Grünen-Wahlkampf nach der Flut: Immer schön vorsichtig bleiben

Wie thematisiert man die Flutkatastrophe, ohne die Opfer zu instrumentalisieren? Die gebeutelten Grünen tasten sich an die richtige Tonlage heran.

Ein grünees Wahlplakat wird enthüllt, man sieht einen Kopf von Annalena Baerbock

Vorsichtiger Wahlkampfauftakt. Plakatenthüllung in Brandenburg Foto: Fabian Sommer/dpa

BERLIN taz | Oliver Krischer ist deutlich anzumerken, wie sehr ihn die Hochwasserkatastrophe mitgenommen hat. Als Vizevorsitzender und Klimaexperte der Grünen-Bundestagsfraktion predigt er seit Jahren, dass die Klimakrise zu Dürren, Hochwasser oder Starkregen führt. „Aber wenn Sie in Ihrer Heimat sehen, wie Bäche zu reißenden Flüssen werden, die Autos wegspülen, bekommt das Thema eine andere Dimension.“

Die Katastrophe, bei der vor zwei Wochen ganze Dörfer in Fluten untergingen, fand vor Krischers Haustür statt. Er wuchs in der Eifel auf, heute lebt er im nordrhein-westfälischen Düren. In Gemünd in der Eifel sei der Imbiss, in dem er schon als Schüler Pommes gekauft habe, halb weggespült worden, erzählt er. Das Restaurant um die Ecke sei so zerstört, dass es wahrscheinlich abgerissen werden müsse. „Ich muss ehrlich sagen: Ein solches Ausmaß hätte ich nicht für möglich gehalten.“

Was Krischer erzählt, beschreibt die Stimmungslage bei den Grünen ganz gut. Der Schock über die Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit über 180 Toten sitzt tief, obwohl alle wussten, dass so etwas jederzeit passieren kann. Und ihnen ist klar: Das Ereignis verändert den Wahlkampf, der für die Grünen bisher schlecht lief und sich vor allem um unernste Themen drehte, Baerbocks Skandälchen beim Lebenslauf etwa oder beim Buch.

Aber wie thematisiert man, dass die Klimakrise die Wahrscheinlichkeit solcher Extremwetterereignisse erhöht, ohne das Leid und die Opfer zu instrumentalisieren? Die Grünen-Spitze vollführt gerade einen Balanceakt. Sie will nach wochenlangen Defensivgefechten wieder in die Offensive, aber gleichzeitig den Eindruck vermeiden, Kapital aus einem tödlichen Naturereignis schlagen zu wollen. Ihre Strategie ist bestechend einfach: Immer schön vorsichtig. Schritt für Schritt zu den Inhalten kommen, bloß nicht überziehen.

Anfangs maximale Zurückhaltung

Als vor zwei Wochen die ersten Bilder von reißenden, braunen Wassermassen in Innenstädten in Sozialen Netzwerken zu sehen waren, reagierten die Grünen maximal zurückhaltend. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock reiste ins Krisengebiet, aber nicht in die zerstörten Hotspots und ohne Kamerabegleitung. In Gummistiefeln Präsenz zu zeigen, das sei der Job der AmtsinhaberInnen, so die interne Überlegung – also der von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD).

Baerbock lobte in ihrem ersten Statement die Rettungskräfte und forderte unbürokratische Hilfe für die Opfer. Aber die Klimakrise, das grüne Kernthema, erwähnte sie mit keinem Wort. Auch andere Grüne hielten sich auffällig zurück. Keine plakativen Bilder vor kaputten Häusern, kein Verweis auf den Klimawandel: Seltsam verhalten wirkte das, Scholz und Laschet stellten den offensichtlichen Zusammenhang zum Klimawandel damals schneller her.

Die Zurückhaltung war eine bewusste und intensiv diskutierte Entscheidung der Grünen-Spitze. Baerbock und Habeck wollten nicht in die Falle tappen, wieder mal als Besserwisser da zu stehen. Diese Erfahrung machte der Innenpolitiker Konstantin von Notz, der für einen spitz formulierten Tweet, in dem er auf klimapolitische Versäumnisse der Konkurrenz hinwies, sofort von der Bild-Zeitung hingehängt wurde.

