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Festnahme des Kremlkritikers NawalnyDrehbuch des Geheimdienstes

Kommentar von Barbara Oertel

Die Festnahme Alexei Nawalnys zeigt die Angst der russischen Regierung vor dem Einfluss des prominenten Kritikers auf die Bevölkerung.

Erst zur Passkontrolle, dann in Haft: Alexei Nawalny Foto: Mstyslav Chernov/dpa

E rbärmlich und entlarvend: Nichts anderes war die Vorstellung, die am Sonntagabend in Moskau über die Bühne ging. Der Kremlkritiker Alexei Nawalny wird nach seiner Rückkehr aus Deutschland schon an der Passkontrolle auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo festgenommen. Das Szenario war vorab angekündigt worden und folgte dem Drehbuch der föderalen Behörde für Strafvollzug (FSIN): Nawalnys Bewährung wegen Verstoßes gegen Auflagen rückwirkend in eine dreieinhalbjährige Gefängnisstrafe umzuwandeln – ein Vorhaben, das selbst nach russischen Gesetzen juristisch fragwürdig ist.

Auch das Vorspiel war aufschlussreich. Ein von Sicherheitskräften regelrecht belagerter Flughafen Wnukowo, gesperrte Zufahrtsstraßen, dutzende Festnahmen und eine Umleitung der Maschine aus „technischen Gründen“ – ein vornehme Umschreibung, um brachial gegen die Opposition vorzugehen. Das alles ist erstaunlich viel Aufhebens um einen angeblich politischen Niemand, den der Geheimdienst FSB, um mit Präsident Wladimir Putin zu sprechen, mühelos hätte ins Jenseits befördern können, so er denn willens gewesen wäre.

Die vermeintliche Demonstration der Stärke lässt tief blicken und zeigt vor allem eins: Im Kreml geht offensichtlich die Angst um und das aus gutem Grund. Denn selbst wenn Nawalny auf Jahre hinter Gittern verschwinden sollte, wäre das „Problem“ für Russlands Regierung, auch im Hinblick auf die Duma-Wahlen im September, mitnichten aus der Welt geschafft. Im Gegenteil: Angesichts eines wachsenden Unmuts in der Bevölkerung auch aufgrund einer zusehends angespannten Wirtschaftslage könnte das harte Vorgehen gegen Nawalny und dessen Mitstreiter*innen diesen sogar noch Auftrieb geben.

Die drei baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland haben jetzt die EU in einer gemeinsamen Erklärung zu einer deutlichen Reaktion an die Adresse Moskaus aufgefordert. Gerade diese Stimmen sollten in Brüssel ernst genommen werden. Alles andere bedeutete einen weiteren Verlust an Glaubwürdigkeit und wäre um keinen Deut besser als das, was am Sonntag in Moskau geschehen ist.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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33 Kommentare

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  • Man stelle sich vor eine gewisse Person, auf die ein Haftbefehl ausgesetzt ist, reist in die USA ein und wird verhaftet. Gäbe es da auch eine ähnlich geschauspielerte Verwunderung?



    Man könnte sich erstmal um die Flüchtlinge kümmern, die man an den Außengrenzen Europas verenden lässt, bevor man das Spiel "Ersetze Diktatur mit der nächsten Diktatur" versucht zu spielen.



    Am Rande: Nawalny istbein Rassist übelster Sorte, homophob und ein Ultranationalist. Interpretiert hier bitte keinen "Freiheitskämpfer" in diesen Mann hinein.

    • @Hampelstielz:

      Klingt so, als würden Sie Nawalny näher kennen. Wo haben Sie ihn denn kennengelernt?

      • @Rainer B.:

        Lesen Sie bitte einige seiner Schriften.

  • Mit der Aktion hat sich das System Putin wirklich zumindest lächerlich gemacht. Verstoß gegen die Meldeauflagen, wobei jeder Hinz und Kunz zu jeder Zeit wusste, wo er war. Könnte ein deutscher Verwaltungsapparat gewesen sein.

    • @Luftfahrer:

      Natürlich ist es ein Vorwand. Aber melden heißt in diesem Fall persönlich erscheinen. Ist auch in D so.

