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Grüne und der Krieg in der UkraineOffener Brief gegen offenen Brief

Die Grünen ringen um ihren Kurs: Eine Basisgruppe kritisierte deutsche Waffenlieferungen. Die Gegenseite reagiert mit einer Solidaritätsnote.

Deutschland liefert der Ukraine „Stinger“-Raketen, wie hier bei der Bundeswehr in Meßstetten Foto: Patrick Seeger/dpa

Berlin taz | Reger Briefverkehr bei den Grünen: Am Montag wandte sich eine Gruppe linker Basismitglieder in einem offenen Brief an die Parteispitze und an die eigenen Regierungsmitglieder. „Wir bitten Euch eindringlich, KEINE WAFFENLIEFERUNGEN IN DIE UKRAINE, VERHANDLUNGEN ZUR DEESKALATION SOFORT!“, heißt es darin. 75 Un­ter­stüt­ze­r*in­nen haben den Brief signiert.

Nachdem der Spiegel am Mittwochabend über das Schreiben berichtete, begann prompt auch auf der Gegenseite eine Unterschriftensammlung: Innerhalb von 24 Stunden sammelten sich 138 Grüne, mehrheitlich aus dem Realo-Lager, hinter einem offenen Brief zur Unterstützung des Regierungskurses.

„Wir unterstützen sowohl die von Euch mitgetragenen Waffenlieferungen an die Ukraine wie die von Euch mitgetragenen Sanktionen!“, heißt es in dem knappen Schreiben, das der taz vorliegt und das an die grünen Kabinettsmitglieder sowie an Fraktion und Bundesvorstand adressiert ist. „Wir unterstützen auch die bessere finanzielle Ausstattung der Bundeswehr und die Bemühungen, Deutschland und die EU bei der Energieversorgung unabhängiger zu machen.“

Initiiert hat den offenen Brief unter anderem der Grünen-Mitbegründer Michael Merkel. Unterschrieben haben unter anderem Rezzo Schlauch (ehemaliger Vorsitzender der Bundestagsfraktion), Franz Untersteller (ehemaliger Umweltminister in Baden-Württemberg), Werner Schulz (ehemaliger DDR-Bürgerrechtler und Bundestagsabgeordneter) und Rebecca Harms (ehemalige Fraktionschefin im Europäischen Parlament).

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hatte die Bundesregierung in der vergangenen Woche mehrere ihrer bisherigen Positionen geändert. Die Bundesrepublik liefert nun Waffen an die Ukraine. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte einen Sonderfonds in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr an.

Viele bei den Grünen fühlen sich angesichts der Wende an das Jahr 1998 erinnert. Damals waren die Grünen kurz nach ihrem Regierungseintritt mit dem Kosovo-Krieg konfrontiert. Die Zustimmung zur deutschen Kriegsbeteiligung sorgte in der Partei für heftige Diskussionen.

Anders als damals tritt die Partei diesmal aber – trotz der offenen Briefe – vergleichsweise geschlossen auf. Auf Diskussionsveranstaltungen mit der Basis erhielt die Parteispitze in den letzten Tagen dem Vernehmen nach viel Unterstützung für die Waffenlieferungen. Über die Erhöhung der Militärausgaben finden derzeit noch Verhandlungen innerhalb der Koalition statt. Viele Eckpunkte sind trotz der Ankündigung des Bundeskanzlers noch unklar.

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28 Kommentare

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  • Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen. Und es ist nicht einfach, wie darauf zu reagieren ist.

    Aber es sollte klar sein, daß die Ukraine militärisch nicht die geringste Chance gegen die hochgerüstete russische Armee hat, es sei denn, daß die Nato militärisch eingreifen würde - nur: das würde mit größter Wahrscheinlichkeit einen Atomkrieg zur Folge haben, und der würde nicht nur Deutschland und Europa UND die Ukraine in radioaktiv verseuchte Wüsten verwandeln, sondern die ganze Welt in den Abgrund führen würde sei es durch den nuklearen Fallout, sei es durch den folgenden nuklearen Winter, der zu einer mehrjährigen Verdunkelung der Sonne führen würde undzu Mißernten in globalem Maßstab und dem Hungertod von Millionen von Menschen.

    Was wir brauchen sind nichtmilitärische Druckmittel und Verhandlungslösungen, alles andere ist selbstmörderisch.

  • Ganz so offen scheint der "Offene Brief" nicht zu sein. Ich sehe unter dem Link nur "Facebook...Melde dich an, um fortzufahren"

    Daher sind - abgesehen von den im Artikel zitierten Sätzen - die Inhalte für Menschen ohne Facebook-Account nicht einsehbar.

