Geld und Glück: Hauptsache, mehr als der Nachbar

Geld leistet einen Beitrag zum empfundenen Glück – das ist unumstritten. Aber gibt es einen Grenzwert, ab dem das Wohlbefinden nicht mehr steigt?

Die 95-Meter-Superyacht Kismet verlässt die Werft Blohm+Voss im Hamburger Hafen. Die im Jahr 2014 ausgelieferte Megayacht besitzt zwei Helikopter-Pads sowie eine private Aussichtsplattform mit einem Außenbett zur Sternbeobachtung

Macht die Luxusyacht glücklich? Kommt drauf an, in welchen Kreisen man verkehrt Foto: Marcus Brandt/dpa

BERLIN taz | Es muss ja nicht gleich die Luxusyacht oder die Villa auf Sylt sein. Aber auch wer nur eine Datscha in Brandenburg erwerben oder einmal im Jahr zur Hochsaison in den Skiurlaub reisen will, muss eine Stange Geld hinlegen. Wäre das Leben nicht viel einfacher, wenn man nicht ständig auf die Finanzen schauen müsste? Und auch wenn soziale Beziehungen und Gesundheit nicht käuflich sind, dürfte sich jeder schon mal die Frage gestellt haben, ob das Leben mit finanziellen Rücklagen nicht sorgenfreier ist. Nur: Wie viel Geld braucht es eigentlich, um glücklich zu sein?

Dieser Frage gehen Ökonomen, Soziologen und Psychologen regelmäßig nach – und kommen je nach Schwerpunktsetzung zu recht unterschiedlichen Ergebnissen. In der Glücksforschung wird zwischen langfristiger Lebenszufriedenheit und dem täglichen emotionalen Wohlempfinden – etwa Freude, Stress, Traurigkeit – unterschieden.

Dass Geld ganz erheblich zum empfundenen Glück beiträgt, wird von keinem wirklich bezweifelt: Finanzielle Reserven versprechen in Deutschland nicht zuletzt Sicherheit im Leben und Entscheidungsfreiheit. Doch bei der Frage, ob es einen bestimmten Grenzwert gibt, ab dem das persönliche Glücksempfinden nicht weiter zunimmt, sind die wissenschaftlichen Antworten ambivalent.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und der Ökonom Angus Deaton von der Princeton University kamen 2010 in einer groß angelegten Studie zu dem Ergebnis, dass die Lebenszufriedenheit ab einem bestimmten Haushaltseinkommen nicht weiter steigt. Für die USA kamen sie auf einen Wert von rund 75.000 US-Dollar netto (derzeit rund 62.000 Euro) jährlich.

Studie: Reiche haben mehr Kontrolle über ihr Leben

Die Forscher sahen den „abnehmenden Grenznutzen“ als Ursache: Ab jener Schwelle sei es Menschen meist nicht mehr möglich, das zu tun, was für das emotionale Wohlbefinden am meisten zähle, wie etwa Zeit mit der Familie zu verbringen oder Krankheiten zu vermeiden. Wer mehr als 150.000 Dollar verdiene, würde oft mehr Verantwortung tragen, länger arbeiten und entsprechend mehr Stress empfinden. Das mache unglücklich. Es komme zudem auf die Vergleichsgruppe an. Ab einem bestimmten Einkommensniveau ginge es vielen nur noch darum, etwas mehr zu verdienen als der Nachbar oder Konkurrent.

Dieser These hat allerdings Anfang dieses Jahres der Psychologe Matthew Killingsworth von der University of Pennsylvania mit einer eigenen Befragung widersprochen. Sein Ergebnis: Nicht nur die allgemeine Lebenszufriedenheit, sondern auch das tägliche emotionale Wohlempfinden steige mit wachsendem Einkommen – und das weit über eine Summe von 80.000 Dollar hinaus. Als einen der Gründe nennt er, dass reiche Menschen das Gefühl hätten, mehr Kontrolle über ihr Leben zu haben.

Auf europäische Länder bezogen gibt es eine Studie von 2019, die den Ergebnissen von Kahnehman und Deaton entspricht. Die For­sche­r:in­nen dieser Studie kommen zu dem Fazit, dass wegen der geringeren Lebenshaltungskosten in Europa der Schwellenwert sogar schon ab einem jährlichen Nettoeinkommen von etwa 28.000 Euro erreicht ist. Das ist ein Betrag, der nur leicht über den tatsächlichen mittleren Einkommen liegt.

