Geflüchtete aus der Ukraine in Berlin: Hilferuf der Helfenden

Die Situation am Hauptbahnhof, wo täglich Tausende Menschen aus der Ukraine ankommen, gerate zunehmend außer Kontrolle, warnt Moabit hilft.

Ankommen in Berlin: Das Hilfsangebot ist da, aber unübersichtlich am Hauptbahnhof Foto: picture alliance/dpa | Michael Hanschke

BERLIN taz |Mit eindringlichen Worten hat sich am Wochenende Moabit hilft an die Öffentlichkeit gewandt: Die Situation am Hauptbahnhof, wo jeden Tag Tausende Flüchtlinge aus der Ukraine ankommen, drohe zu entgleiten, schreibt die Hilfsorganisation. Geflüchtete fänden sich „immer wieder in nicht tragbaren Situationen“. Jede Nacht schliefen „Hunderte Geflüchtete im Bahnhof auf den Bänken, auf dem Boden und in den Toiletten“, heißt es in der Pressemitteilung. Das habe man vorausgesagt, sei jedoch vom Senat „nicht gehört“ worden.

Eigentlich sollen die Ankommenden am Hauptbahnhof schnell in private Unterkünfte vermittelt werden können – auf der Website unterkunft-ukraine.de haben sich laut Jörg Richert von der Hilfsorganisation Karuna, die die Vermittlung im Auftrag der Senatsverwaltung für Integration koordiniert, bereits rund 25.000 Ber­li­ne­r*in­nen registriert. 2,8 Betten werden von den Bietenden im Schnitt als verfügbar angegeben. Insgesamt sind auf der Website bundesweit über 300.000 Angebote registriert; das Bundesinnenministerium unterstützt die gemeinsame Initiative mehrerer Organisationen und Unternehmen, auch die Ferienwohnungsplattform Airbnb ist beteiligt.

Doch das schnelle Zusammenführen von Bietenden und Suchenden mithilfe der Online-Datenbank funktioniere nicht – stattdessen finde am Hauptbahnhof eine „völlig unkoordinierte“ Verteilung auf die Notunterkünfte statt, sagt Moabit-hilft-Sprecherin Diana Henniges am Sonntag der taz. Wo diese seien und wer dort An­sprech­part­ne­r*in ist, sei oft auch den freiwilligen Hel­fe­r*in­nen am Hauptbahnhof nicht klar. Das wiederum erschwere die Kommunikation mit den Geflüchteten, die dann „aus Angst vor Ungewissheit“ häufig nicht in die wartenden Bussen vor dem Ankunftszelt am Hauptbahnhof steigen wollten. Es brauche dringend mehr „Struktur und Kontrolle“; die Ehrenamtlichen müssten gezielter eingebunden werden, etwa im Krisenstab der Senatsverwaltung.

Täglich kommen „geschätzt mehr als 10.000 Kriegsflüchtlinge“ in Berlin an, sagte ein Sprecher von Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) am Sonntag der taz. Wie viele es genau sind, ist schwierig zu ermitteln, weil die Menschen sich nur zum Teil registrieren lassen und oftmals selbstständig weiterfahren oder Verwandte oder Freunde aufsuchen. In der Nacht zu Samstag sind nach Angaben der Sozialverwaltung rund 1.000 Menschen in Notunterkünfte gebracht worden. Dass das „Matching“ über unterkunft-ukraine.de hingegen nur schwerfällig oder gar nicht funktioniert und auch auf Nachfrage keine Vermittlung zustande kommt, bestätigte am Wochenende auch eine taz-Redakteurin, die dort selbst ein Wohnangebot gemacht hat.

Richert, Geschäftsführer von Karuna, widerspricht dem: Über die Online-Bettenbörse seien bis vergangenen Mittwoch rund 500 drei- bis vierköpfige geflüchtete Familien vermittelt worden. Am Donnerstag weitere 100 Geflüchtete. Richert hofft, „am Montag oder Dienstag“ im neuen Ankunftszentrum in Tegel wieder mit der Vermittlung starten zu können. Er verspricht sich viel von dem zweiten großen Ankunftszentrum für Ukraineflüchtlinge, das derzeit auf dem ehemaligen Flughafen Tegel entsteht und das bestehende Ankunftszentrum in Reinickendorf ergänzen soll.

