Bericht des Weltklimarats IPCC: Klimawende kann gelingen

Der Weltklimarat warnt vor dem Pfad zu 3 Grad Erwärmung. Die Zahlen rechtfertigen Wut. Es gibt aber auch Erfolge und mögliche Lösungen.

Teilnehmer des Klimastreiks Fridays for Future protestieren und halten ein Banner mit dem Schriftzug « Alle fürs Klima».

Eine gute Entwicklung ist auch das weltweit wachsende Bewusstsein für mehr Klimaschutz Foto: Thomas Banneyer/dpa

BERLIN taz | Der oberste Diplomat der Welt ließ alle diplomatische Höflichkeit vermissen: Der Bericht des UN-Klimarats IPCC sei „deprimierend“ und „eine Schande“, erklärte UN-Generalsekretär António Guterres bei der Veröffentlichung des umfangreichen Reports am Beginn der vergangenen Woche. Vor den drohenden Hitzewellen, Stürmen und Wasserknappheiten verschlössen Unternehmen und Regierungen nicht nur die Augen, sondern „gießen auch noch Öl ins Feuer“, indem sie weiter Kohle, Gas und Öl verbrennen. „Sie sagen das eine und tun das andere“, wetterte der UN-Chef in New York mit Blick auf die Klimaversprechen der Länder, „einfach ausgedrückt: Sie lügen.“

Tatsächlich rechtfertigen die vorgelegten Zahlen jeden Wutausbruch. Die Arbeitsgruppe III des IPCC, die sich mit den Maßnahmen zum Klimaschutz befasst, hat in ihrem Bericht klargemacht, dass die Welt derzeit immer tiefer in die Klimakrise steuert: Trotz aller Versprechen und trotz des Pariser Klimaabkommens von 2015 liegt der jährliche Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase mit umgerechnet derzeit etwa 59 Milliarden Tonnen CO2 so hoch wie noch nie.

In der letzten Dekade gab es die größte je gemessene Zunahme an Emissionen, sie liegen nun 54 Prozent höher als noch 1990. Was an Kohlendioxid mit viel Mühe und Technik eingespart wird, geht durch immer mehr Produzieren und Konsumieren wieder verloren. Das Emissionsbudget für 1,5 Grad ist bereits zu 80 Prozent aufgebraucht. Die Emissionspfade, die sich aus den Klimaversprechen der Länder ergeben, „werden wahrscheinlich 1,5 Grad während des 21. Jahrhunderts überschreiten“, fassen die WissenschaftlerInnen den Stand des Wissens zusammen. Die Welt ist derzeit auf dem Weg zu einer Erwärmung von 3,2 Grad bis 2100.

Und trotzdem: Wer den Bericht genau liest, findet auch Hinweise darauf, dass die Klimawende gelingen kann. Es sind ein paar Hoffnungszeichen, vergraben in den 63 Seiten der Zusammenfassung, neutralisiert durch nüchterne Schachtelsätze der Wissenschaft.

Ein paar Hoffnungszeichen

Große Hoffnung macht den AutorInnen etwa der ungeahnte Aufstieg der erneuerbaren Energien: Zwischen 2010 und 2019 sind die Preise pro Einheit massiv gefallen, für Strom aus Wind (minus 55 Prozent), Sonne (minus 85 Prozent) und Lithium-Ionen-Batterien (minus 85 Prozent). Solarenergie wird zehnmal mehr installiert als vor einem Jahrzehnt, elektrische Autos hundertmal mehr verkauft. „Die Entwicklung war viel schneller, als selbst die optimistischsten Modelle vorhergesagt haben“, sagt Jan Minx, Leiter der Arbeitsgruppe „Angewandte Nachhaltigkeitsforschung“ am Thinktank MCC Berlin und einer der Hauptautoren des Berichts.

Erneuerbare sind deshalb in vielen Weltgegenden die günstigste Energie, wenn neu geplant und gebaut wird, findet der Bericht. Damit können jährlich über 5 Milliarden Tonnen CO2 vermieden werden, wenn einfach die billigste Lösung gesucht wird: Strom aus Wind und Sonne, durch effiziente Autos, Lampen, Schifffahrtsrouten oder Abfallsysteme.

Dann bemerkt der Bericht, dass gute Klimapolitik durchaus wirken kann: Es gebe immer mehr Gesetze, Verordnungen und Regeln zum Klimaschutz, die Emissionen senkten. 2016 etwa wurden demnach schon gegenüber einer Welt ohne Regulierung knapp 6 Milliarden Tonnen CO2 vermieden. Und immerhin: 18 Staaten der Welt – unter ihnen viele Industrieländer – „haben langfristig absolute Emissionsreduzierungen über mindestens ein Jahrzehnt seit 2005 geschafft“, bilanziert der Bericht.

