Fragwürdige Polizeiaktion in Hessen: Kritik an Todesschüssen unerwünscht

Vor zwei Jahren erschoss ein Beamter in Fulda einen Geflüchteten. Bis heute sieht sich die Polizei durch kritische Stimmen in ihrem Ansehen gefährdet.

Einschlagstellen von Steinwürfen sind in der Fensterscheibe einer Bäckereifiliale

Vor zwei Jahren schossen Polizisten 2018 einen jungen Mann nieder Foto: Jörn Peske/dpa

BERLIN taz | Das Polizeigroßaufgebot vor seiner Wohnung im osthessischen Haunetal empfängt Timo Schadt noch im Pyjama. Die Hausdurchsuchung am 17. Oktober 2019 findet um 7:30 Uhr statt. „Ich habe noch heute das Bild im Kopf“, sagt der 52-jährige Journalist. „Da steht jemand mit Hand an der Waffe vor meiner Tür, dahinter mehrere Polizisten in schusssicheren Westen mit blauen Gummihandschuhen.“

Gegen Schadt läuft zu dem Zeitpunkt ein Ermittlungsverfahren wegen Verleumdung, der Durchsuchungsbeschluss wurde vom Amtsgericht Fulda ausgestellt. Schadt wird vorgeworfen, auf der Facebook-Seite des Netzwerks „Fulda aktiv gegen Rassismus“ (AGR), auf der er als Kontaktperson angegeben ist, einen Artikel des Online-Portals Belltower News verlinkt zu haben.

Der inkriminierte Text befasst sich mit Diffamierungen von Teilnehmer:innen einer Demonstration anlässlich des ersten Todestages des Geflüchteten Matiullah Jabarkhil, der am 13. April 2018 von einem Polizisten in Fulda erschossen worden war. Ursprünglich hatte es in dem Artikel geheißen, der damals 19-jährige Afghane sei von Polizist:innen mit 12 Schüssen getötet worden. In einer Anmerkung der Redaktion wird darauf hingewiesen, dass nachträglich die Differenzierung hinzugefügt worden sei, dass nur zwei der zwölf Schüsse tödlich waren.

In dem Durchsuchungsbeschluss heißt es, Schadt habe den „unwahren Bericht“ bewusst veröffentlicht, um den Eindruck zu erwecken, Jabarkhil sei von Polizist:innen des Polizeipräsidiums Osthessen „geradezu hingerichtet worden“. Wie das Amtsgericht zu dieser Einschätzung gelangt, wird in dem Beschluss nicht weiter erläutert.

Verfahren eingestellt

Schadt hat den Beitrag, der in seiner Anwesenheit von einem Polizeibeamten schließlich gelöscht wurde, bis heute nicht gesehen. „Ich habe mich nie zu dem Todesfall geäußert“, sagt er. Auf der Facebookseite sei er seit geraumer Zeit nicht mehr selbst aktiv. Die Polizei ermittelte den Verfasser des Beitrags und gab Schadts Datenträger nach einer anfänglichen Konfiszierung wieder frei. Das Verfahren gegen Schadt wurde kurz nach der Durchsuchung eingestellt.

„Das war ein absolut überzogener Einsatz“, bilanziert Schadt. Sinn und Zweck der Maßnahme seien jedoch erfüllt worden: „Das war Einschüchterung. Und das ist ihnen auch gelungen. Das war eine schockierende Erfahrung, die wochenlang an mir gezerrt hat.“ Lange sei er immer um halb acht aufgewacht, Anzeichen „einer klassisch traumatischen Erfahrung.“

Aus Sicht des Strafrechtsexperten Andreas Hüttl hat der Durchsuchungsbeschluss mehrere rechtliche Unzulänglichkeiten, wie die „Hessenschau“ berichtete. Insgesamt bestünden aus Hüttls Sicht erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Hausdurchsuchung, auch weil das Wohnhaus von Schadt zugleich Redaktionssitz ist. Schadt verlegt dort unter anderem das regionale Veranstaltungsmagazin Printzip. Die Beamt:innen habe er im Vorfeld der Durchsuchung darauf hingewiesen, dass der Beschluss seiner Meinung nach keine Redaktionsräume abdecke.

Einer der beiden Autor:innen des besagten Artikels auf Belltower News ist der Politikwissenschaftler Darius Reinhardt. Gegen ihn und seine Koautorin wurde Anklage aufgrund des „Verdachts der gemeinschaftlich begangenen üblen Nachrede“ erhoben.

„Ich kann den Vorwurf nicht nachvollziehen, dass der Artikel dem Ansehen der Polizei Fulda weiteren Schaden zufügen soll“, meint Reinhardt. „Kritisiert wurde in unserem Artikel ja vor allem der Umgang mit der Kritik an dem Polizeieinsatz in Fulda sowie die schleppende Aufklärung von Matiullahs Tod. Ich denke, die strafrechtliche Repression schadet dem Ansehen der Polizei Osthessen letztendlich am meisten.“

Beleidigung, Verleumdung und üble Nachrede?

Im Nachgang zu einer Gedenkveranstaltung für Matiullah Jabarkhil vor einem Jahr hatte die Polizei Fulda vier Teilnehmer:innen wegen Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede angezeigt, darunter auch Sarmina Stuman vom Afghan Refugees Movement. Als Versammlungsleiterin der Demonstration habe sie auflagenwidrig zum Hass aufrufende Sprechchöre nicht unterbunden, so die Staatsanwaltschaft. Gemeint sind damit unter anderem Formulierungen wie „Bullen morden und der Staat schiebt ab, alles ein Rassistenpack.“ Das Verfahren gegen Stuman wurde inzwischen gegen eine Geldauflage eingestellt.

Reinhardts Hauptverhandlungstermin steht noch aus. Die zahlreichen Anzeigen hinterlassen bei ihm kein gutes Gefühl: „Dadurch entsteht bei mir schon der Eindruck, dass kritische Nachfragen unterbunden werden sollen und nicht erwünscht sind.“ Insbesondere im Kontext des hessischen Polizeiskandals, von dem auch das Polizeipräsidium Osthessen in Fulda betroffen war, findet er eine unabhängige Aufklärung wichtig.

Internationale Menschenrechtsgremien empfehlen Deutschland bereits seit Jahrzehnten die Einrichtung von unabhängigen Stellen zur Untersuchung von Beschwerden gegen mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der Polizei, insbesondere in Hinblick auf institutionellen Rassismus – bisher vergeblich.

In ihrer Forderung nach einer unabhängigen Aufklärung will Reinhardt die Familie von Matiullah Jabarkhil und das Afghan Refugees Movement weiterhin unterstützen. „Es sollte bei all dem nicht hinten runterfallen, dass es eigentlich um die Trauer um Matiullah geht und darum, dass die Umstände seines Todes vollumfänglich aufgeklärt werden“.

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