Grünen-Abgeordnete über ihre Herkunft: „Feilen, Fräsen und Erodieren“
Tina Winklmann vertritt als einzige Nichtakademikerin die Grünen im neuen Bundestag. Sie glaubt: Ihre Partei ist auch für Schichtarbeiter*innen vom Land attraktiv.
taz: Frau Winklmann, Sie ziehen als einzige Nichtakademikerin für die Grünen in den Bundestag. Wie repräsentativ ist die Partei?
Tina Winklmann: Das Bild der sogenannten elitären Grünen ist nur noch ein Klischee, das sich hartnäckig in der Öffentlichkeit hält. Die Grünen wollen alle vertreten, und tatsächlich ist die Partei viel breiter aufgestellt, als viele denken. Wer sich etwa die grüne Basis anschaut, findet viele Handwerker*innen, Fachangestellte und Pflegekräfte.
Dennoch wählten bei der Bundestagswahl im September nur etwa 8 Prozent der Arbeiter*innen grün. Welche Maßnahmen ergreift die Partei, um attraktiver für diese Wählerschaft zu werden?
Natürlich ist es unser Ziel, mit unseren Ideen noch mehr Arbeiter*innen anzusprechen. Wir setzen uns für einen angemessenen Mindestlohn, eine Tarifbindung sowie eine starke gewerkschaftliche Einbindung ein. Außerdem wollen wir uns mehr dem Teil der Bevölkerung öffnen, der täglich dieses Land am Laufen hält, wie Erzieher*innen, Bäcker*innen, Elektriker*innen und Landwirt*innen. Dadurch lösen sich meinem Empfinden nach viele Vorurteile gegenüber den Grünen langsam auf.
Trotz allem fallen Sie immer noch auf; nicht selten werden Sie von Medien als „ungewöhnliche Grüne“ bezeichnet. Sie sind Mechanikerin und kommen vom oberpfälzischen Land. Wird Ihnen selbst Ihre Herkunft in der Partei manchmal bewusst?
Auf jeden Fall. Aber ich glaube, es ist auch wichtig, dass ich sie merke. Es ist immer noch ein großes gesellschaftliches Problem, dass viele denken, es gäbe Unterschiede zwischen Akademiker*innen und Arbeiter*innen. Aber dem ist natürlich nicht so: Wir Arbeiter*innen sind die Basis der Bevölkerung.
Ich komme vom Land, und da macht man erst mal eine Ausbildung. Darauf bin ich auch sehr stolz: Feilen, Fräsen und Erodieren – das habe ich alles in meiner Ausbildung gelernt. Über zwanzig Jahre habe ich im Schichtdienst gearbeitet. Nachtschichten sind im Bundestag für mich also kein Problem mehr. Grundsätzlich bekomme ich in der Partei aber auch von außerhalb viel Zustimmung; sonst wäre ich erst gar nicht bei den Grünen.
Ihr Hintergrund ist ungewöhnlich für Ihre Partei.
Das stimmt. Ich komme aus der tiefsten Oberpfalz, also mitten aus Bayern. Die Menschen dort wählten früher eher schwarz. Bei den einen Großeltern hingen früher noch CSU-Gedenkteller, bei meinem anderen verstorbenen Großvater hing sogar ein Bild von Franz Josef Strauß an der Wand. Dass ich 1996 zu den Grünen ging, war schon äußerst ungewöhnlich.
Wollten Sie mit Ihrem Grünen-Beitritt rebellieren?
Nein, eigentlich nicht. Ich komme zwar aus einem klassischen Arbeiter*innenmilieu und meine Eltern wählten lange entweder schwarz oder rot. Trotzdem war ihnen vor allem wichtig, dass wir Kinder überhaupt eine Meinung zur Politik hatten; mir war eben schon sehr früh – bereits als Jugendliche – klar, dass es ohne vernünftigen Klimaschutz auf lange Sicht keine Arbeitsplätze geben wird.
Mit etwa elf Jahren gründete ich meine erste, kleine Umweltgruppe: Wir installierten Solarzellen und sammelten Verbundstoffe. Mit 16 Jahren habe ich dann ganz altmodisch das Eintrittsformular bei den Grünen in den Briefkasten geworfen.
Aktuell laufen die Sondierungsgespräche. Stehen da für Sie vielleicht andere Themen im Vordergrund als für Ihre Parteikolleg*innen?
Mir persönlich ist die sozial-ökologische Transformation sehr wichtig. Konkret: Mein großes Ziel ist, dass ich mal jemandem begegne, deren oder dessen Kinder vielleicht schon in der zweiten oder dritten Generation in der Windkraft tätig sind.
ist 41 Jahre alt und hat eine Ausbildung zur Verfahrensmechanikerin für Kunststoff- und Kautschuktechnik absolviert. Sie hat mehr als 20 Jahre bei Siemens im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet.
Kritiker betonen gern: „Klimaschutz muss man sich leisten können“. Wie lässt sich Ihr sozialer Schwerpunkt mit der Grünen Klimapolitik vereinen?
Ganz einfach, denn im Prinzip wollen alle das Gleiche, ob nun Arbeiter*in oder Akademiker*in – und zwar: nachhaltige Arbeitsplätze. In der Oberpfalz zum Beispiel gibt es viele Automobilzulieferer, und die Menschen brauchen die Jobs. Konkret bedeutet das: Der rasche und erfolgreiche Umstieg auf Elektroautos ist auch nötig, um die Arbeitsplätze dieser Menschen langfristig zu sichern.
Also ist die große Liebe der Landbevölkerung zum Verbrennungsmotor bloß ein Klischee?
Es ist definitiv ein großes Vorurteil! Auf dem Land klebt niemand an PS, Protz und Tuning. Viele wünschen sich stattdessen, dass es eine bessere Infrastruktur gibt – also mehr öffentlichen Nahverkehr, eine gute Bahnanbindung oder Ladesäulen für Elektroautos.
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