piwik no script img

Demokratische Werte im OstenLetzte Ausfahrt Grundgesetz

Wer in Ostdeutschland offen links und antirassistisch ist, muss vor allem die Demokratie verteidigen – denn die ist nicht Konsens.

Rassistische Parole an einem leerstehenden Haus in Loitz bei Greifswald, aufgenommen 2015 Foto: Stefan Sauer/picture alliance

Ich bin in Ostdeutschland groß geworden. Als 78er Jahrgang mit Verbindungen zur evangelischen Kirche habe ich mich seit meiner Jugend durchgehend politisch engagiert, was dazu führte, dass ich mehrmals Opfer rechter Gewalt und staatlicher Repression wurde. Was mich aber wirklich beängstigt, ist der rechte, menschenfeindliche und demokratiefeindliche Konsens hier in Ostdeutschland.

Er durchdringt alle sozialen Schichten und wird als solcher gar nicht wahrgenommen: Es passiert nicht ab und zu, dass man auf rassistische Ressentiments stößt, sondern diese herrschen vor – fast immer, ohne dass die Menschen selbst schlechte Erfahrungen mit Ausländern gemacht hätten. Was wiederum zeigt, dass rassistische Einstellungen keine konkreten, realen Erfahrungen brauchen, um zu existieren.

Viele meiner jugendlichen idealistischen „Flausen“ lebe ich heute in einer kleinen Blase in Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern. Als Berliner, der die Nachwendezeit erlebt und die hohen politischen Ideale der linken Bewegungen quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat, stehe ich heute vor einem Dilemma, das ich so nie erahnt hätte.

Als radikaler Linker freue ich mich, mittlerweile seit 2015, dass Merkel an der Macht ist, und verteidige die bundesdeutsche FDGO, die ich eigentlich als eine heuchlerische, rassistische, Menschen mordende, imperialistische Scheindemokratie verurteile, gegen faschistische Strukturen, die ebendiese Demokratie angreifen und durch eine Diskursverschiebung noch weiter nach rechts ein Klima des Terrors geschaffen haben. Und das Irre ist, dass die Polizei, die uns Linke seit Jahrzehnten mit allen Arten von Repression überzieht, mittlerweile zum überlebenswichtigen Partner geworden ist.

Protest gegen rechts gefährlich

Hier in MV ist es für bürgerlichen Protest gefährlich, sich Nazis in den Weg zu stellen. In Greifswald hat es zwei Brandanschläge allein auf unser Wohnhaus gegeben, in dem wir mit mehreren Familien, Mi­gran­t:in­nen und Studierenden zusammenleben. Von den Anschlägen auf all die anderen Häuser, Büros und Jugendzentren und von Übergriffen auf Personen mal ganz zu schweigen.

Torsten Galke

Der Autor lebt mit seiner Familie in Greifswald und ist aktiv im Projekt STRAZE, einem selbstverwalteten Wohn-, Kultur- und Initiativenzentrum.

Wir sind keine Gemeinschaft von Autonomen, wie man es aus Großstädten kennt, sondern es sind einfach Menschen, die sich nicht an den rechten Konsens hier in der Region gewöhnt haben und ihn aktiv als solchen immer wieder ins Bewusstsein rufen. Zum Beispiel, indem sie Transparente aufhängen oder sich für mehr Demokratie einsetzen und auch zu Protesten gegen Neonazis gehen. Bei Protesten kommen die Anfeindungen aber nicht nur von Neonazis, sondern sie kommen von Leuten, die meinen, nicht die Nazis wären das Problem, sondern der Protest dagegen. Wir wurden aufs Übelste beschimpft und angeschnauzt, weil wir unseren Kindern beibringen, dass Protestieren und Demonstrieren Grundrechte sind, die zum Leben in der Demokratie dazugehören.

In der Welt, in der ich lebe, habe ich mittlerweile Angst, dass meine eigenen Ideale einer Welt ohne Polizei, der Gleichberechtigung und gemeinsamer Teilhabe an politischen Prozessen Wirklichkeit werden könnten.

Ich habe Angst vor den Krawallbürgern, die zwar Ausländer fürchten, aber eben keine Neonazis. Und ich bin froh, wenn die Polizei vor Ort ist und darauf achtet, dass es bei Diskussionen bleibt und nicht handgreiflich wird. Wobei die Polizisten immer wieder raushängen lassen, dass sie keinerlei Sympathien für bekennende Linke haben und es sie nervt, dass sie uns schützen müssen, und einen offen als Stasi- und DDR-Verherrlichter ankeifen.