Mitschwimmen im Strom

Dieses sogenannte Median-Einkommen bedeutet, dass jeweils genau die Hälfte der Menschen mehr, die andere Hälfte weniger Geld zur Verfügung hat. Anders als das Durchschnittseinkommen ist das Median-Einkommen nicht so stark durch Ausreißer (Schwer- oder Geringverdiener) beeinflusst und gibt daher ein realistischeres Bild der Einkommenslage wieder. In Deutschland lag dieses mittlere Nettoeinkommen 2019 bei etwa 1.950 Euro im Monat.

Der Soziologe und Glücksforscher Jan Delhey von der Universität Magdeburg weist darauf hin, dass die Einkommensschere in Deutschland im Vergleich etwa zu den USA und auch einigen europäischen Ländern gar nicht so hoch ist. Singles zählen bereits ab einem monatlichen Nettoeinkommen von 3.892 Euro zu den 7 Prozent der Bestverdienenden. „Viele Leute mit akademischen Berufen wundern sich bei Befragungen häufig, wie weit oben sie in der Einkommensverteilung stehen“, berichtet Delhey. Die Abstände zu den Spitzeneinkommen seien auch in Deutschland riesig, weil sie nach oben offen sind. Aber um in Deutschland zu den oberen 10 Prozent zu gehören, ist kein astronomisches Einkommen nötig.

Delhey zufolge muss man auch gar nicht zu den Spitzenverdienern gehören, um eine hohe Lebenszufriedenheit zu erreichen. Da genüge schon ein Mitschwimmen im Strom. Ein hohes Einkommen sei umgekehrt auch kein Garant für eine hohe Lebenszufriedenheit. „Wenn Sie keinen Partner haben und keine Sozialkontakte und Sie sich einsam fühlen, dann werden Sie auch als Millionär keine neun oder zehn bei der Lebenszufriedenheitskala ankreuzen“, sagt Glücksforscher Delhey. Es komme zudem auf die Vergleichsgruppe an. Und da würden sich die wenigsten mit Bill Gates vergleichen.

Deutsche Vermögensungleichheit

Auch Wirtschaftsforscher Markus Grabka vom Deutschen Wirtschaftsinstitut (DIW) weist darauf hin, dass die Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen in Deutschland zwar langfristig gestiegen sei, seit etwa 2005 aber verharre. Er hätte allerdings angesichts der wirtschaftlichen guten Lage und der gesunkenen Arbeitslosigkeit einen stärkeren Rückgang erwartet. Hier kämen vor allem zwei Aspekte zum Tragen: „Die Zahl der Migranten, die seit 2010 stark zugenommen hat, und die Ungleichheit der Einkommen aus Kapitalanlagen, hier insbesondere Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung.“

Während Deutschland bei der Einkommensungleichheit im EU-Vergleich im Mittelfeld liegt, sieht es bei der Vermögens­ungleichheit völlig anders aus. Nur die Hälfte der Bevölkerung besitzt überhaupt so etwas wie Privatvermögen, in Ostdeutschland ist dieser Anteil noch niedriger. Das reichste Prozent der Deutschen hortet nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung hingegen etwa 24 Prozent. Tatsächlich dürfte der Anteil sogar noch höher ausfallen, schrei­ben die Forscher der gewerkschaftsnahen Stiftung. Das liege daran, dass sich die Vermögen von Superreichen in einer freiwilligen Erhebung schwer erfassen lassen. Auch das DIW bestätigt, dass Deutschland innerhalb des Euroraums zu den Staaten mit der höchsten Vermögensungleichheit gehört.

„Es gibt die Tendenz, dass in Ländern, die beim Einkommen recht gleichmäßig verteilt sind, die Vermögen sehr ungleich verteilt sind“, sagt Soziologe Delhey. Auch in Skandinavien sei das der Fall. Bei der Vermögensgleichheit deutlich besser schneiden viele einstmals sozialistische Länder ab. Ein Grund: Sie hatten in der Phase der Privatisierung die Wohnungen und Häuser günstig an die jeweiligen Nutzer abgegeben. Heute ist dort die Wohneigentumsquote hoch. Laut Delhey haben Wohn­ei­gen­tü­me­r:in­nen gegenüber Mie­te­r:in­nen oft eine höhere Lebenszufriedenheit.

Der Soziologe hält es für einen Kardinalfehler, dass nach der Wiedervereinigung den Ostdeutschen nicht die Möglichkeit eingeräumt wurde, über günstige Kredite ihre Wohnungen zu kaufen: „Das wäre etwas gewesen, was die Vermögensunterschiede zwischen Ost und Westdeutschland drastisch reduziert hätte.“

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