Sprache in der Corona-Krise: Das Virus der Konformität

Worte sind nicht ansteckend, doch sie übertragen eine Haltung, die sich schnell verbreiten kann. Über Sprache und Denken im Corona-Ausnahmezustand.

Gebastelte Maske mit roter Zunge

Versteckspiel oder Angst vor Konformität? Phantasie kann helfen Foto: Christoph Soeder/dpa

Wo kam sie ursprünglich her, die Metapher vom „Runterfahren“ der Gesellschaft, die damit zu einer Maschine wird, mit einem gedachten großen Hebel? Der Begriff ähnelt dem Patienten null der Epidemiologie, von dem eine Krankheit mutmaßlich ihren Ausgang nimmt. Worte sind nicht ansteckend, doch übertragen sie eine geistige Haltung, die sich schneller verbreiten kann, als man ihrer gewahr wird.

Beim Hinauf- und Herunterfahren einer Maschine darf nichts knirschen, kein Sand im Getriebe sein. Auf eine Gesellschaft bezogen, ist das ein totalitäres Bild. Aber darf man solche Überlegungen jetzt anstellen, Sprachkritik, Ideologiekritik? Man muss es sogar, zumal angesichts der zweitmeist verwandten Krisenvokabel: „den Laden am Laufen halten“. Der Begriff kommt jovial daher, doch teilt er auf in Unverzichtbare und Verzichtbare, in Front und Hinterland. Verzichtbar ein Großteil des geistigen und kulturellen Lebens; Zuhausebleiber – ob sie je wieder gebraucht werden?

Wer im Hinterland sitzt, denkt sich an die Front, sucht nach Rechtfertigung des eigenen Daseins, nach einem Platz in der großen Rettungsgemeinschaft. Es hat also Gründe, wenn im Hinterland nun ein Virus der Konformität auftritt, ein offensiv vorgetragener Wille, sich einzugliedern in einen Notstand härtester Art. So ist es gewiss nicht bei allen. Doch ist es zum Fürchten, wenn aus einer jungen, hochgebildeten, liberalen Mittelschicht der Ruf nach einer totalen Ausgangssperre ertönt, wie sie nicht einmal der Staat will.

Woher rührt diese vorauseilende Bereitschaft zur Unterwerfung, feierlich deklariert auf Instagram?

Eine Art Krisen-Biedermeier

Achtsamkeit und Vernunft sind Schlüsselbegriffe. Wer diese beiden Tugenden für sich selbst in besonderem Maße in Anspruch nimmt, erschafft dieser Tage ein neues Milieu, eine Art Krisen-Biedermeier. Das eigene regelkonforme Verhalten wird mit detaillierten Selbstverpflichtungen öffentlich bezeugt und die verordnete Entschleunigung als ein Schonraum erlebt – so öko-sauber, mit stillen Straßen, die nicht gegen Automobil-Interessen erkämpft werden mussten.

Nestwärme in einer Utopie ohne Bürgerrechte.

Wer dieser Tage von Freiheitsrechten spricht, wird leicht der Verantwortungslosigkeit bezichtigt. Manche setzen intellektuelle Reflexion unumwunden mit der Bereitschaft gleich, andere fahrlässig zu infizieren. Und überhaupt: Kritik ist nicht an der Zeit! Erst „danach“ wieder zulässig! Aber das Danach, wann wird es sein? Niemand weiß es. Und werden Rechte, wenn sie jetzt allzu leichten Herzens aufgegeben werden, eines Tages zurückkommen, einfach so?

Konformitätsdruck

Auch die Medien stehen unter Konformitätsdruck, von innen wie von außen, und Abweichungen werden sanktioniert. Als Anne Will in ihrer jüngsten Sendung gegen Söder stichelt, im journalistischen Tonfall früherer Zeiten, zieht die Süddeutsche Zeitung die Rote Karte: „Eine Moderatorin will spalten.“ Spalten? Ein Vorwurf aus dem Vokabular autoritärer Gemeinschaften. Wie locker solche Begriffe jetzt sitzen. Wer ist sichtbar in der Krise, wer hat Stimme? Die Älteren, also etwa ein Fünftel der Bevölkerung, kommen fast nirgends zu Wort, sind nur Objekt der fürsorglichen Belagerung. Die vielen Vereinzelten, zur Einsamkeit verdammt, vielleicht schreien sie dagegen an, wir hören sie vorsichtshalber nicht. Denn es könnte demoralisierend wirken.

Weitgehend unsichtbar auch der migrantische Teil Deutschlands, obwohl dazu viele gehören, die den Laden zusammenhalten, unterbezahlt. Trotzdem sind Talk-Runden ausschließlich weiß, als könnten sich nur so Ernst und Verantwortung versammeln.

Es bedarf keiner Ermächtigung

Der Ausnahmezustand ist von faktischer, sozialer und geistiger Art, doch kaum von juristischer. Um die Gesellschaft matt zu setzen, bedurfte es keiner Ermächtigungsgesetze. Beruhigend ist das nicht, eher alarmierend, und zumindest einige Juristen sprechen das aus. Uwe Volkmann, Professor für öffentliches Recht in Frankfurt am Main, schreibt, nun komme eine Ahnung auf, „was auch in demokratischen Rechtsstaaten binnen kurzer Zeit alles möglich ist, wenn einmal die falschen Leute die Hebel der Macht – oder sagen wir es, wie es ist: die des Rechts – in die Hand bekommen.“

Hans Michel Heinig, Kirchen- und Verfassungsrechtler, graust es davor, dass sich ein Rechtsstaat in kürzester Frist „in einen faschistoid-hysterischen Hygienestaat“ verwandeln könnte.

Und der israelische Historiker Yuval Noah Harari fürchtet, die Epidemie werde zum Wendepunkt in der Geschichte der Überwachung. Durch die automatische Kontrolle der Körpertemperatur, vernetzt mit Bewegungsdaten, ließen sich Infektionsketten verkürzen. Und vor die Wahl gestellt zwischen Schutz der Privatsphäre und Gesundheit, wählten die meisten die Gesundheit. Ob das gleichermaßen gilt für die Wahl zwischen Gesundheit und Demokratie?

Manche sehen nun eine Zeit der Solidarität – doch Solidarität mit wem? Afrika schottet sich ab gegen Europa, hat Grenzen geschlossen, Flug- und Schiffsverbindungen gekappt. Das dreht für einen Moment die übliche Perspektive. Aber das Virus macht nicht gleich, wie manche bei uns philosophieren, es unterstreicht vielmehr eine obszöne Ungleichheit. Mali, 20 Millionen Einwohner, 9 Intensivbetten. Zwei von fünf Erdenbürgern haben, so unglaublich es ist, zu Hause kein fließendes Wasser, um sich die Hände zu waschen. Die Zivilgesellschaft, die bei uns nun suspendiert ist, hat in ärmeren Ländern, wo Prävention alles ist, eine überlebenswichtige Rolle bei der Aufklärung.

Auf demokratische Rechte zu verzichten, muss man sich leisten können.

Westliche Ideologien haben gepredigt, die Gesundheitssysteme dem Profit zu unterwerfen. Daran leiden wir nun selbst, andere leiden schlimmer. Die Pandemie muss eine Zeit radikaler Kritik der bestehenden Zustände werden, nichts ist naheliegender.

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