Gerichtsprozess zu Folter in Syrien: Nur ein unwichtiger Assistenzarzt?

Der Arzt Alaa M. äußert sich zu Foltervorwürfen aus Syrien, die ihm zur Last gelegt werden. Seine Laufbahn sollen ihm diese gar nicht ermöglicht haben.

Ein syrischer Aktivist macht vor dem Gerichtsgebäude das ·Victory-Zeichen

Protest von syrischen Aktivisten zum Prozessauftakt in Frankfurt Foto: Andreas Arnold/dpa

FRANKFURT AM MAIN taz | Die Leute vom Geheimdienst hätten auch im Krankenhaus geschlagen, erzählt der Angeklagte. Er habe gesehen, wie Patienten Fäuste ins Gesicht oder Tritte abbekommen hätten. „Die taten mir leid“, sagt Alaa M. in Richtung des vollen Gerichtssaals. Immer wieder habe der Geheimdienst des Militärs in diesen Tagen des Jahres 2011 Männer eingeliefert, deren Hände hinter dem Rücken und deren Augen verbunden gewesen seien. Er habe von Kollegen gehört, wie manche dieser Patienten in dem Militärkrankenhaus im syrischen Homs gestorben seien. Doch anders als die Anklage es ihm vorwirft, bestreitet Alaa M., mit Folter und Tod in dem Krankenhaus etwas zu tun gehabt zu haben.

Die Verhandlung am Dienstag ist bemerkenswert in einem Verfahren mit internationaler Tragweite: Alaa M. steht am Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht. Die Anklage wirft dem 36-Jährigen vor, Gefangene, die der syrischen Opposition zugerechnet wurden, gefoltert und vorsätzlich getötet zu haben. In den Jahren 2011 und 2012 soll er als Assistenzarzt in einem Militärkrankenhaus und im Gefängnis des Militärgeheimdiensts in der Stadt Homs Menschen in 18 Fällen brutal misshandelt und in einem Fall vorsätzlich getötet haben.

Als die Kameras den Saal verlassen, nimmt Alaa M. den grünen Parka mit der Fellkapuze ab, unter der er sein Gesicht verborgen hatte. Zum Vorschein kommt ein schmaler Mann in einem marineblauen Anzug. Dass er sich auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einlassen würde, war erwartet worden. Doch das Reden übernimmt nicht etwa sein Anwalt Ulrich Endres – Alaa M. redet selbst.

Mit ruhiger Stimme schildert er seine medizinische Laufbahn in Syrien, die zeitgleich zu den oppositionellen Protesten gegen des Regime von Machthaber Baschar al-Assad und dem darauffolgenden Bürgerkrieg stattgefunden zu haben scheint. Beim Reden malt M. mit dem Zeigefinger Punkte in die Luft, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

Die Verteidungsstrategie wird klar

„Die gesamte Situation war Chaos“, sagt er. Er habe nach einer sechswöchigen Krankheit im September 2011 wieder angefangen, im Krankenhaus zu arbeiten. Wegen der Sicherheitslage und den 32-Stunden-Schichten, die er als Assistenzarzt habe leisten müssen, sei er am 27. November 2011 in ein Militärkrankenhaus in der Hauptstadt Damaskus gewechselt.

Alaa M. geht seine Ausbildung zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in unterschiedlichen Kliniken in Syrien, darunter auch weitere Militärkrankenhäuser, chronologisch durch. Bis zu dem Tag, an dem er mit einem von der Botschaft im Libanon ausgestellten Visum in Deutschland einreiste, dem 24. Mai 2015.

Doch so weit ist der Vorsitzende Richter Christoph Koller noch nicht. Am zweiten Prozess­tag in dem Verfahren am OLG Frankfurt geht es drei Stunden lang um die Ereignisse im Jahr 2011. Immer wieder fragt Koller nach. „Jetzt ist das ja die Zeit, wir sagen da Arabischer Frühling. Können Sie was sagen zu Ihrer Ausgangsposition, wie war Ihre Familie, wie waren die zu Assad eingestellt?“ Die Antwort: „Ich war nie Befürworter des Re­gimes.“ Aber auch: „Ich muss die Wahrheit sagen, ich habe mich mit dem Regime arrangiert, um in meinem Leben weiterzukommen.“

Über seine heutige Sicht sagt er, dass er das, was er aus den Medien über das Assad-Regime mitbekomme, für nicht akzeptabel halte. Richter Koller will es genauer wissen und hakt nach. Der Angeklagte sagt, als die Demonstrationen angefangen hätten, habe er sich fast dazu geäußert. Doch er habe religiöse Slogans wie „Alawiten zum Sarg, die Christen nach Beirut“ gehört, die er zu „radikal“ gefunden habe. „Ich war gegen Gewalt von beiden Seiten.“

An einigen Stellen geht M. nicht präzise auf die Fragen des Gerichts ein. Stattdessen spricht er immer wieder über seine Tätigkeit im Krankenhaus. Dabei kommt die Strategie und Positionierung der Verteidigung immer deutlicher zum Ausdruck. „Ich war ein kleiner Assistenzarzt, ich habe meine Aufgaben gemacht“, sagt der Angeklagte. Behandlungen im Militärkrankenhaus hätten nur im Beisein von Vorgesetzten erfolgt, mit den Patienten habe er oft nicht einmal geredet.

Der Angeklagte will sich am Donnerstag noch einmal auf die Vorwürfe einlassen. Insgesamt ist der Prozess in Frankfurt bis Ende März veranschlagt. Doch wegen der schwierigen Beweisaufnahme ist von einem längeren Verfahren auszugehen.

Möglich wurde der Prozess gegen den syrischen Staatsbürger auf Grundlage des sogenannten Weltrechtsprinzips, das in Deutschland gilt. Demnach darf die deutsche Justiz Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann verfolgen, wenn die Straftaten in anderen Ländern begangen wurden und wenn auch die mutmaßlichen Tä­te­r*in­nen keine Deutschen waren. In einem ähnlichen Fall wurde am 13. Januar in Koblenz der ehemalige syrische Oberst Anwar R. zu lebenslanger Haft verurteilt.

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