    War das dieses "offene Netz", für das die Grünen "kämpfen"?



    www.gruene-bundest...themen/netzpolitik

  • Man kann ja gerne darüber streiten, ob Waffenlieferungen an Widerständler den Krieg verlängert und noch mehr Tote, Verwundete und Geflüchtete die Opfer sein werden oder dass smit Waffenlieferungen das eigene Gewissen beruhigt wird und der heroische Widerstand als alternativlos verstanden wird nach dem alten Motto: lieber tot als rot. In diesem Falle: lieber tot als russisch besetzt.



    Nach meinem Verständnis von Humanität und Hilfe muss jeder diplomatische Versuch, Russland als Aggressor zu stoppen, genutzt werden. Jetzt alle Kanäle nach Russland abreissen zu lassen, ist reine Verantwortungslosigkeit und hilft evtl. bei der moralischen Selbsterhöhung. Es geht nicht ums eigene moralische Wohlbefinden. Der Krieg hat schon jetzt Auswirkungen auf unsere demokratischen Prozesse. Innerhalb weniger Stunden setzten die Bellizisten eine Aufrüstungskampagne ohne Beispiel in Gang und der Meinungskorridor wurde erheblich verengt. Pazifistische Meinungen wurden verhöhnt. Deutschland ist zumindest medial im Kriegsmodus.

    • @Rolf B.:

      Sie argumentieren klassisch! Im Lichte heutiger Gefahren, das ein begrenzter Konflikt atomar eskalieren kann... und die ganze Menschheit bedroht sein kann..



      da gibt es doch auch Grenzen für moralische Legitimation für Freiheitskampf, Ukraine versus Russland? 🤔...

    • @Rolf B.:

      "Innerhalb weniger Stunden setzten die Bellizisten eine Aufrüstungskampagne ohne Beispiel in Gang"

      Die alte Bundesrepublik hatte mit mehr als 20 Millionen Einwohnern weniger 1968 472.070 Angehörige der Bundeswehr, 1988 sind es 494.592.



      Nicht zu vergessen die 22.000 des Bundesgrenzschutz die ebenfalls Kombattantenstatus haben und über Spähpanzer, Panzefäuste und Maschinengewehre verfügen.

      de.statista.com/st...nd-der-bundeswehr/

      Die Verteidigungsausgaben der alten Bundesrepublik liegen bis zum Ende des Kalten bei 3% des BIP oder darüber, 1965 bei fast 5%.

      www.tilasto.com/th...gsausgaben-des-bip

      Das fast 200.000 Männer Wehrdienst jedes Jahr leisteten ignorieren wir auch einfach.

      Es ist weder angestrebt noch mit 100 Milliarden Euro möglich zu diesen Zuständen zurückzukehren.

  • "Wir bitten Euch eindringlich, KEINE WAFFENLIEFERUNGEN IN DIE UKRAINE, VERHANDLUNGEN ZUR DEESKALATION SOFORT!"

    Hier frag ich mich, was stimmt mit nicht, die EU/Nato eskaliert nicht und über was soll denn verhandelt werden?

    Putin versteckt nichts, er sagt offen was er vorhat!

    Er leugnet das Selbstbestimmungsrecht der Ukrainer und übrigens auch der Belarussen. Er negiert ihre kulturelle Eigenständigkeit. Wir sind doch alle Russen, schaut denn keiner von den Unterzeichnern Nachrichten?

    Helfer wie Lukaschenka halten Karten in Kameras, in denen auch Transnistrien, also ein Teil von Moldawien besetzt werden soll. Wie offensichtlich soll es denn noch werden? Es läuft auf eine vollständige Einnahme der Ukraine und darüber hinaus heraus.

    Die Fantasierepubliken in Luhansk und Donezk sind Polizeistaaten schlimmster sowjetischer Prägung, mit Folterlagern und Verschwundenen.

    Stanislav Aseyev, ein ukrainischer Autor der im berüchtigten Gefängnis Isolazija einsaß, bevor er durch einen Gefangenenaustausch freikam hat über seine Erfahrungen ein Buch veröffentlicht.