Dieses flaue Gefühl

Nach einer Kundgebung gegen die lokale Pegida wegen einer geplanten Flüchtlingsunterkunft kamen ein paar Männer meines Alters aus der Anwohnerversammlung mit dem grünen Bürgermeister und dem Polizeipräsidenten und begrüßten die Polizisten, die die Veranstaltungen absicherten. In der Bürgerversammlung kam es zu Beschimpfungen und rassistischen Ausfällen. Die Männer verteilten Zigaretten an die Polizisten, quatschten und kamen dann in unsere Richtung. Bei uns angekommen, begannen sie uns anzupöbeln. Es war klar, dass, wenn es zu einer Auseinandersetzung käme, wir körperlich unterliegen würden und dass wir von der Polizei nur ein nachträgliches Eingreifen zu erwarten hätten. Dieses flaue Gefühl ist Lebens­realität und zieht sich durch das Leben aller, die in Ostdeutschland aktiv gegen rechts sind.

In dieser Atmosphäre bin ich froh, dass es einer gewissen Anstrengung bedarf, sich an politischen Prozessen zu beteiligen, weil das viele dieser Misanthropen davon abhält, aktiv zu werden. Mir gruselt es bei der Vorstellung, dass hier die Hürden, wie in unseren politischen Utopien, so niedrig wie möglich lägen. Vielen hier ist die Demokratie egal: Hauptsache, keine Ausländer; und keine Asozialen; und keine Zecken – und die Wessis sind eh an allem schuld. Die Vorstellung, das eigene Leben durch Gestaltung des politischen Raums mitzugestalten, fehlt weitgehend; zum Glück, denke ich manchmal.

Das Grundgesetz schützt uns Gegner des Kapitalismus und uns Antifaschisten – trotz des Durchsetztseins der exekutiven Behörden mit alten und neuen Faschisten – vor dem Volkszorn, der sich gegenüber wehrlosen Migranten immer wieder Bahn bricht.

Der Repression allen gegenüber, die die Eigentumsfrage offen stellen, tut das natürlich keinen Abbruch. Wir leben in einem neoliberalen Verwertungs­regime, das die Menschen in wertvoll und nutzlos kategorisiert. Die Nutzlosen auf dem Mittelmeer, in Libyen oder in Jemen werden natürlich anders behandelt als die Nutzlosen in der nordöstlichen Wertschöpfungsperipherie Deutschlands; aber jahrzehntelang hat man sie gegeneinander aufgehetzt beziehungsweise dem Affen Zucker gegeben. Ob Springer und Bertelsmann oder sogenannte Konservative mit ihrer Hetze den rechten Konsens geschaffen haben oder ihn nur bedienen – es ändert nichts an der Tatsache, dass die einzige Barriere, die uns davor bewahrt, dass dieser Konsens sich noch weiter institutionalisiert, das Grundgesetz ist.

Und doch Hoffnung

Ob es Dummheit ist oder Absicht, dass die Unterprivilegierten und die Abstiegsschisser nicht bemerken, dass der Umverteilungskampf nach oben wesentlich lukrativer wäre als der nach unten, lässt sich nicht abschließend klären, ist aber nicht durch das Grundgesetz vorgegeben. Wenn ich das GG anschaue, ist es ein emanzipatorischer Fortschritt im Gegensatz zu den reaktionären Ansichten vieler meiner Mitmenschen. Und ich sehe gerade keine Mehrheiten für tiefgreifendere Veränderungen hin zu noch libertäreren Ideen.

Linke Ideen und Protestformen wurden von der neuen Rechten gekapert – und mit ihnen sogar ein Teil der Bewegung, der nicht mitbekommt, dass es den Gegnern der „Merkeldiktatur“ nicht darum geht, die Demokratie durch ein progressiveres Instrument zu ersetzen, sondern die Anführer und Organisatoren der Corona-Ignoranten gut in braun-blaue Kreise zu vernetzen.