Laut der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sollen in Tegel täglich 10.000 Menschen versorgt, registriert, beraten und auf Unterkünfte verteilt werden können. Das Personal dafür soll vom Land selbst und vom Deutschen Roten Kreuz kommen. Außerdem soll es bis zu 3.000 Schlafplätze in Tegel geben, in der Nacht zu Sonntag wurden die ersten 500 ans Netz genommen.

Richert sagt, man wolle sich in Tegel bei der Vermittlung in private Unterkünfte besonders auf diejenigen konzentrieren, die entweder besonders bedürftig sind, weil zum Beispiel körperlich beeinträchtigt, oder die ohnehin nur auf der Durchreise sind. Denn für alle anderen brauche es eine längere Perspektive, als Privatunterkünfte in der Regel geben könnten. „Wie viele Menschen das betrifft, können wir aber momentan sehr schwer sagen“, sagt Richert.

Aus Sicht von Moabit hilft muss die zentrale Vermittlungsarbeit hingegen weiterhin im Hauptbahnhof stattfinden. Insbesondere für vulnerable Gruppen, für Menschen mit Behinderung, für Kranke oder Mütter mit Säuglingen sei die derzeitige Situation am Hauptbahnhof und die Odyssee in ein Ankunftszentrum eine unnötige Tortur. Zudem leiste die unkoordinierte Ankunftssituation Menschenhändlern Vorschub, die die Unübersichtlichkeit am Hauptbahnhof für sich nutzen könnten, fürchtet Moabit hilft.

Henniges fordert, die Gruppe der besonders vulnerablen Geflüchteten deshalb gleich bei der Ankunft am Bahnhof vom Rest der Geflüchteten zu trennen, um sie gezielt und vorrangig in Unterkünfte vermitteln zu können. Fläche dafür gebe es im Bahnhof zur Genüge, kontert sie Einwände, der Hauptbahnhof könne so viele Menschen nicht aufnehmen. Etwaige Probleme mit dem Brandschutz, die die Deutsche Bahn sieht, könne man mit Brandwachen und klar markierten Laufrouten begegnen. Brenzlig sei vielmehr der jetzige Zustand, weil durch die am Bahnhof übernachtenden Flüchtlinge „gefährliche Situationen aufgrund ungesteuerter Menschenmassen“ entstünden.

Vom Sprecher der Sozialsenatorin heißt es am Sonntag, man kenne die von Moabit hilft angesprochenen Probleme. Die „nötigen Verbesserungen“ wolle man gemeinsam mit allen Hilfsorganisationen und Ehrenamtlichen besprechen. Zu konkreten Punkten – etwa dass die zentrale Essensversorgung am Hauptbahnhof durch den Senat nicht klappe und die medizinische Versorgung mangelhaft sei – äußerte er sich nicht.

Giffey betonte am Sonntag erneut, dass man auf den Bund angewiesen sei und Berlin die Versorgung der Geflüchteten nicht mehr allein stemmen könne: „Dass der Bund ab nächster Woche verstärkt in die bundesweite Verteilung der Geflüchteten nach einem festgelegten Schlüssel gehen will, ist dringend notwendig.“Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte das am Freitag nach einer Sondersitzung mit den In­nen­mi­nis­te­r*in­nen der Länder schließlich zugesagt, nachdem sie sich Tage zuvor noch ablehnend gezeigt hatte.

Hinweis: In einer früheren Version des Texts hatte es geheißen, Karuna vermittle über unterkunft-ukraine.de 500 geflüchtete Familien pro Tag. Karuna-Geschäftsführer Jörg Richert sagte, die Zahl habe sich auf den täglichen Durchschnitt im Zeitraum 1. März bis 9. März bezogen. Am 10. März habe man nochmal 100 Geflüchtete über die Plattform wonderflats vermittelt. Am Wochenende hätten keine Vermittlungen stattgefunden.

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