche Angaben

Auch die eingetroffenen Beamten habe der 23-Jährige mit einem Messer bedroht und einen Polizeihund schwer verletzt. Ein „Taser“ – eine Elektroimpulswaffe, wie sie das Überfallkommando in solchen Fällen häufig anwendet – sei nicht zur Hand gewesen, so die Darstellung von Polizei und Staatsanwaltschaft. Das LKA ermittelt, wie in solchen Fällen üblich.

Der Linken-Abgeordnete Torsten Felstehausen will jetzt nicht nur wissen, warum es in Bezug auf Todesart und -zeitpunkt zunächst widersprüchliche Darstellungen zu dem Fall gegeben hatte; auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Waffeneinsatzes stelle sich.

Zweites gewichtiges Thema sind die neuerlichen Vorwürfe gegen Frankfurter Polizeibeamte wegen rechter Chats: Ein Polizeibeamter soll bereits im Jahr 2018 NS-Symbole in Chatrooms geteilt haben. Statt diese Verfehlung nach Recht und Gesetz zu verfolgen, haben ihn offenbar vier Kollegen gedeckt und gewarnt. Darunter waren auch Vorgesetzte. Der Fall wurde am vergangenen Wochenende bekannt. Immerhin spricht auch der neue Frankfurter Polizeipräsident, Stefan Müller, erst wenige Tage im Amt, von einem „ernsten Vorgang“.

Für die Führung der Polizei steht das Fehlverhalten von Beamten bereits fest: Fünf Polizisten sind inzwischen suspendiert und dürfen ihre Dienstgeschäfte nicht mehr ausüben. Darunter sind immerhin der Hauptgebietsleiter der Organisationseinheit, der für die Bearbeitung von Amtsdelikten zuständig war, außerdem ein Kommissariatsleiter in der Fahndung der Kriminaldirektion und ein ihm nachgeordneter Ermittlungsgruppenleiter.

Chats schon 2018, Durchsuchungen erst jetzt

Die drei wussten offenbar, dass einer ihrer Kollegen NS-Symbole wie Hakenkreuze oder SS-Runen in Chats geteilt hatte. Statt die rechten Umtriebe des Kollegen zu verfolgen, sollen sie ihn gewarnt und die Sache vertuscht haben, so der Stand der Ermittlungen. „Diese schweren Vorwürfe betreffen den Kernbereich polizeilicher Führungsverantwortung“, erklärte Polizeipräsident Müller.

Noch ist unklar, weshalb die strafbaren Chats aus dem Jahr 2018 erst jetzt bekannt und weshalb die Durchsuchung und das Beschlagnahmen von Handys erst vor zwei Wochen veranlasst wurden. Die Abgeordneten werden auch danach fragen, ob es einen Zusammenhang mit der Fahndung nach dem Urheber der NSU-2.0-Drohschreiben gibt, im Zuge derer erstmals der Skandal um rechte Chatgruppen in der hessischen Polizei öffentlich geworden war.

Die Affäre um rechte Umtriebe macht der hessischen Polizei und ihrem zuständigen Minister Beuth bis heute zu schaffen. Ende Juni dieses Jahres waren in diesem Zusammenhang noch 64 Verfahren gegen Polizeibeamte anhängig. In 19 Fällen wurden bereits Beschäftigte aus dem Dienst entlassen, mehr als ein Dutzend weiterer Disziplinarverfahren sind eingeleitet.

Der Beamte indes, der jetzt, erst vier Jahre später, mit seinen rechten Machenschaften konfrontiert wird, war bislang davongekommen – offenbar weil er mächtige Verbündete im Apparat hatte.

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17 Kommentare

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  • Der Mann starb infolge eines "gezielten Kopfschusses"; gezielt ausgeführt von einem hessischen Polizisten. HALLOOOO!



    Wieviel mehr Anstrengung bedarf es, um einen gezielten Kopfschuss zu platzieren, gegenüber einem allgemeinen Körpertreffer mit einer Pistole? Also wieso schießt ein Polizist dennoch - mit größter Anstrengung - gezielt auf den Kopf eines Menschen? Randalierend, oder nicht!

    Dass bundesweit die Polizei vermehrt "rechtslastig" ist, ist nicht neu. Ebenso wäre es HEUTE KEINE Meldung wert, dass in den "neuen Bundesländern" eine Tolerierung politisch RECHTER AUSUFERUNGEN auch durch die dortige Polizei (ERSCHRECKENDER!!!) Alltag ist.



    Folglich ist für die TAZleser*innen der diesbezügliche Aufreger damit verbunden, dass sich "ost"-vergleichbare Entwicklungen nun auch im westlichen Bundesland HESSEN unleugbar ZEIGEN! Denn (AUCH) dies belegt, dass Hessen ein echtes Problem nach ausgeprägter CDU-Regentschaft hat. In diese Problematik reiht sich lückenlos ein, was auf www.KeinDemokratieAbbau.de in Bezug auf die in Hessen (mittlerweile auch) vorherrschenden Verhältnisse es anzuprangern gilt. Dies gilt umso mehr, als dass eine Kombination von RECHTER Polizei und rechtsstaatlicher Willkür-Justiz einen kaum mehr zu beherrschenden "Cocktail" ergibt, dessen Entstehung es zu verhindern gilt.



