piwik no script img

Frauenproteste in AfghanistanFrauen an den Verhandlungstisch

Patricia Hecht
Kommentar von Patricia Hecht

Verhandlungen mit den Taliban? Nur wenn Frauen beteiligt sind und ihre Rechte gewahrt bleiben. Das sind wir den mutigen Demonstrantinnen schuldig.

Afghaninnen protestieren in Kabul für ihre Rechte Foto: Reuters

D er Mut der Frauen ist atemberaubend. Am Freitag und Samstag demonstrierten gut zwei Dutzend von ihnen in der afghanischen Hauptstadt Kabul für ihre Rechte. Auf Papieren, die sie in den Händen hielten, stand „Wir sind nicht die Frauen von vor 20 Jahren“ oder „Gleichheit – Gerechtigkeit – Demokratie!“. Auf Videos ist zu sehen, wie die Frauen von 50 oder mehr Taliban umzingelt sind und diese ihnen drohen. Lokale JournalistInnen teilten das Video einer Frau, der Blut vom Kopf läuft.

Während der vergangenen Regierung der Taliban von 1996 bis 2001 durften Frauen nur mit einer Burka verschleiert und in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds das Haus verlassen. Sie durften in der Öffentlichkeit weder laut sprechen noch lachen, nicht zur Schule gehen und erst recht nicht arbeiten. Nun haben die Taliban zwar einen gemäßigteren Kurs versprochen. Doch die Chancen sind gering, dass von den in den vergangenen 20 Jahren erkämpften und praktizierten Frauenrechten viel übrig bleibt.

Es ist deshalb zwingend, dass Frauenrechte zur Grundvoraussetzung für Verhandlungen mit den Taliban gemacht werden. Das bedeutet erstens, dass diese Verhandlungen keine unter Männern werden dürfen. Die Taliban müssen von vornherein akzeptieren, was gleiche Rechte bedeuten: Frauen sitzen mit am Verhandlungstisch.

Zudem müssen Frauenrechtlerinnen und ihre Angehörigen als besonders schutzbedürftige Personen eingestuft werden. Diejenigen, die sich exponiert haben und etwa als Juristinnen Sexualstraftäter hinter Gitter gebracht oder Frauen bei Scheidungen geholfen haben, sind nun extrem gefährdet. Sie brauchen sichere Wege, um das Land verlassen, und Aufnahmeprogramme, um anderswo sicher leben zu können.

Und schließlich müssen für afghanische Frauen die Grund- und Menschenrechte gelten. Mädchen müssen zur Schule gehen und ihre Meinung äußern dürfen, Frauen müssen arbeiten können, auch und gerade in politischen Ämtern, wie die Demonstrantinnen forderten. Ob und inwiefern die Taliban mögliche Zusagen einhalten würden, wird sich nur langfristig zeigen.

Schon jetzt aber fordern sie finanzielle Unterstützung, humanitäre Hilfe und „offizielle diplomatische Beziehungen“ etwa von und mit Deutschland. Kurzfristig also muss die deutsche und internationale Bedingung, um überhaupt mit den Taliban zu sprechen, das uneingeschränkt gleiche Recht für Frauen sein.

Außenminister Heiko Maas (SPD), der sich Frauenrechte auf die Fahnen schreibt und sich für die Umsetzung der Agenda „Frauen, Frieden, Sicherheit“ des UN-Sicherheitsrats einsetzte, hat nun Gelegenheit zu zeigen, wie ernst es ihm damit ist. „Wenn man Frauen ihre Würde nimmt, ist es nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage. Wenn man Frauen ihre Würde nimmt, erlöschen Zukunftsperspektiven ganzer Generationen“, sagte er im Juni dieses Jahres.

Gespräche mit den Taliban laufen bereits. Es liegt nun an Maas, sich für die Sicherheit und Rechte der Frauen ebenso einzusetzen wie für die der deutschen Staatsbürger und Ortskräfte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Patricia Hecht
Redakteurin Inland
war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erschien mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Wenn ich den Artikel lese, kriege ich den Eindruck, Deutschland und co. hätten den Krieg gewonnen.

  • Die "Frauenrechte" bestanden in den letzten Jahren unter anderem darin, dass Frauen als Polizistinnen die von den Besatzern eingesetzte Green-Zone-Regierung unterstützen durften. Dabei starben Hunderte von Frauen.



    Unter den etwa 300.000 Opfern des von Deutschland mitunterstützten Krieges sind Zehntausende von Frauen, die in Drohnenattentaten, Rebellen- und Armeeüberfällen Opfer wurden.



    Tausende von Frauen flüchteten - nicht vor den Rebellen, sondern vor dem Krieg, der seit Jahrzehnten das Leben in Afghanistan unerträglich macht.



