Russischer Geheimdienst FSB: Angst schüren, Regime schützen

Ein Telefonstreich des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny hat den Geheimdienst FSB vorgeführt. Dieser ist sonst ein geschlossenes System.

Putin in einer Videokonferenz allein am riesigen weissen Tisch

Raumschiff Kreml: Machthaber Putin sitzt fest im Sattel. Gestützt durch die Geheimdienste Foto: Alexei Nikolsky/Sputnik Kremlin/dpa

Es ist ein bizarr wirkendes Gespräch, das der im August vergiftete russische Oppositionspolitiker Alexei Nawalny mit einem russischen Geheimdienstmitarbeiter geführt haben will. Mit dem „FSB-schnik“, der am Giftanschlag auf den 44-Jährigen in Sibirien beteiligt gewesen sein soll. „Ich habe meinen Mörder angerufen. Er hat gestanden“, sagt Nawalny, selbst völlig überrascht wirkend, in seinem neuesten Video, mit dem er einen weiteren Beweis für das staatlich inszenierte Mordkomplott gegen ihn erbracht haben will.

Rund 13 Millionen Mal wurde auf Youtube der Mitschnitt des Telefonats innerhalb eines Tages geklickt. Der FSB selbst bezeichnet ihn als Fälschung, die lediglich durch die Mitarbeit ausländischer Geheimdienste entstanden sei.

Da sitzt also Nawalny, der sich als Mitarbeiter von Nikolai Patruschew ausgibt, des früheren FSB-Direktors und jetzigen Sekretärs des russischen Sicherheitsrats, und entlockt dem offenbar in der Früh völlig überrumpelten Konstantin Kudrjawzew, einem Chemiewaffenspezialisten beim FSB, allerlei Details der Operation.

Nawalny nutzt dabei einen Dienst, der die eigentliche Telefonnummer des Anrufers unterdrückt und stattdessen eine Nummer anzeigt, die Kudrjawzew plausibel erscheint. Alle weiteren FSB-Mitarbeiter, die laut einer anderen Recherche am Giftanschlag auf Nawalny beteiligt gewesen sein sollen, legen auf.

Nicht die erste Panne

Kudrjawzew aber redet, stockend, wiederholend, oft nicht in vollen Sätzen. Er spricht über das Scheitern der Operation, weil der Flieger, in dem Nawalny offenbar hätte sterben müssen, zu früh in Omsk notgelandet sei, über die blaue Unterhose, an der sie das Gift verteilt hätten, über das Vernichten von Beweisen. Freimütig – und dadurch so irritierend. Ist der so gefürchtete russische Geheimdienst nur noch eine peinliche Gurkentruppe, fragen sich manche im Land.

Alexei Nawalny

„Ich habe meinen Mörder angerufen. Er hat gestanden“

Geheimdienstexperten, russische wie ausländische, halten das Telefongespräch durchaus für glaubwürdig. Der Kreml wiegelt derweil wie gewohnt ab. Kremlsprecher Dmitri Peskow bezeichnete Nawalny als „Pa­tienten mit ausgeprägtem Verfolgungswahn“. Der Größenwahnsinnige vergleiche sich mit Jesus und sei besessen.

Klar ist: Nawalny hat die „Dienste“, wie die Russen sagen, vollkommen vorgeführt. Die erste Panne ist das nicht. Bereits bei der Vergiftung des russisch-britischen Doppelagenten Sergei Skripal und seiner Tochter Julia im britischen Salisbury im März 2018, ebenfalls mit Nowitschok, stellten sich russische Geheimdienstler, wenn auch vom Militärgeheimdienst GRU, nicht gerade geschickt an.

Skandale, Aufdeckung der Operationen und deren ausführender Mitarbeiter, überhaupt die Folgen dieser Operationen seien etwas, was der FSB und der GRU einfach in Kauf nähmen. Das sagt Andrei Soldatow, der sich seit mehr als 20 Jahren mit den russischen Geheimdiensten beschäftigt, in einem Interview mit dem russischsprachigen Onlineportal Meduza. „Loyalität und die völlige Abwesenheit jeglicher Zweifel überwiegen fast alle Kosten“, meint er.

Jobbeschreibung: Nicht denken

Die Geheimdienste täten, ohne zu zögern, alles, um ihren Auftrag zu erfüllen. Dinge infrage zu stellen gehöre nicht zur Jobbeschreibung in den Sicherheitsstrukturen, schon gar nicht der Geheimdienste, sagt auch einer, der jahrelang selbst in den Sicherheitsstrukturen tätig war, der taz. Es gehe ums Ausführen, nicht ums Denken.

Der Dienst am Staat, so Geheimdienstexperte Soldatow, sei ohnehin das Wichtigste, der Schutz also des politischen Regimes, egal welchen, vor Beben aller Art. Nicht umsonst stecke das Wort „Dienst“ im FSB (Föderaler Sicherheitsdienst) drin, im Gegenteil zu seinem Vorgänger KGB (Komitee der Staatssicherheit).

Dieser hat sich in den 90ern in den Innengeheimdienst FSB und den Auslandsgeheimdienst SWR aufgespalten. Allerdings operiert auch der FSB – vom Staat durchaus gewollt – im Ausland.

Die wichtigste Aufgabe des FSB, sagt Soldatow, sei das Verbreiten von Angst: „Gouverneure kommen ins Gefängnis, auch Unternehmer, Journalist*innen, Aktivist*innen. Diese Methode beherrschen die Geheimdienstler professionell. Dass anderes hin und wieder schiefläuft, kümmert sie weniger. Sie erfüllen ihren Befehl, zeigen den Befehlenden ihre vollkommene Ergebenheit.“

Dienstfertig und freimütig

Ihre Fertigkeiten lernen angehende Mitarbeiter an Dutzenden von FSB-Instituten quer durchs Land. Sie sind meist Männer, die wenigen Frauen dürfen lediglich Übersetzerinnen werden, dürfen nicht älter als 21 Jahre sein, keine nahen Verwandten im Ausland haben, nicht vorbestraft sein und keine Drogen genommen haben. Fitness und Gesundheit werden auch getestet. Quereinsteiger sind durchaus gefragt, zumal mit spezifischen Kenntnissen.

Andrei Soldatow, Geheimdienstexperte

„Loyalität und die völlige Abwesenheit jeglicher Zweifel überwiegen fast alle Kosten“

Auch Kudrjawzew, der laut internationalen Rechercheuren und Journalisten unter dem Decknamen Konstantin Sokolow operierte, hatte zunächst offenbar an einer Akademie des russischen Verteidigungsministeriums studiert, bevor er zum FSB kam. Gedient hatte er in einer Militäreinheit ausgerechnet in Schichany, einer zu Sowjetzeiten geschlossenen Stadt, in der in den 1970ern das Nervengift Nowitschok entwickelt worden war.

Dass so einer wie Kudrjawzew nahezu freimütig redet, erklärt Soldatow damit, dass dieser ein technischer FSB-Mitarbeiter sei, kein operativer. Zudem spielt die Dienstfertigkeit gegenüber seinen Vorgesetzten im hierarchisch organisierten Russland traditionell eine große Rolle.

Kudrjawzew scheint Nawalny geglaubt zu haben, dass dieser das Gespräch mit dessen Vorgesetzten hat genehmigen lassen. Warum Kudrjawzew ihn nicht, wie es sonst üblich wäre, an seinen Chef verweist, darüber rätseln auch die Experten in Russland.

Die russischen „Dienste“ sind – auch als Erbe des Stalinismus – ein geschlossenes System. Viele Kinder folgen ihren Vätern und Großvätern dorthin und seien, so erklärt es Soldatow, in der Tat festen Glaubens daran, Russland sei von Feinden umgeben, von denen sie es mit allen Mitteln zu befreien hätten. Der oberste Vertreter dieser Ideologie ist der Präsident Wladimir Putin selbst: ein ausgebildeter Geheimdienstler.

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