Und was macht da Hoffnung? Die rechten Bewegungen beruhen auf Angst. Das macht sie relativ uncharismatisch. Das sind eher so pegidalike Alte-­Männer-Events, nicht so wie die erfrischenden FFF-Demos, die auch wesentlich mehr Leute anziehen. Meine Hoffnung ist deswegen, dass die Kli­ma­be­we­gung erfolgreicher ist als unsere jahrzehntelang vor sich hindümpelnde globalisierungskritische Bewegung, die es nie geschafft hat, wirklich Ergebnisse zu erzielen. Die Abstraktion der Probleme der Globalisierung ist zu groß, während der Klimawandel zu begreifen und sogar zu erleben ist. Es ist auch eine weltweite Bewegung, aber mit konkreten lokalen Bezügen.

Da es wieder eine positive Vision gibt wie eine klimagesunde Welt, lassen sich auch wieder Menschen begeistern für eine solidarischere Welt. Denn ohne Solidarität lässt sich keines unserer Pro­bleme ­lösen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Genialer Artikel. Danke!

  • Leider macht sich niemand Gedanken um eine offensichtliche Merkwürdigkeit: Der untergegangene ostdeutsche Staat DDR wurde 40 Jahre von der „Sozialistischen Einheitspartei (SED)“ regiert, die fest auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Ideologie (also stramm links) stand. Die nicht müde wurde, das Leben in diesem „Arbeiter- und Bauernstaat“ als „gelebten Antifaschismus“ zu loben, der auf dem „Antifaschismus als Staatsdoktrin“ basiere. Und anklagend auf die westdeutsche BRD verwies, wo sich alte und neue Nazis vermeintlich ungehindert ausbreiten konnten.



    Wie konnte es kommen, dass NPD, AfD, Pegida & Co. nach 1989 ausgerechnet im „Osten“ besonders gute Bedingungen für sich vorfanden, offenbar deutlich bessere, als im „Westen“?



    Von der Linkspartei, die nach mehreren Häutungen aus der damaligen SED hervorging, habe ich dazu noch nichts gehört. Auch links und ganz links angesiedelte Blätter, wie „Neues Deutschland“ und „Junge Welt“ (die sich aus der DDR-Zeit in die Gegenwart herübergerettet haben), scheuen dieses Thema.



    Aber vielleicht könnte die taz mal einen ehemaligen DDR-Oppositionellen fragen?

    • @Pfanni:

      Das ist polemische Vermischung von unzusammenhängenden Konzepten

      Wenn Sie ein Interesse daran haben, warum der Osten so anfällig für derlei Ideologien ist, sollten sie sich zuerst mit dem Verbrechersyndikat der Treuhand auseinandersetzen,deren einwirken auf die neuen Bundesländer den prekären Nährboden für die zu Autoritätstreue erzogenen Ostdeutschen geschaffen hat. Diese Tendenz ist übrigens sehr einleuchtend bei in der Sovietunion sozialisierten Spätaussiedler analog zu beobachten.

      Was die im linken Spektrum stramm rechtsextreme Ideologie die sie Ansprechen mit idealistischem Sozialismus zu tun hat, sind sie noch einer Erklärung schuldig. Die AfD wäre nach ihrer Definition zwecks selbstbezeichnung eine Partei von Musterhaften Demokraten. Sie sollten sich mit der Geschichte des Sozialismus und dem Bruch mit den Anarchisten und subsequenten rechtsruck beschäftigen, bevor sie solchen Stuss behaupten.

      Bevor sie die Linke und die ganzen Windelmauerschützen hier in die Verantwortung nehmen, erwarte ich eine Aufarbeitung der bis heute Totgeschwiegenen und diese Partei immer noch prädigenden Nazi Vergangenheit der CDU. Insbesondere ist hier der Obernazi Erhard zu erwähnen, welcher bis heute als Held gefeiert wird.

    • @Pfanni:

      Das kam nicht erst 1989, die Strukturen konnten sich schon vorher festigen (siehe taz.de/Exit-Gruend...-der-DDR/!5665867/ hier). Effektiv bekämpfen konnte man sie nicht, denn dazu hätte man erstmal anerkennen müssen, dass es sowas in der DDR gibt.

  • "Als radikaler Linker freue ich mich, mittlerweile seit 2015, dass Merkel an der Macht ist [...]"

    "Ob Springer und Bertelsmann oder sogenannte Konservative mit ihrer Hetze den rechten Konsens geschaffen haben oder ihn nur bedienen [...]"