    ;-)



    PS: Denn ist es wirklich wahrscheinlich, dass sich ein Polizist zur Abgabe eines GEZIELTEN KOPFSCHUSSES "hinreißen" lässt, wenn er nicht - auch emotional gefestigt sicher weiß - dass er für diesen - objektiv: polizeilichen Übergriff - keinesfalls zur Verantwortung gezogen wird?!



    Folglich zeigt dieser Fall doch ein SYSTEMISCHES Problem auf, welches sich in Hessen sowohl durch die ausführende wie auch die rechtsprechende Gewalt gleichermaßen durchzuziehen scheint.



    Dies ist gefährlich, und bedarf daher unserer besonderen Aufmerksamkeit.

    • @tazeline:

      "Also wieso schießt ein Polizist dennoch - mit größter Anstrengung - gezielt auf den Kopf eines Menschen? Randalierend, oder nicht!"



      Um ihn ganz sicher als tödliche Gefahr "auszuschalten". Darum geht es auch bei Schüßen in den Oberkörper, wobei ein direkter Herztreffer auch nicht sofort tödlich wirkt ,daher ist der Kopfschuß zuverlässiger.Die "Anstrengung" an sich ist bei jedem Schuß gleich : Die Kraft die man zur Abzugbetätigung braucht. Der (Ober)Körper ist die größere Zielfläche, aber wenn man nahe genug ist ,ist ein Kopfschuß eben auch machbar.



      Ansonsten hat der Mensch nicht einfach nur "randaliert",sonder war mit einem Messer - eine potentiell tödliche Waffe- bewaffnet und hatte dieses schon gegen einen Polizeihund angewendet. Also prinzipiell eine Gefahr für "Leib und Leben".

    • @tazeline:

      "Gezielter Kopfschuss" ???

      Gestern habe ich in einem Leserbrief bei der TAZ nachgefragt, ob es wirklich ein "gezielter" Schuss war. Insbesondere, ob das LKA dies schon ermittelt hatte, oder ob der Schütze geständig war. Eine Antwort, oder eine Korrektur blieb aus. Leider wurde mein Leserbrief auch nicht veröffentlicht. Hm. (Ich hoffe, dass diesmal mein Leserbrief veröffentlicht wird.)

      War es wirklich ein gezielter Kopfschuss ist das ein Skandal erster Güte und darf nicht nur unter ferner liefen berichtet werden.

      War das "gezielt" dagegen nur eine Zeitungsente, dann sollte die TAZ den Mut haben es öffentlich zuzugeben.

      Liebe TAZ, wie entscheidest du dich?

  • "Statt die rechten Umtriebe des Kollegen zu verfolgen, sollen sie ihn gewarnt und die Sache vertuscht haben, ..."



    Ziemlich naiv etwas anderes zu erwarten. Der Korpsgeist der Polizei, nicht Recht stand immer an erster Stelle.



    Polizeigewalt oder polizeiliche Provokationen an (linken) Demonstrationen, unangemessene Behandlung von Gefangenen, Racial Profiling, etc., etc. wurden bis in höchste Stellen abgestritten, toleriert, ignoriert oder gedeckt. Lügen, Falschaussagen, Beweismanipulationen von Polizisten hatten kaum Konsequenzen. Die bisherige Polizeikultur ändert sich nicht so schnell, nur weil sich jaktuell ein paar Politiker oder Polizeiobere über ungesetzliches Verhalten von Polizisten aufregen.

  • Keinen Taser mitzunehmen war hier sicherlich ein Fehler aus dem man lernen sollte, aber nur mal eine Verständnisfrage, was erwarten denn die Herren Journalisten, was die Polizei machen soll, wenn bereits ein Polizeihund verletzt wurde und der Täter mit einem Messer auf sie zukommt? Opferbereitschaft zeigen für einen Drogensüchtigen? Würde ich auch nicht machen.

    • @interpolantics:

      taz-Zitat: "(...) Er starb nach einem gezielten Kopfschuss. (...)"



      Auf die Beine des Angreifers ("polizeiliches Gegenüber") zu zielen war für den/ die BeamtInnen keine Option?

      • @Thomas Brunst:

        Nur in Hollywood Filmen funktioniert in die Beine schießen, Polizisten werden ausgebildet in den Rumpf zu schießen bis der Angreifer am Boden ist. Es kommt aber häufiger vor das der Kopf getroffen wird weil es eine Stress Situation ist und der Kopf etwas ist auf das sich Menschen ganz natürlich fokussieren, der Begriff gezielter Kopfschuss ist hier Fehl am Platz es ist mehr eine Stressreaktion als eine gezielte Hinrichtung.

