Kommentar von Anna Böcker zur neuen Quarantäne-Regelung für Kinder
: Die Durchseuchung der Kinder wird beschleunigt

Anna Böcker

ist Leiterin des Social-Media-Teams der taz

Fortan sollen an Schulen und Kitas nur noch Corona-Infizierte in Quarantäne müssen, die Kontaktpersonen aus der Gruppe aber nicht mehr. Darauf haben sich die Amts­ärz­t*in­nen der zwölf Bezirke geeinigt. Damit wird eine bewährte Methode, Infektionsketten zu unterbrechen, abgeschafft.

Die Ärz­t*in­nen begründen den Schritt damit, dass der seelische Schaden einer Quarantäne größer sei als der einer Covid-Erkrankung, die bei Kindern in der Regel gar nicht ausbreche oder nur leicht verlaufe. Darüber hinaus seien viele Infektionen unter Kindern wegen deren fehlender Impfmöglichkeit ohnehin nicht mehr zu vermeiden.

Die Gesundheitsämter der Bezirke haben also entschieden, die Durchseuchung der Kinder zu beschleunigen. Der Neuköllner Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) behauptet sogar, dass durch die Strategieänderung „die Chancen unserer Kinder auf ein gutes, gesundes und altersgerechtes Aufwachsen“ gestärkt würden. Denn Kinder würden von Bewegungsmangel, Isolation und Bildungsverlust – die Liecke als „Long-Covid-Syndrom“ bezeichnet – besonders getroffen. Das ist eine perfide Verdrehung: Nicht die Langzeitfolgen von Covid, die durchaus auch Kinder treffen können, sondern die Schutzmaßnahmen dagegen seien das wahre „Long Covid“! Dabei war es Aufgabe der Politik, Kinder auf einer Weise vor Covid zu schützen, die sie nicht von Teilhabe und Bildung ausschließt. Damit ist die Politik gescheitert. In Lieckes Erklärung werden „Normalität“ und „verlässliche Betreuung“ durch das neue Vorgehen versprochen: „Wer krank ist, bleibt zu Hause. Alle anderen können lernen, spielen und arbeiten gehen.“ Der Satz müsste weiter heißen: bis auch sie selbst krank werden.

Durch die neue Regelung werden Familien erneut benachteiligt. Anderthalb Jahre mussten sie das meiste individuell zu Hause auffangen, und jetzt werden doch alle Kinder – mehr oder weniger absichtlich – infiziert. Wieder werden die Risiken individualisiert: Wer es sich leisten kann, behält das Kind im Falle eines Coronafalls zu Hause. Für alle anderen ist es eine Zitterpartie, vor allem wenn es weitere Risikopersonen in der Familie gibt, die sich nicht impfen lassen können.

Kinder haben mit wenigen Ausnahmen wieder Präzenzpflicht in der Schule. Eine Impfpflicht für Erwachsene gilt bislang hingegen als unzumutbar. Eine Infektionspflicht für Berliner Kinder offenbar nicht.

berlin