  • @CORIANDER23:

    Nein, tue ich nicht. Ich stelle lediglich fest, dass "wir" nicht ganz so wackelig auf unserem hohen moralischen Ross sässen wenn wir uns auch um unsere Hausaufgaben kümmerten.

    • @tomás zerolo:

      Doch, machen Sie. Aber das war schon immer die Strategie einiger Linker, wenn es um Menschenrechtsverletzungen in der damals in der Sowjetunion / China und jetzt Russland geht, sich ersteinmal lang und breit über (durchaus zu kritisierende) Vergehen in der westlichen Welt auszubreiten...

  • RS
    Ria Sauter

    Im schnellen Phrasendreschen ist die EU geübt, im menschlichen Handeln allerdings weniger.



    Mir fiel auch der Umgang mit Assange ein, der in engl. Gefängnissen auch gefoltert wird.



    Isolatilnshaft, tägliche Untersuchung des ganzen Körpers..

    Ist durchaus mit dem russ. Menschen zu vergleichen und Assage ist noch nicht mal ein Rassist.

  • Der Mann hat Mut - Respekt! Sollte man ihm ernsthaft einen Verstoß gegen Bewährungsauflagen vorwerfen, ist das einfach nur noch lächerlich. Putin hält ihn ja für einen „unbedeutenden Mann“. Warum verfolgt man ihn dann so unerbittlich? Vieles spricht dafür, dass auch Putins Luft allmählich sehr dünn geworden ist und er bereits die Kontrolle über seine Geheimdienste verloren hat. Er hat im Grunde schon fertig, zappelt nur noch ein bißchen weiter.

    • @Rainer B.:

      Das scheint mir eher Wunschdenken zu sein.

      Allerdings dürfte Nawalny langsam nerven, was seine Lebenserwartung drastisch verringert. Ob sich das für ein paar Tage Schalzeilen in den westlichen Medien wirklich lohnt, bezweifle ich. Die meisten Bürger in Russland haben jedenfalls andere Probleme...

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Sie meinen also, die meisten Bürger in Russland haben kein Problem mit Putin. Steile These!

        • @Rainer B.:

          Die meisten Bürger in Russland kämpfen sich durch eine schweren Alltag. Von Politikern erwarten sie dabei nicht viel und Putin garantiert nach dem Chaos der 90er wenigstens so etwas wie Stabilität.

          Das kann sich ändern, wenn jemand auftaucht, der so etwas wie Hoffnung verbreitet. Ein Typ, der sich nur immer mal wieder medienwirksam verhaften lässt, tut das nicht. Also ist er den meisten Menschen in Russland einfach egal...

          Blättern Sie mal in der TAZ zurück und schauen Sie, wie wenige Menschen bei den letzten großen Protesten zur Rentenreform zu Nawalnys Demos gekommen sind. Wenn man das mit den anderen Demos damals vergleicht, sieht man, wie wenig Einfluss er tatsächlich hat.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Dass Nawalny sich „nur immer mal wieder medienwirksam verhaften lässt“, ist pure Täter-Opfer-Umkehr. Er wurde zwar schon mehrfach aus hanebüchenen Gründen verhaftet, aber dass er selbst irgendwie - aus welchen Gründen auch immer - dahinter steckt, glauben doch nur Zyniker. Die Teilnahme an regierungskritischen, oppositionellen Demos in Putins Russland ist alles andere als ungefährlich für die Teilnehmer. Teilnehmerzahlen sagen deshalb herzlich wenig aus, über Zustimmung und Einfluss in der Bevölkerung. Man kann es sich natürlich auch einfach machen ganz im Sinne Putins und unterstellen, den Menschen in Russland wär einfach alles egal. Auch das ist aber nur Zynismus.

            • @Rainer B.:

              Nawalny meldet seine Demos immer so an, dass sie am geplanten Ort so und so nicht genehmigt werden (z.B. auf dem Roten Platz). Ausweichorte akzeptiert es nicht. Dann versucht er doch zu verbotenen Demo zu gehen. Natürlich ist ihm klar, dass er dort verhaftet wird. Und darum geht es ihm. Um maximale Medienwirksamkeit in Ausland.