      • @Thomas Brunst:

        Es wird grundsätzlich nie auf die Extremitäten geschossen, dies wird in der Ausbildung meines Wissens auch gar nicht gelehrt: Der Rumpf (oder, in diesem Fall: Der Kopf) ist ein sicherer zu treffendes Ziel, außerdem wäre auch ein Beinschuss sehr schnell lebensgefährlich, wenn z.B. die Hauptschlagader getroffen wird.

        • @Saile:

          Oliver Tschirner vom Zentralen Kriminaldienst der Polizei in Northeim-Osterode hat das im SPIEGEL-Interview wie folgt erklärt:



          "(...) Dann würden wir auf die Extremitäten schießen, Arme oder Beine. Das ist natürlich situationsabhängig. Wenn der Angreifer bewaffnet ist, würden wir versuchen, ihn durch die Schüsse zu entwaffnen. Der berühmte Knieschuss aus dem Western ist dabei natürlich Legende. Wer jemals unter Stress geschossen hat, weiß, dass selbst der beste Schütze in dieser Situation nicht immer präzise zielen kann. (...)" (spiegel.de, 20.7.16)



          www.spiegel.de/pan...ten-a-1103726.html

        • @Saile:

          Die "Mannstoppwirkung" ist durch Treffer im Rumpfbereich sicherlich grösser als durch Treffer in den Beinen; allerdings liegen im Rumpfbereich auch lebenswichtige Organe wie das Herz.



          Mit dem gezielten Kopfschuss tue ich mich hierbei sehr schwer.

    • @interpolantics:

      Die Formulierung "für einen Drogensüchtigen" würde ich so nicht wählen - ansonsten haben Sie aber Recht. Man muss als Polizist nicht das Risiko eingehen, sich abstechen zu lassen, weder von einem Drogensüchtigen noch von einem Nobelpreisträger.

  • Ein aggressiver, zugedröhnter Angreifer der mit einem Messer auf Polizisten losgeht wird erschossen. Reflexartig muss die Linke natürlich die Frage der Verhältnismäßigkeit stellen! Was hätten die Polizisten machen sollen? Einen Stuhlkreis errichten und das Gespräch suchen?

    • @Frank Stippel:

      Hier Mal eine kleine Sammlung an möglichen Handlungsalternativen von jemandem, der die Polizei aus tiefstem Herz verachtet:

      - wenn schon geschossen werden muss, dann nicht in den Kopf, sondern auf den Rumpf. Jemandem aus kurzer Entfernung in den Kopf zu schießen, endet tödlich. Treffer in den Oberkörper setzen das Gegenüber außer Gefecht und töten es nicht (auch in der Folge sterben die Leute dann doch eher nicht, wenn sie adäquat behandelt werden)



      - Rückzug



      - Pfefferspray

    • @Frank Stippel:

      Der deutsche Untertanengeist feiert - wann immer potentielle Verfehlungen der Polizei untersucht werden sollen - fröhliche Urstände. Wie wissen nicht, was passiert ist (Angaben der anwesenden Polizisten sind in solchen Fällen bei dem bekannten Korpsgeist äußerst kritisch zu betrachten), aber Teile der Gesellschaft nehmen - wie vor 150 Jahren - nach wie vor reflexartig alles für bare Münze, was die staatlichen Organe publizieren. Ihr Beitrag veranschaulicht das sehr schön.

      • @Kaboom:

        Reflexhafte und generalisierende Reaktionen sehe ich auf beiden Seiten.

  • Die hessische Polizei versucht derzeit - landesweit - mit dem "Polizeisommer" (verschiedene Veranstaltungen in den einzelnen Präsidien) ihr ramponiertes Image aufzupolieren. Derweil machen neue Informationen medial die Runde, welche die hessische Polizei im "Zwielicht" (Frankfurter Rundschau, 8.7.22) erscheinen lassen; es geht immer noch - im Zuge des laufenden NSU 2.0-Prozesses - z. B. um ungeklärte POLAS-Abfragen (POLizeiAuskunftSystem) durch Polizeibeamte/-innen in Frankfurt/ Main und Wiesbaden - ohne dienstlichen Bezug. Aber auch um Verfahren gegen Polizeibeamte/-innen, welche in früheren aufgeflogenen rechten Chat-Gruppen aktiv waren.



    Der Rücktritt des obersten Dienstherrn der hessischen Polizei, Innenminister Peter Beuth, ist längst überfällig, weil er für zahlreiche Polizei-Affären und -Skandale in Hessen die politische Verantwortung trägt; somit trägt auch Beuth eine Mitschuld daran, dass mittlerweile vom polizeilichen "Problembundesland Hessen" gesprochen und geschrieben wird.

    • @Thomas Brunst:

      Joah das liest sich doch alles super. Denke er bleibt. Aktuell ist sowas doch Ansporn zu mehr Schandtaten.



      Unsere Politiker übertreffen sich ja fast täglich darin rechte Bestrebungen kleinzureden oder gar selbst mehr oder weniger mitzugehen.