Film über das Pornofilmgeschäft: Das Geschäft ohne Vergnügen
Regisseurin Ninja Thyberg seziert in ihrem Langfilmdebüt die Pornoindustrie. Mit dokumentarischer Präzision zeigt sie misogyne Mechanismen.
Filme wie „Pleasure“ hat es eigentlich schon unzählige Male im Kino gegeben. Eine junge Protagonistin bricht in ein fremdes Land auf, um ihren Traum zu verfolgen. Der stellt sich allerdings jäh als ein Trugbild heraus. Verbissen versucht sie dennoch daran festzuhalten, es bis ganz an die Spitze zu schaffen. Selbst wenn ihre Seele auf dem Weg dorthin Schaden nimmt.
So lässt auch die 20-jährige Linnéa (Sofia Kappel) die schwedische Heimat hinter sich, um in Los Angeles durchzustarten. Allerdings sucht sie die berufliche Erfüllung am Sehnsuchtsort an der Westküste der USA nicht etwa als Tänzerin, Sängerin oder Schauspielerin, sondern als Pornodarstellerin.
Radikale Selbstermächtigung ist die wahrscheinlichste Motivation hinter ihrem Ziel. Dass sie die Spießigkeit ihrer Landsleute hasst, erklärt sie an einer Stelle. Dass sie „Schwänze“ liebt, an einer anderen. Das eine trägt sie mit jugendlicher Überheblichkeit, das andere mit jugendlicher Lust an der Provokation vor.
„Pleasure“. Regie: Ninja Thyberg. Mit Sofia Kappel, Evelyn Claire u. a. Schweden/Niederlande/Frankreich 2021, 109 Min.
Auf mehr Introspektion verzichtet die schwedische Regisseurin Ninja Thyberg in ihrem erstaunlichen Langfilmdebüt – so ist ihre Protagonistin im Prinzip die typische Heldin des Coming-of-Age-Genres, die nach einem ureigenen Weg im Leben sucht. Und dennoch ist „Pleasure“ weit davon entfernt, ein typischer Vertreter besagten Genres zu sein.
Abrechnung mit der Pornoindustrie
Vielmehr ist das Drama, in seiner wütenden, aber gleichsam sehr zielgenauen Kritik, eine Abrechnung mit der Pornoindustrie. Zielgenau deshalb, weil es erkennen lässt, dass es sich darüber im Klaren ist, dass es die Sexfilmbranche eigentlich gar nicht gibt. Wütend deswegen, weil auf dem Massenmarkt ausbeuterische Strukturen dominieren. Trotz einiger begrüßenswerten Veränderungen, wie einer wachsende Nische an feministischen Produktionen, in denen Performer*innen selbstbestimmt agieren.
Mit dokumentarisch anmutender Präzision seziert Thyberg, die gemeinsam mit Peter Modestij auch das Drehbuch verfasste, Mechanismen und Logiken der Industrie. So gelingt es, sowohl die formalen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, mit denen sich die Branche gerne brüstet, als auch ihren inhärent demütigenden, meist misogynen Charakter zu transportieren.
Bei Linnéas erstem Dreh etwa dokumentiert der Produzent, wie er sie nach Alter, Alkohol- und Drogeneinfluss, Vorlieben und Tabus fragt, das vereinbarte Gehalt (900 Dollar) nennt. Dann wird ihr vom Co-Darsteller ein Fläschchen gereicht, mit dem sie nicht umgehend etwas anzufangen weiß. Dass das eine Vaginaldusche ist, erklärt er ihr. Damit „deine Muschi schön frisch ist für mich“, ergänzt er.
Im Gegensatz zu Frauen sind die männlichen Kollegen nicht mit dem Stigma behaftet, schmutzig zu sein, besondere hygienische Vorbereitungen für sie daher nicht notwendig. Beinahe beiläufige und dennoch enorm treffsichere Verweise auf derlei Doppelstandards finden sich immer wieder im Film.
Würdeloses Casting
In einem von allerhand Körperflüssigkeiten getränkten Gewaltmarsch durchläuft „Pleasure“ im weiteren Verlauf degradierende Casting-Prozesse, macht sein Publikum auf ein System aufmerksam, in dem Agenten als Vermittler die Basis bilden – deren Gebaren sich dabei nur marginal von dem von Zuhältern unterscheidet –, und gibt – meist traumatische – Eindrücke von der Arbeit am Set.
Die Kamera fängt stets genug ein, um nichts zu beschönigen, bleibt aber zurückhaltend genug, um nicht selbst voyeuristisch zu wirken. So ist etwa der entwürdigende „Cumshot“ zwar selbst nicht zu sehen, dafür aber, wie Linnéa wenige Augenblicke später mit beschmiertem Gesicht für Instagram posiert.
Dass das Gezeigte so glaubhaft wirkt, liegt auch daran, dass die Regisseurin nach der Premiere ihres gleichnamigen Kurzfilms in Cannes 2013 mehrere Jahre in der Branche recherchierte und nicht nur die erlangten Kenntnisse, sondern auch Bekanntschaften in die Langfassung einfließen ließ. Außer Kappel, die mit dieser herausfordernden Rolle ein nicht minder beeindruckendes Debüt abliefert, sind alle vorkommenden Personen tatsächlich in der Branche tätig.
So taucht neben dem Pornostar-Agenten Mark Spiegler, dessen Klientinnen zur Porno-Elite zählen, unter anderem Evelyn Claire als Ava auf, die zur zentralen Kontrahentin Linnéas, ihrem Fixpunkt wird. Mit dem Ziel vor Augen, selbst ein „Spiegler Girl“ zu werden, geht sie über enttäuschte Erwartungen hinweg, bietet sexuelle Praktiken an, die sie eingangs noch abgelehnt hat.
Korrumpiert vom Erfolg
„Pleasure“ beweist feines Gespür für den charakterlichen Verfall, den diese Kompromisse gegenüber dem eigenen Wohlbefinden bedeuten. Aufmerksam zeichnet der Film nach, wie seine Heldin vom unbedingten Erfolgswillen korrumpiert wird, eigens Kolleginnen ausbeutet und so letztlich selbst zum Teil des Problems wird. Das Urteil scheint klar: Es gibt kein richtiges Handeln in der falschen Branche.
Beinahe zumindest. Dass es auch anders geht, demonstriert Thyberg bei einem hauptsächlich von Frauen organisierten SM-Dreh: Dort gehören genaue Absprachen, „Safe Words“ und die anschließende Fürsorge zur Regel.
Es ist wohl der einzige Moment, in dem Linnéa so etwas wie Vergnügen oder Lust empfindet. Aber das ist nun mal Nische.
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