Zwischenfazit: Die Anstrengungen reichen bei Weitem nicht aus. Aber manchmal geht es durchaus voran. Ebenso, wie sich im letzten Jahrzehnt der globale Anstieg der Emissionen deutlich verlangsamt hat.

Nächster Hoffnungsschimmer im Bericht: Die Preise für Klimaschmutz steigen – und das Potenzial, mit CO2-Preisen die Emissionen zu drücken, ist riesig. Schon mit einem weltweiten Preis von 20 Dollar pro Tonne CO2 (derzeit liegt der Preis im EU-Emissionshandel bei knapp 90 Dollar) ließe sich etwa ein Viertel der globalen Emissionen verhindern. Ein CO2-Preis von 100 Dollar weltweit könnte die Hälfte aller CO2-Emissionen vermeiden. Allerdings unterliegen bislang erst 20 Prozent aller Treibhausgase einem solchen Preis. Lohnen würde er sich auch ökonomisch, so der Bericht: Studien zeigten, dass es billiger sei, in saubere Technik zu investieren, als später die Schäden des Klimawandels zu begleichen.

Zum ersten Mal kalkuliert der IPCC-Bericht auch, welche Entlastung veränderte Lebensstile für das Klima brächten. Resultat: Die Folgen können riesig sein: weniger Fleischkonsum, anderer Städtebau, mehr Radfahren und Busse und Bahnen statt Autoverkehr, Energiesparen, weniger Lebensmittelverschwendung oder Reparaturen bei Konsumgütern: All diese Maßnahmen auf der „Nachfrageseite“ könnten „die globalen Treibhausgasemissionen in den Sektoren des Endverbrauchs um 40 bis 70 Prozent im Jahr 2050 reduzieren“.

Auch andere Potenziale sind gewaltig: Die unterirdische Speicherung von CO2 (CCS) mag umstritten sein und wurde im Bericht zum Ärger von Umweltschützern auch als Überlebensstrategie für fossile Rohstoffe geadelt. Aber die Debatte über nötige Speicherung für unvermeidbare Emissionen etwa aus der Industrie ist eröffnet – und zumindest stehen im Zweifel ausreichende geologische Speicher für 1.000 Milliarden Tonnen bereit. Insgesamt 4 bis 7 Milliarden Tonnen Reduktion könnten bessere Forst- und Landwirtschaft bringen, heißt es, und zwar zum Preis von weniger als 20 Dollar pro Tonne. Überhaupt brächten viele dieser Einsparmöglichkeiten Gewinne, etwa bei besserer Luft in Städten, wenn die Kohleverbrennung zurückgeht. Viele solcher Ideen seien „technisch machbar, werden zunehmend kosteneffizient und werden im Allgemeinen von der Öffentlichkeit unterstützt“, heißt es.

Das ist kein Wunder, wenn man eine der großen Grafiken des Berichts betrachtet: Da listen die ForscherInnen auf, welche Klimamaßnahmen gleichzeitig die 17 „nachhaltigen Entwicklungsziele“ (SDG) der UN (etwa Gesundheit, Bildung, Ernährung, sichere Städte, Geschlechtergerechtigkeit) voranbringen, auf die sich die UN-Staaten 2015 geeinigt haben. Fazit: Fast alle Maßnahmen zum Klimaschutz zahlen auf die SDG ein, besonders etwa bessere Stadtplanung, Elektrifizierung, Wind- und Solarenergie. „Wenn wir es schaffen, auf einen nachhaltigen Pfad zu kommen, ist eine große Dynamik möglich“, sagt IPCC-Autor Jan Minx. „Aber es ist wichtig, diese Trendwende in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu schaffen.“

Dafür hilft auch der klare Blick auf die fossilen Realitäten, die der Bericht liefert: Wenn die existierenden und heute geplanten Kohle-, Öl- und Gasprojekte ihre Lebensdauer erreichen, sprengt allein das schon das Budget für 1,5 Grad. Diese Infrastruktur „außer Betrieb zu nehmen, sie mit CCS auszustatten oder auf andere Brennstoffe umzurüsten und neue Kohleprojekte zu streichen“, seien Optionen, um auf den Klimaschutz-Pfad zu kommen.

Das bedeutet einen schnellen weltweiten Kohleausstieg. Das ist nicht einfach und billig schon gar nicht: Den Klimawandel auf 2 Grad zu begrenzen „lässt eine beträchtliche Summe von fossilen Treibstoffen unverbrannt und könnte die beträchtliche Infrastruktur der Fossilen stranden lassen“.

Und der Bericht heftet auch ein Preisschild an diese Werte: 1 bis 4 Billionen Dollar zwischen 2015 und 2050. Das sind die Umsätze, die ein dringend nötiger Ausstieg aus den Fossilen verhindern würde. Das aber müsse sein, so UN-Generalsekretär Guterres. Denn: „In neue fossile Infrastruktur zu investieren ist moralischer und ökonomischer Wahnsinn.“

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