              PS: Es ist tatsächlich nicht ungefährlich in Russland gegen Putin zu demonstrieren. Aber andere tun das auch ohne solche Spielchen.

              • @warum_denkt_keiner_nach?:

                Kann man in Russlands Diktatur oppositionelle Demos an angemessenen Orten anmelden, dort wo auch die diktaturfreundlichen Demos stattfinden? Oder darf im Zentrum nur die Diktatur demonstrieren und die Opposition darf nur im menschenleeren Sibirien demonstrieren? Die Spielchen sind wohl eher von der Diktatur verursacht.

                Ich erinnere: In der DDR musste die Opposition auch Spielchen spielen, um der Diktatur und der Stasi auszuweichen. Schuld war aber nicht die Opposition, sondern die DDR-Diktatur!

                Nawalny nun vorzuwerfen, dass er Spielchen spielt, ist daher absurd, denn diese Spielregeln hat der Diktator mit seinen antidemokratischen und menschenrechtsfeindlichen Diktaturfreunden im Parlament festgelegt. Wenn man eine Demo einfach anmelden könnte, ohne dass sie verboten und verfolgt, sondern stattdessen geschützt wird, - so wie in Demokratien üblich -, dann müsste Nawalny keine "Spielchen" spielen und würde dies auch nicht, sondern lediglich ordentlich demonstrieren.

              • @warum_denkt_keiner_nach?:

                Erst zweifeln Sie an, dass Nawalny tatsächlich ein Oppositioneller ist und dann beschweren Sie sich, dass Nawalny seine Demos nicht da stattfinden lässt, wo Putin sie gerne hätte, damit es keiner mitkriegt. Finden Sie den Fehler selbst.

                • @Rainer B.:

                  Schauen Sie sich mal die TAZ Berichte zu den letzten großen Protesten gegen die Rentenreform in Russland an. Sie werden sehen, dass zu Nawalnys Demos die wenigsten gekommen sind. Eine Oppositionsarbeit, die hauptsächlich auf Schaueffekte setzt, spricht offensichtlich in Russland nur wenige an. Da liegt der Denkfehler Nawalnys und seiner Freunde im Westen.

                  • @warum_denkt_keiner_nach?:

                    1. Zu Nawalnys Demos gehen wahrscheinlich deswegen so wenig, weil viele davon nicht wissen dank Hofberichterstattung in den staatlichen Medien und weil es gefährlich ist wegen der vielen Festnahmen.

                    2. Die Proteste gegen die Rentenreform werden vermutlich nicht in gleichem Maße von der Diktatur bekämpft, weil die Diktatur sie als nicht so gefährlich für den Diktator ansieht, (vielleicht, weil sie monothematisch ist).

                    3. Leider braucht man in Diktaturen große Symbole um über die ausländischen Medien die eigene Bevölkerung zu erreichen, denn die der Hofberichterstattung verpflichteten staatlichen Medien schweigen jede Opposition tot, die der Diktatur oder dem Diktator gefährlich werden könnte.

                  • @warum_denkt_keiner_nach?:

                    Es wird doch nicht nur Nawalny bei den Demos regelmäßig verhaftet. Alles Leute, die nur auf „Schaueffekte“ setzen? Wohl kaum.

                    taz.de/Opposition-in-Russland/!5745921/

  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    Das ist doch absurd: Wäre Nawalny NICHT festgenommen worden dann hätte man der russischen Regierung ebenfalls unterstellt das sie Angst vor ihm hat. Was denn jetzt?

    • @02881 (Profil gelöscht):

      Was soll daran absurd sein, die offenbare Angst Putins vor Nawalny auch dann zu benennen, wenn sie ihn nicht festgenommen hätte? Die russische Diktatur hat doch schon oft bewiesen, dass sie große Angst vor Nawalny hat, zuletzt durch den gescheiterten Vergiftungsversuch.