    "Kein Krimi-Phantasieprodukt, sondern ein Dokument dunkler, bitterer Realität: Hunderte Männer und Frauen wurden in der „Isolation“ vor allem mit Strom und fast immer sexuell gefoltert. Die Opfer erlitten schwerste Verletzungen, einige starben. Die Mitgefangenen waren häufig Zeugen der Misshandlungen, immer aber bekamen sie die zerstörten Körper zu Gesicht, wenn diese in die Zelle zurückgeschleift wurden.

    Jeder Folterakt wurde gefilmt und war im Büro des Direktors auf etlichen Bildschirmen live mitzuverfolgen."

    www.deutschlandfun...r-bosheit-100.html

    Und die haben eines der wohlhabendsten Regionen der Ukraine komplett wirtschaftlich gegen die Wand gefahren.

    Alle Dinge die Putin, Lavrov, Schoigu oder Gerassimow im Bezug auf die Ukraine erzählt haben, kein Angriffe auf Zivilisten und so weiter waren Lügen.

    Wie hart kann man die Realität eigentlich leugnen?

    • @Sven Günther:

      Danke für den Hinweis auf den DLF-Beitrag.

  • Es ist eine klassisch linke Positition, Menschen gegen Diktaturen und imperialistische Angriffe zu unterstützen, auch mit Waffen.

    Ich erinnere an die internationalen Brigaden in Spanien und in Nicaragua, sowie an die taz-Spendenkampagne "Waffen für El Salvador".

    Richtig verrückt wird es, wenn diese "linken Grünen" ihren offenen Brief ausgerechnet auf "Facebook" veröffentlichen und man diesen ohne Account anscheinend nicht lesen kann.

    • @Yvvvonnne:

      An dem Facebook-Link war ich auch gescheitert (s.a. mein anderer Kommentar "Ganz so offen scheint der "Offene Brief" nicht zu sein...")

      Habe aber nun von einem im Fediverse aktiven Grünen erfahren, dass der offene Brief auch auf der Webseite der grünen Linken steht:



      www.gruene-linke.d...ef-an-die-gruenen/

      Vielleicht wäre es daher besser, wenn aus dem Artikel auf diese Seite verlinkt wird, damit es offen zugänglich ist?

  • Pazifist ist Diktators Liebling

  • Es ist IMHO nicht nur völlig in Ordnung, sondern absolut notwendig, dass es bei den Grünen Mitglieder gibt, die gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete sind.



    Man muss die Meinung nicht teilen, aber "aushalten" mus man sie.

  • Wie schön, dass es diese Grünen, die sich für weniger Rüstung einsetzen, doch noch gibt. Aber sie werden sich nicht durchsetzen können. Die Rüstungslobby kann jetzt mal so richtig tief durchatmen. Jetzt, wo gerade - auch mit Hilfe der Medien - hier Rüstungsproüaganda betrieben wird wie seit den 80ern nicht mehr.

    • @Jalella:

      Waldimir Putin der Cheflobbyist der deutschen Rüstungsindustrie hat wieder ganze Arbeit geleistet...

  • Je mehr Waffen in Händen Ukraines, desto mehr tote russische Soldaten.



    Das allein kann Putin stoppen.

    Dem Pazifismus dient es nicht, wenn Notwehr nicht unterstützt wird.

    [...]

    Kommentar gekürzt, bitte verzichten Sie auf unpassende Vergleiche. Danke, die Moderation

    • @mife:

      Typisch Amerikanische Denkweise: Waffen für unsere Sicherheit.....am Ende sind es nur die Rüstungsunternehmen die sich die Hände reiben, sonst gewinnt niemand

      • @PartyChampignons:

        Die Ukrainer, denen diese Waffen gerade das Leben retten, sind sicher anderer Meinung. Aber was wissen die schon? Wer entspannt zu Hause sitzt, weiß es natürlich besser.

    • @mife:

      +1 !

    • @mife:

      Mehr Waffen bedeutet mehr Verletzte und Tote auf beiden Seiten. Es soll keine Rechtfertigung sein, aber wenn der Widerstand auf dem Boden zu stark wird und per Stinger Raketen auch niedrigfliegende Luftunterstützung blockiert ist wird Russland noch mehr zu Bombardierungen aus großer Höhe übergehen. Was das für die zivilbevölkerung heißt kann man sich denken. Willst du das nicht wahrhaben oder ist es dir das wert?

      • @LD3000 B21:

        Wir sollten besser die Betroffenen fragen, also die Ukrainer, und die wünschen sich Uboote, Flugzeuge, Panzer usw.

        was putinsche Propagandisten gut finden würden sollte uns schnurz sein...