    Für Schul- und Hochschulabsolventen gab es nur Jobs, wenn man Verwandte in der Regierung hatte. Dies war bei 10.000 Absolventen der Uni Kabul nur bei 300 der Fall.



    Schul- und Hochschulausbildung hilft nur, wenn es danach auch einen Arbeitsmarkt gibt. In den informellen Ökonomien von Armuts- und Krisenländern baut sich kein Mittelstand auf.



    Du lebst von Deiner Scholle und brauchst jedes Familienmitglied, jede Hand.



    Das erste Recht, das Frauen und Männer in Afghanistan benötigen, ist das Recht auf friedliche Selbstbestimmung.



    Die Entwicklung der afghanischen Gesellschaft wird durch koloniale Auflagen nicht gefördert. Diese erzeugte vielmehr den identitären Widerstand vieler Stämme, die sich nicht unterwerfen möchten und in der Unterwerfung einen Gesichtsverlust gegenüber der eigenen Familie sehen.



    Als Jugendlicher musstest Du in Afghanistan zu Armee und Polizei, wenn das Deine Familie wollte - und zu den Rebellen, wenn es Deine Familie wollte.



    Aufgrund der vielen Opfer in nahezu jeder Familie steht nun die Versöhnung im Vordergrund.



    In einem Kriegsland sind leider alle Menschen Opfer, nicht nur Frauenrechtlerinnen.



    Diese in den Vordergrund des künftigen deutschen Engagements, das überwiegend aus der Unterstützung von Armee und Polizei bestand, zu setzen, ist eine perfide koloniale Provokation.

  • Also wenn in Afghanistan die Verhältnisse bezüglich der Frauenrechte sich so wie in Saudi-Arabien oder gar Iran entwickeln,dann wäre schon viel gewonnen. Uneingeschränkte gleiche Rechte für Frauen sind allenfalls Maximalforderungen als Verhandlungsmasse,keine realistische Grundvoraussetzung für Verhandlungen.



    Was ist denn das Motiv bei den Verhandlungen? Das es da ganz edel,hilfreich und gut einzig um Menschenrechte geht,kann ich als alter zynischer Sack nicht glauben. Das man über humanitäre Hilfe weiterhin einen westlichen Fuß in der afghanischen Tür behalten will ,um den chinesischen Einfluss zu begrenzen, ist schon glaubwürdiger. Ob eine solche Rechnung aufgeht,ist aber unsicher.

  • Wieso stellt man solche Forderungen, wohl wissend, dass sie völlig unrealistisch sind?

    • @Benedikt Bräutigam:

      Frag ich mich auch.

      Jahrzehntelangen Versuchen des Auslands das Land politisch zu einen und zu demokratischen Werten zu führen, haben die Taliban getrotzt. Weder Krieg noch Besatzung haben etwas daran geändert.

      Jetzt, wo der Westen abgezogen ist und die Taliban auf Material und Strukturen zurückgreifen können, die sie vor 20 Jahren nicht hatten, haben sie überhaupt keinen Grund, sich westlichen Forderungen nach Menschenrechten zu beugen.

      Und Geld? Dass kommt aus Katar, den VAE und über Pakistan aus China. Auch Rußland verhandelt und hat sicher nicht die Frauenrechte als oberstes Gebot auf der Agenda.

      Zu glauben, man hätte hier in den Verhandlungen irgendwelche Druckmittel, um Frauenrechte in einem Sytem islamistischer Fundamentalisten einzufordern, ist nicht nur grotesk naiv, sondern offenbart sehr deutlich, dass nicht viel aus dem Scheitern der Mission gelernt wurde.

  • Nachdem die USA und deren Verbündete (darunter auch D.) in Afghanistan eine derart katastrophale Niederlage erlitten haben, glauben nun die Taliban, sie können Forderungen stellen.



    Gegen humanitäre Hilfe für die Bevölkerung ist nichts einzuwenden, gegen finanzielle Hilfe schon. Vor allem, wenn dadurch das undemokratische Regime, dessen Herrschaft noch keineswegs gesichert ist, gestärkt wird. Gleiches gilt für die diplomatische Anerkennung.



    Wenn es um Unterstützung geht, insbesondere finanzielle, richten sich stets alle Augen auf den „Westen“, insbesondere Deutschland. Warum eigentlich? Bekanntlich wurden die Taliban jahrelang von Katar hochgepäppelt. Sollten die Taliban nicht erst mal dort anfragen? Katar ist keineswegs arm!

  • Frauenrechte? Wie weit es das mit der Ideologie der Taliban vereinbar? Der "reinen" Lehre, in der Frauen leider gar keine richtigen Menschen sind.