    • @02881 (Profil gelöscht):

      Einen Flughafen abriegeln, wieder mal auf Demonstranten einprügeln, ein Flugzeug umleiten und dann jemanden aus fadenscheinigen Gründen verhaften, im Gefängnis ein Gericht installieren, dass ihn zu 30 Tagen Knast verdonnert.

      So etwas gibt es nur in einer lupenreinen Demokratie und ist Ausdruck größter Gelassenheit und größter Souveränität.

      Dann die Zugabe: Der Außenminister betont auf einer Pressekonferenz die Schwäche liberaler Demokratien.

      Er hat ja recht, nur ist ihre Schwäche zugleich auch ihre Stärke.

  • Wir sollten dabei nicht unsere Hausaufgaben vergessen.

    In einem englischen Gefängnis verrottet Assange -- ja, für was denn? Und welche EU-Staaten haben sich für ihn eingesetzt?

    Wo steckt Snowden mal wieder? Wo wäre er jetzt, hätte er sich auf die Gastfreundschaft Deutschlands, Frankreichs, Spaniens, Italiens verlassen?

    Nicht, dass ich das mit einem Vergiftungsversuch mit Nowitschok vergleichen will. Und ja, ich mag Putin und seine Entourage nicht. Und nochmal ja, auch ich wünsche mir eine "deutliche Reaktion [der EU] an die Adresse Moskaus".

    Unsere Glaubwürdigkeit allerdings... wäre ein bisschen intakter, stänke unsere eigene Unterhose nicht selbst so erbärmlich.

    • @tomás zerolo:

      Wieso wird ständig versucht vom Thema abzulenken, indem auf andere menschenrechtlcihe Probleme verwiesen wird, die überhaupt nichts mit dem Thema hier zu tun haben? Ablenkungsmanöver? Vermutlich!

    • @tomás zerolo:

      Hier geht es gerade um Nawalny, in der taz gab es über Assange und Snowden ebensolche Artikel. Sollen wir dann, wenn es um Snowden und Assange geht immer Nawalny, Nawalny rufen?

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Nur ärgerlich?

      Abgeordnete Ulla Jelpke



      (DIE LINKE.) Anfrage an die Bundesregierung:

      ""Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass die Organisation für das Verbot chemi-scher Waffen (OVCW), bei der die Bundesrepublik Deutschland eine Ständige Vertretung unter-hält, keine Untersuchung bezüglich des Vorwurfs des Einsatzes chemischer Kampfstoffe wie Weißer Phosphor oder Napalm durch die türkische Armee bei ihrem Angriffskrieg auf Nordsyrien eingeleitet haben soll, und inwieweit gehört die Bundesregierung zu den Regierungen aus NATO-Mitgliedsländern, die (..) der OVCW nahegelegt haben sollen, in dieser Angelegenheit nicht tätig zu werden.""

      ==

      Diese Anfrage der Linken an die Bundesregierung ist berechtigt und okay - allerdings warum sie verheimlicht, das Assad (oder die russische Förderation) auch weißes Phosphor gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt haben (in Syrien) bleibt Ihr Geheimnis. Aber das nur am Rande und nebenbei.

      Novitchok ist seit 2019 verboten und international geächtet - auch die Lagerung - geschweige denn der Einsatz bedeuten einen schwerwiegender Verstoss gegen das Völkerrecht.

      Das Schweigen aus dem politischen Raum der Linken ist auch in dieser Angelegenheit ohrenbetäubend.

    • @tomás zerolo:

      Zustimmung.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      ""Nicht, dass ich das mit einem Vergiftungsversuch mit Nowitschok vergleichen will.""



      ==

      Warum tun Sie es dann?

    • @tomás zerolo:

      Stimmt.

    • @tomás zerolo:

      Wie recht Du hast!

    • @tomás zerolo:

      Oder warum stehen Kriegsverbrecher aus den USA nicht vor dem Internationalen Gerichtshof? Es gibt ja nicht mal Haftbefehle gegen die Verbrecher mit denen sich US Präsidenten stolz photographieren lassen.

      Westliche Werte... drauf gesch....

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @danny schneider:

        Wieso? Sie mögen Nowitschok lieber?

        • @06438 (Profil gelöscht):

          Wie süffisant, höhö...