    • @mife:

      Richtig ist, dass niemandem mehr gedient ist, wo's erst Tote gibt und geben muss. Mit und nur mit rechtzeitiger Aufrüstung der Ukraine - wenn's nach mir ging bis zu einem gewissen Zeitpunkt sogar westlichen Truppen, natürlich nicht in allen Landesteilen, aber das war schon Minderheitenmeinung - hätte man Tote womöglich überhaupt vermeiden können. Jedenfalls innerhalb eines deutlich größeren Teils des Landes. Weil Abschreckung wirkt, ist weithin unbestritten; aber eben auch nur solange nicht schon geschossen wird. Dass Lieferungen jetzt und soweit überhaupt noch praktikabel auch in meinen Augen alternativlos sind, macht sie lange nicht richtig. Sie sind nur weniger falsch als es auch jetzt noch zu unterlassen, aber zu spät ist und bleibt zu spät.

      Die natürlich ganz zufällig veröffentlichten "offenen Briefe" betr. des m.E. gerade unstrittigsten Punktes und einer Partei, die sonst doch ganz besonders darum bemüht ist, stehts Harmonie auszustrahlen, halt ich für ein recht billiges Ablenkungsmanöver. Es war erst im Guardian zu lesen, was bei den Grünen abging, übrigens zu einem Zeitpunkt, da sich jmd. in der Süddeutschen noch fragte, ob die Grünen nicht ein Glaubwürdigkeitsproblem haben *könnten*. Unter'm Strich wurde dort offenbar die eigene Partei belogen und es ging selbstredend nicht um die ja längst beschlossenen Waffenlieferungen. Sondern um die neue Agenda, ich nenne sie die Agenda 2030. Die pikanterweise von einigen ja schon vor der Wahl befürchtet war, teils halb scherzend, aber natürlich von keinem von uns so wie sie sich jetzt ausgestaltet. Das wird viel, viel schlimmer als die Agenda 2010 jemals war und im Gegensatz dieser kann es innenpol. auch weder geklärt noch einmal entschärft werden. (Nur durch NATO-Austritt.) Scholz hat sein Versprechen nicht qualifiziert! Mehr als 2%. Von nun an. Ob Putin überlebt oder nicht, ob Russland sich normalisiert oder nicht, ob hier sonst alles zerfällt oder nicht, oder das BIP mal explodiert, oder nicht.

      • @Tanz in den Mai:

        kein Gesetz ist für die Ewigkeit. Wenn Putin abtritt und Russland sich normalisiert besteht auch kein Grund mehr über die Maßen Geld für Rüstung auszugeben. Und die Frage sei erlaubt, da ja in der Vergangenheit so oft auf dem vielfach größeren Rüstungsetat der Nato rumgeritten wurde, Russland gibt ungefähr genauso viel wie Deutschland für seine Armee aus, wie kann es sein, dass unsere Armee "praktisch blank" dasteht? kann auch irgendwie nicht sein. Wenn es Putin tatsächlich einfällt mal schnell ins Baltikum einzufallen wären wir unseren Bündnispartnern eine schlechte Hilfe, dann mit unserer Geschichte zu kommen, von wegen wir wollten ja eigentlich, wg unserer Vergangenheit, nicht mehr auf andere und schon gar nicht auf Russen schießen. Diese Denke war schon immer unglaubwürdig und nicht zu Ende gedacht – auch im Hinblick auf unsere Lehren aus der Geschichte.

    • @mife:

      So zu handeln wie jetzt, wenn schon dieses Bild verwendet wird, ist, als ob man sich neben das Opfer stellt, sagt, sorry, ich kann nicht eingreifen, aber ich gebe dir was zum wehren.



      Der Vergleich ist ehrlich gesagt absurd und erinnert eher an die Fragen, die einem damals bei der Kriegsdienstverweigerung gestellt wurden, wobei im Kampf um das persönliche Leben niemand einem die Notwehr absprechen kann, auch nicht die Nothilfe. Das bedeutet aber physisches Eingreifen. Genau diese Nothilfe, wenn schon ein solcher Vergleich gewählt wird, wird der Ukraine verwehrt.



      Mehr Waffen stoppen Putin nicht und werden auch nicht die militärische Niederlage verhindern, nur verzögern, darin sind sich Fachleute einig. Welchen Sinn also, welches realistische Ziel haben die Waffenlieferungen? Was ist der Plan dahinter ?

  • Die Grünen werden nach Jahren der Hinterzimmerentscheidungen wieder eine Partei der offenen Debatten. Das hätte ich nicht mehr erwartet.