Weniger Impfstoff von AstraZeneca: Bestellt und nicht abzuholen

AstraZeneca kann Millionen von Impfdosen nicht liefern. Die EU erwägt jetzt Exportkontrollen und fordert Transparenz.

Boris Johnson trägt eine Kiste Impfstoff begleitet von zwei jungen Frauen

Der britische Premierminister Boris Johnson hat ihn: den Impfstoff von AstraZeneca Foto: Stefan Rousseau/reuters

BERLIN taz | Als der große Corona-Impfstoffhersteller AstraZeneca vor Kurzem erklärte, dass er statt der vereinbarten 80 Millionen Einheiten in den kommenden Monaten nur 31 Millionen an die EU liefern könne, war es mit der Geduld der EU-Kommission vorbei. Am Montagmittag mussten Vertreter des britisch-schwedischen Konzerns vor dem sogenannten EU-Lenkungsausschuss zur Impfstrategie Rede und Antwort stehen. Mit dabei waren Vertreter der 27 EU-Staaten.

Die EU-Kommission wollte wissen, ob das Unternehmen seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommt. „Sollten wir noch in diesem Monat eine bedingte Marktzulassung von der Europäischen Kommission erhalten, werden wir in der Lage sein, monatlich nach und nach mehrere zehn Millionen Dosen zu liefern“, sagte eine Sprecherin von AstraZeneca am Dienstag gegenüber der taz. „Die ersten Millionen Dosen“ würden demnach noch in der ersten Februarhälfte ausgeliefert, nachdem sie die Qualitätskontrolle durchlaufen haben. Von einer Million Einheiten entfallen nur je rund 180.000 auf Deutschland.

Für die EU ist daran besonders misslich, dass sie bereits 336 Millionen Euro vorausbezahlt hat, damit AstraZeneca nach der Zulassung besonders schnell liefern kann. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides ist irritiert, dass die Belieferung Großbritanniens derweil uneingeschränkt weitergeht – dort ist der AstraZeneca-Impfstoff schon seit Dezember zugelassen, die EU-Zulassung wird für Freitag erwartet. „Die EU möchte wissen, welche Dosen von AstraZeneca bisher wo produziert wurden und an wen sie geliefert wurden“, sagte Kyriakides. Aktuell gibt es AstraZeneca-Produktionen in Belgien und in Großbritannien.

AstraZeneca konnte am Dienstag auf Anfrage nicht erklären, wie die Verteilung der vorhandenen Chargen auf die verschiedenen Märkte geregelt ist. Das Unternehmen machte auch nicht transparent, was eigentlich los ist in der Produktion, sondern gab nur den Aussetzer bekannt. Dabei hatte sich die EU bei ihrer gemeinsamen Bestellung vor allem auf das britisch-schwedische Unternehmen verlassen. Kyriakides hat dort 400 Millionen Dosen vorbestellt. Das war mehr als bei allen anderen Anbietern. Erst durch Nachverhandlungen hat sie die Zahl der Bestellungen beim Konkurrenten Biontech von 300 auf 600 Millionen Einheiten hochgeschraubt. Die Extradosen kommen jedoch erst nach und nach im Jahresverlauf.

Spahn bringt Ausfuhrkontrollen ins Spiel

Die Bundesregierung hatte zuvor immer wieder Ankündigungen gemacht, bis wann ein Großteil der Bevölkerung geimpft werden könne. Die Lieferungen von AstraZeneca waren bei diesen Ankündigungen fest eingeplant. Spahn hatte eine Impfung bis Juni in Aussicht gestellt, die Kanzlerin bis September. „Wenn alles nach Plan geht“, hatte Angela Merkel noch hinzugefügt.

Nun hat Spahn die Idee von Ausfuhrkontrollen aus der EU ins Spiel gebracht. Bisher können die Hersteller den Impfstoff in andere Weltgegenden verschiffen, ohne dass die Behörden die exakten Mengen kennen. Eine Ausfuhrkontrolle würde bedeuten, dass die Anbieter eine Genehmigung für den Export einholen müssen. Das bedeutet kein Ausfuhrverbot – aber exakte Zahlen zum Preis zusätzlicher Bürokratie. Hintergrund ist die Unterstellung, dass As­traZeneca durchaus in Europa Wirkstoff produziert hat, diesen aber woanders hin verkaufte.

Unterdessen kam erhebliche Verwirrung um die Wirksamkeit des Impfstoffs bei älteren Menschen auf. Das Handelsblatt hatte am Montagabend unter Berufung auf die Bundesregierung gemeldet, der Impfstoff von AstraZeneca weise bei Senioren nur eine Wirksamkeit von 8 Prozent auf – eine viel zu niedrige Zahl, die sich mit dem offiziellen Durchschnittswert von ungefähr 70 Prozent kaum vereinen ließe. Der Impfstoff wäre für seinen angestrebten Zweck, die gefährdetsten Gruppen zu schützen, damit in der Praxis unbrauchbar.

Vom Bundesgesundheitsministerium kam am Dienstag teilweise Entwarnung. Es sei richtig, dass der Impfstoff an verhältnismäßig wenig Testpersonen über 65 Jahren erprobt sei. Doch eine Wirksamkeit von nur 8 Prozent konnte das Ministerium nicht bestätigen. „Auf den ersten Blick scheint es so, dass in den Berichten zwei Dinge verwechselt wurden“, sagte ein Sprecher. Rund 8 Prozent der Probanden der Wirksamkeitsstudie waren zwischen 56 und 69 Jahre alt, nur 3 bis 4 Prozent über 70. Das alles hat aber mit der Wirksamkeit nichts zu tun.

Zweifel an Medienbericht

Tatsächlich haben die Konkurrenten Bion­tech und Moderna ihre Impfstoffe wesentlich gründlicher an Senioren erprobt. Biontech hat 18.000 Personen über 55 Jahren in die Studie aufgenommen, das waren 40 Prozent der Teilnehmer. Aufgrund des angestrebten Einsatzgebiets haben die Wissenschaftler auch darauf geachtet, Tests an bettlägerigen Pflegeheimbewohnern durchzuführen. Biontech konnte daher guten Gewissens eine Wirksamkeitsrate von 94 Prozent für die Hauptzielgruppe verkünden, während AstraZeneca hier etwas unklar bleibt. Somit ist es tatsächlich möglich, dass die europäische Arzneibehörde EMA die Zulassung für Senioren nun infrage stellt.

AstraZeneca selbst wehrte sich derweil vehement gegen Unterstellungen, der Impfstoff sei fast unwirksam und die Zulassung in Großbritannien sei zu Unrecht erfolgt. Eine Sprecherin verwies auf Daten aus der zweiten Studienphase vom November. Das Immunsystem der älteren Teilnehmergruppe habe zuverlässig auf den Wirkstoff angesprochen. Der Handelsblatt-Bericht sei „völlig falsch“. Doch auch AstraZeneca selbst kann keine aktuellen, klaren Wirksamkeitsdaten zur Verhinderung von Infektionen bei Älteren aus der großen Phase-3-Studie nennen.

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