Vorwürfe gegen Marilyn Manson: Was bekannt war
Dem Rockstar Marilyn Manson werfen mehrere Frauen Vergewaltigung vor – sowie psychische Folter. Er bestreitet alles, doch es gibt Konsequenzen.
„Ich finde, wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der man noch schweigen kann“, schrieb die US-Schauspielerin Evan Rachel Wood 2016 in einem Brief, den der Rolling Stone veröffentlichte. Darin warf Wood einem Expartner Vergewaltigung vor, nannte aber keinen Namen. Bis zu diesem Montag, als sie den mutmaßlichen Täter erstmals benannt hat: Musiker Brian Warner, bekannt als Marilyn Manson.
Wood und Manson lernten sich Anfang der nuller Jahre kennen. Wood, heute bekannt aus der Serie „Westworld“, war damals 18 Jahre alt, der Rockstar Manson 36. Die beiden führten bis 2010 eine On-off-Beziehung. Was Wood aus dieser Zeit schildert, klingt grauenhaft: Vergewaltigungen, psychische und körperliche Folter, Manipulation, Morddrohungen.
Kurz darauf erheben vier weitere Frauen Vorwürfe ähnlichen Ausmaßes gegen Manson. Die Models Sarah McNeill und Ashley Lindsay Morgan berichten von posttraumatischen Belastungs- und Angststörungen, die bei ihnen nach gewaltvollen Beziehungen mit Manson diagnostiziert worden seien.
Manson selbst äußerte zu den Vorwürfen bei Instagram „Die jüngsten Behauptungen über mich sind schreckliche Verfälschungen der Realität.“ Und: „Meine intimen Beziehungen waren immer einvernehmlich mit gleichgesinnten Partnerinnen.“ Bis ein Gericht urteilt – sofern es zur Anklage kommt –, gilt hier die Unschuldsvermutung. Allerdings ist dies nicht der erste Verdacht, dass er Wood gegenüber gewaltvoll gewesen sein könnte.
Während seiner Beziehung mit Wood fiel Manson schon mit verstörenden Aussagen auf. In einem Song besang er öffentlich Tötungsfantasien gegenüber seiner Partnerin und gab diese auch offen zu. In einem Interview von 2009 sagt er: „Ich habe jeden Tag Fantasien, ihren Schädel mit einem Vorschlaghammer einzuschlagen.“ Das ist kein Schuldbeweis, aber spätestens aus heutiger Sicht ist verstörend, dass solche Aussagen unter Kunstfreiheit und Provokation liefen.
Im vergangenen Jahr äußerte sich Mansons ehemaliger Assistent Dan Cleary auf Twitter zu Mansons Verhalten gegenüber Wood, das er miterlebt habe. Cleary beschreibt sehr konkret, übelste Drohungen, Demütigung und Manipulation. Seit über einem Jahrzehnt dürfte Mansons Verhalten also in der Branche bekannt sein.
Verurteilungen sind selten
Und erst jetzt interessiert sich jemand dafür? Erst jetzt verspüren die mutmaßlichen Opfer die nötige Sicherheit? Erst die #MeToo-Bewegung hat den meisten klargemacht, wie ausweglos die Lage für Betroffene sexualisierter Gewalt ist.
Nur in wenigen Fällen landen Anzeigen wegen Vergewaltigung vor Gericht. Und wenn, kommt es selten zu einer Verurteilung. Die Gründe dafür reichen von Verjährungsfristen, mangelnder Beweislage, fehlenden Zeug:innen über unsensible Ermittler:innen bis hin zu sexistischen Denkmustern bei Richter:innen. Auch gegen Manson wurde schon 2018 Anzeige wegen Vergewaltigung erhoben. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren jedoch ein, nannte Verjährung sowie Mangel an Beweisen als Gründe. Hollywood-Produzent Harvey Weinstein bleibt der einzige prominente Täter, der seit #MeToo zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.
Aber #MeToo hat auch dazu geführt, dass mutmaßliche Täter inzwischen ohne Richterspruch Konsequenzen zu spüren bekommen. Mansons Plattenfirma Loma Vista Recordings stellt nun die Zusammenarbeit ein, zwei bereits gedrehte Folgen von TV-Serien mit Manson werden nicht ausgestrahlt.
Viele Menschen zeigen sich am Montag in sozialen Netzwerken solidarisch mit den mutmaßlich betroffenen Frauen, darunter auch Prominente. Andere kritisieren die Reaktion der Platten- und Produktionsfirmen, unterstellen „Zensur“ und „Cancel Culture“.
Die Zivilgesellschaft hat nicht zu entscheiden, ob jemand eines Verbrechens schuldig ist. Aber sie kann durchaus über gewaltverherrlichendes Verhalten bei einem Prominenten richten, sofern es öffentlich dokumentiert oder bezeugt ist. Beides ist hier der Fall. Was sagen die Fans heute zu Mansons Lyrics und Aussagen? Provokation? Cool? Oder geht gar nicht – auch nicht als Fantasie?
Manson ist ja nicht der einzige Promi, dessen gewaltverherrlichende Äußerungen unter Kunstfreiheit liefen. Und Täter agieren in einem System, das dadurch am Laufen gehalten werden kann, dass die Mitwissenden schweigen – oder billigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen