Nach dem Urteil im Syrien-Folterprozess: Die Täter sind noch an der Macht

Es war mutig, den Koblenzer Folterprozess zu führen – anderswo ist das keineswegs selbstverständlich. Doch wo bleiben die politischen Konsequenzen?

Ein Transparent mit dem Portrait von Baschar al-Assad hängt in Damaskus

Der wahre Täter: Baschar al-Assad, verantwortlich für die Gräueltaten in Syriens Folterknästen Foto: Youssef Badawi/epa

Die Verurteilung des syrischen Geheimdienstoffiziers Anwar R. im Koblenzer Folterprozess war unumgänglich. Syrien ist ein Folterstaat. Umso deutlicher wird damit auch, wie wichtig und mutig es war, diesen Prozess zu führen. Der Schuldspruch war zu erwarten – und ist dennoch historisch.

Das Gericht wertete vor einem Jahr die Staatsfolter in Syrien als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und sprach von einem „systematischen Angriff auf die Bevölkerung“. Nun hat es den Hauptangeklagten entsprechend verurteilt.

Zugleich ist es beschämend, dass es bis zum Jahr 2022 dauert, die internationale Straffreiheit für Syriens staatlichen Mordapparat zu brechen. Das Urteil fällt fast auf den Tag genau zehn Jahre, nachdem ein algerischer Gesandter der Arabischen Liga Syriens Regime „eine Serie von Verbrechen gegen sein Volk“ zum Vorwurf machte.

Damals, im Januar 2012, demonstrierten jeden Freitag Zehntausende immer noch friedlich gegen Assad, und Armeedeserteure begannen gerade damit, „befreite Zonen“ einzurichten, die Keimzellen des späteren Bürgerkriegs. Über das Vorgehen des Staats berichtete der Algerier damals: „Überall sind Scharfschützen, die auf Zivilisten schießen. Menschen werden gekidnappt. Gefangene werden gefoltert, und niemand kommt frei.“ Seitdem sind Hunderttausende getötet worden, Millionen geflohen, Syrien ist zerstört – und dennoch regt sich weltweit kaum ein Finger gegen die in Damaskus herrschenden Mörder.

All das verleiht dem Koblenzer Urteil politische Relevanz, ähnlich wie schon beim Berliner Tiergartenmord-Prozess, als die Richter russischen Staatsterrorismus konstatierten. Es geht um vergangene Taten, aber nicht um Vergangenheitsbewältigung. Die Täter sind noch an der Macht.

Politische Schlüsse ziehen

Sich mit ihnen anzulegen ist mutig. Einerseits ist dies selbstverständlich; Deutschland kann nicht Millionen Flüchtlinge aufnehmen und zugleich ignorieren, wovor die Menschen fliehen. Sobald Assads Opfer in Deutschland Zuflucht finden, werden Assads Gräueltaten zu einer deutschen Angelegenheit. Und zugleich ist dies keine Selbstverständlichkeit. In vielen Ländern verzichten Justizapparate aus politischen Gründen darauf. Die deutsche Politik muss aus solchen Urteilen politische Schlüsse ziehen und die gebrandmarkten Machthaber ächten, auf allen Ebenen.

Nicht zuletzt: Den Überlebenden und Hinterbliebenen, die den Mut hatten, vor Gericht als Zeugen und Nebenkläger auszusagen, gebührt Ehre – und Schutz. Ebenso allen, die Prozesse gegen Folterer und Mörder im Staatsauftrag ermöglichen und führen. Eine konsequente Völkerstrafjustiz kennt keine Grenzen. Verbrecher an der Macht auch nicht.

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