Es sei völlig richtig gewesen, dass sich Baerbock und Habeck nicht vor laufenden Kameras auf die Deiche gestellt hätten, um zu verkünden, was die Ursache der Katastrophe und deren Lösung sei, sagt Krischer. „Das verbietet sich aus Respekt vor den Menschen einfach.“ Nothilfe habe erstmal im Vordergrund gestanden. „In der dramatischen Notsituation braucht es keine schlaumeierischen Politiker*innen.“

„Es kommt auf den Tonfall an“

Was er nicht dazu sagt, ist, dass selbstverständlich auch demonstrative Zurückhaltung eine Art von Inszenierung ist. Die Grünen wollen zu dem Image zurück, das sie in der Opposition unter Habeck und Baerbock erfolgreich machte: Sie präsentieren sich als ernsthaft nachdenkende, seriös agierende und staatstragende Alternative.

Schritt für Schritt tasten sie sich seither voran. Das Vorhaben, Ideen gegen Extremwetterereignisse im Wahlkampf zu thematisieren, wird als durchaus heikel eingeschätzt. „Es kommt auf den Tonfall an“, heißt es intern. „Wir dürfen auf keinen Fall den Eindruck vermitteln, wir hätten es schon immer gewusst.“

Dazu gehört auch die Vermeidung von Schadenfreude. Als das Video von Armin Laschet für Aufregung sorgte, in dem er hinter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Flutgebiet unpassend feixte, hielten sich die Grünen mit hämischen Kommentaren zurück. Die Szene erkläre sich von selbst, heißt es. Spitzen gegen den CDUler seien überflüssig gewesen. Aber dass Schwarz-Grün eine wahrscheinliche Koalitionsvariante ist, spielt natürlich auch eine Rolle.

Diese Woche nun startete die nächste Phase der Grünen-Strategie. Der Zurückhaltung der ersten Tage folgen Vorstöße, die auf die Vermeidung von Flutkatastrophen und eine bessere Klimavorsorge zielen. Den Anfang machten am Montag Baerbock und die Innenpolitikerin Irene Mihalic. Sie stellten in der Berliner Bundespressekonferenz Ideen für einen zentralisierten Katastrophenschutz vor. Jener, betonten sie, könne Informationen bündeln.

Aufschlag von Habeck, Hofreiter und Krischer

Am Donnerstag folgte ein Aufschlag von Co-Spitzenkandidat Robert Habeck, Fraktionschef Anton Hofreiter und Klimaschutzexperte Oliver Krischer. In einem achtseitigen Impulspapier fordern sie eine vorausschauende Politik. „Vorsorge muss zum Leitprinzip einer neuen Politik werden.“

Sie listen mehrere konkrete Vorschläge auf. Ein vom Bund aufgelegter Klimavorsorge-Fonds von 25 Milliarden Euro solle Kommunen bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen – und etwa die Umwandlung in „Schwammstädte“ – also Städte, die durch geschickte Planung viel Wasser aufnehmen können – oder den Umbau der Kanalisation unterstützen.

Für Hausbesitzer solle es künftig Steueranreize oder Fördermittel geben, wenn sie ihre Gebäude gegen Starkregen oder Hochwasser wappnen. Eine Elementarschäden-Versicherung „sollte Standard werden“, findet die Grünen-Spitze. Außerdem müsse es ein Klimaschäden-Kataster geben, das regionale Folgen erfasst. Die Grünen-Spitze schlägt außerdem vor, neue Standorte in den Hochwasserschutz einzubeziehen. „Besser eine Kiesgrube oder ein Braunkohletagebau laufen kontrolliert voll, als dass Siedlungen überflutet werden.“

Auch der dritte Akt der „Inhalte nach vorn“-Offensive ist bereits geplant. In der kommenden Woche werden Baerbock und Habeck ein Klimaschutz-Sofortprogramm vorstellen, das im Falle einer Regierungsbeteiligung schnell umgesetzt werden soll. Das vorsichtige Vorgehen, das in der Basis nicht nur für Freude sorgte, könnte erfolgreich sein. In einer aktuellen Umfragen klettern die Grünen wieder über die 20-Prozent-Marke, während die Union leicht verliert.

Und auch die grüne Kommunikation wird entschiedener. Die Katastrophe sei „ein Fenster, durch das wir auf unsere Zukunft schauen“, schreiben Habeck, Hofreiter und Krischer. Nicht jede Naturkatastrophe sei eine unmittelbare Folge der Erderhitzung. Starkregen, heiße Sommer, Waldbrände und Sturmfluten habe es schon immer gegeben – „aber die Heftigkeit, Summe und die schnelle Abfolge der Extremwetterereignisse sind ein untrüglicher Indikator dafür, dass die Klimakrise da ist und Menschenleben kostet.“

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