    Talk about cognitive dissonance. Es ist das System Merkel, das von Anfang bis Ende - und auch in seinen Nachfolgern - den bürgerlichen bis extremen Rechten nahe gestanden hat, und dessen einzige erkennbare Leitlinie, von Anfang bis Ende, die Verhinderung einer linken Mehrheit durch Bekämpfung und Diffamierung der radikalen Linken und des Antifaschismus war.

    Oder ganz kurz und einfach: mit ihrer Personalpolitik - De Maiziere, Maaßen, Seehofer, aber auch der softe Putinismus der Medienpolitik, sei es Seibert oder Storymachine - hat die Merkel-"Union" (bzw konkret: Merkel/Schäuble/Strobl und ihre Weikersheimer Kamarilla) Deutschland den Rechtsaußenkräften auf dem Silbertablett serviert. Wissentlich und willentlich.

    Bei allem, was Kohl falsch gemacht hat, hat er doch nicht den Fehler gemacht, einen naziaffinen Hardliner nach dem Anderen zu den obersten Polizei- und Geheimdienstchefs zu machen. Die "Stahlhelmfraktion" wurde immer mit Verfassungstreuen wie Leutheusser-Schnarrenberger gegengewichtet. Eine "Soko Bosporus" oder ein Andreas Temme, Todesfälle wie in den Arrestzellen des Polizeireviers Dessau oder der JVA Kleve wären zu der Zeit der rechtsradikalen Anschläge Anfang der 1990er undenkbar gewesen; unter Merkel wurden solche Dinge Normalität.

    Und so kommt es, dass sogenannte "Linke" sich zu Handlanger eines Linke und Nichtdeutsche unterdrückenden und gar vernichtenden Systems machen: Aus einer Mischung aus Dummheit und Gewohnheit. Deutschland hat vergessen, wie rechts es wirklich ist, und aller antifaschistischer Aktivismus ist nur eine dünne Makulaturschicht auf der Wand, die mittlerweile nicht mehr "rechts der CSU" verläuft, aber dafür in schwarz-blau-braunem Anstrich prangt.

  • Danke für den Artikel.



    Man muss hervorheben, dass Greifswald in dieser Hinsicht noch eine Insel der Seeligen ist. Eine relativ aktive alternative Szene, durch Uni und Wissenschaft viel Durchmischung und Diversität.



    Das lässt schlagartig nach, sobald man die Stadtgrenze überquert. Dort regiert beschränkte Kleingeistigkeit, Deutschland- und andere "patriotische" Flaggen wehen in den Gärten, hier und da ein Reichsbürgerschild am Gartenzaun. Ein bisschen äußere Zurückhaltung gibt es nur, wo die Urlaubidylle nicht gestört werden soll, zB auf Usedom. Dafür wird dort dann umso reaktionärer geredet und gehandelt.

  • 0G
    09139 (Profil gelöscht)

    Arbeiter müssen zusammenstehen gegen den Faschismus, gegen den Kapitalismus und gegen die Umweltzerstörung. Nur so kann es eine bessere Zukunft geben. Unbegriflich ist, dass die braunen Terroristen irgendeine Akzeptanz in der Bevölkerung haben. Angefangen bei den Schlägerbanden bishin zu den blauen Verttretern in den Landtagen haben sie seit jeher ihre Menschenverachtende Gesinnung gezeigt: und zwar damals (zu Zeiten Hitlerdeutschlands), in jüngerer Vergangenheit ( die Baseballschlägerjahre Nachwendezeit) , sowie heute ( AfD Politik).



    Nur ein demokratischer Sozialismus kann den Menschen die Freiheit geben und das Zusammenwachsen. Es soll keine Unterschiede geben zwischen den Schichten und ein friedliches und demokratisches Zusammenleben der Arbeiter.

  • Vielleicht sind wir Linken fast die Einzigen, die das Grundgesetz noch massiv verteidigen. Ich glaube, dass Nachdenken über die Väter und Mütter des Grundgesetzes - Ihre Ziele, Ihre Motive insbesondere auch Ihre historische Bildung - in unseren Schulen in den letzten fünfzig Jahren zu kurz gekommen ist.



    Der Neoliberalismus führt zu einer Neid- und Hass- Gesellschaft mit der Auflösung jeglichen Gedankens an soziale Solidarität.