    Hat sich da was geändert? Wenn nicht, ist all das was die Taliban grade sagen nur politischer Schnickschnack.

    Na ja, vielleicht geht es für ein Weilchen gut.

    Man wird das wohl erst in den nächsten Jahren sehen.

    Die Frauen in Afghanistan tun mir leid.

  • Wieso wurden eigentlich nicht Frauen bewaffnet und überwiegend für das Militär rekrutiert. Die Frauen hätten die Waffen sicherlich nicht so schnell niedergelegt. Frauenrechtlerinnen sollten doch langsam mitbekommen haben: Wer sich auf Männer verlässt, ist verlassen!

    • @Hannah Remark:

      Das sehe ich genauso.

      Es gab vereinzelte Aktionen von Frauen, die sich bewaffneten und wohl kampfbereit waren.

      parstoday.com/de/n...an_zu_protestieren

      Es waren wohl zu wenige und richtig ausgebildet waren sie wohl kaum.

      Vielleicht war die Zeit für eine Frauenarmee oder für Frauenbataillone noch nicht reif.

      In der Bundeswehr sind 12 % der Soldaten weiblich. In Afghanistan hätten es am besten 100 % sein sollen.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Die Taliban werden ein Gegenangebot machen, sie behandeln Frauen wie sie wollen und im Gegenzug halten sie die Grenzen geschlossen und lassen keine Terroristen von ihrem Territorium operieren und wenn der Westen brav ist darf er sogar einmal im Jahr ein paar Islamisten und Kriminelle abschieben.

    Deutschland hat keine Macht gegenüber den Taliban je schneller die Deutschen das kapieren desto besser. Die Situation hätte anders aussehen können dafür hätte man aber eine gut ausgerüstete Bundeswehr und den Willen zum Kampf gebraucht, beides hat man nicht. Wir müssen froh sein nicht an Afghanistan zu grenzen weil sonst müssten wir schonmal die weißen Fahnen vorbereiten

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Brauchen die Taliban Deutschland, um an der Macht zu bleiben? Braucht Deutschland die Taliban, um Menschenrechte in Afghanistan für Frauen durchzusetzen? Da die erste Frage klar mit -Nein- zu beantworten ist, die zweite Frage mit -Ja-, können auch keine Bedingungen in Verhandlungen gestellt werden. Will Deutschland die Menschen in Afghanistan verhungern lassen, wenn die Taliban nicht auf Bedingungen eingehen?



    Es gibt nichts zu verhandeln nach dem Motto: Wenn Ihr keine Menschenrechte einhaltet bekomm Ihr nichts zu essen. Es gibt nur bedingungslose Hilfe, daran werden wir in Zukunft gemessen. In Syrien lassen wir die Menschen verhungern, weil wir Angst haben, dass die Hilfe in falsche Hände gerät.

    • @97287 (Profil gelöscht):

      Afghanistans Wirtschaft ist schrecklich abhängig vom Ausland.

      Wenn die Taliban keinen Aufstand wollen im worst Case Szenario oder einen totalen Zusammenbruch des Landes im best Case Szenario dann ist diese sehr wohl abhängig von Deutschland und dem Rest der internationalen Gemeinschaft.

      Es ist schon bezeichnend das die Taliban nach nicht einmal 4 Wochen an der Macht bereits um Geld bitten.

      Der Erzfeind USA hilft der Taliban gar bei der Bekämpfung des IS, oh welch Ironie.

      In der Position als Staatsmacht ist die Taliban eben nicht nur eine bloße Terrororganisation. Und genau das verleiht Deutschland und dem Rest der Internationalen Gemeinschaft das nötige Druckmittel.

      Die Taliban haben das land erobert aber die Staatskasse ist im Ausland und 80% der Staatseinnahmen stammen von Auslandszahlungen.

      Die Taliban ist um einige x tausend Mann angewachsen durch die übergelaufenen Soldaten, diese müssen auch bezahlt werden. Viele sind ja übergelaufen, weil von korrupten Vorgesetzten, das Geld seit Monaten einkassiert wurde.

      Plünderungen wurden weitestgehend unterbunden, irgendwo muss das Geld herkommen.

      Jetzt ist der beste Zeitpunkt für jeden Pfenning etwas einzufordern.

    • 8G
      86548 (Profil gelöscht)
      @97287 (Profil gelöscht):

      glauben Sie tatsächlich die Millionen Euro deutscher Hilfe kommt bei den Menschen an , die Sie brauchen?

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @86548 (Profil gelöscht):

        Es besteht die Chance, wenn sich NGO’s und Hilfsorganisationen aus den Städten ins Hinterland begeben und direkte Hilfe vor Ort organisieren