Prozess im Hannibal-Komplex: Waffenexperte vor Gericht

In Schwerin beginnt der Prozess gegen Marko G., einen ehemaligen Elitepolizisten. Er soll massenhaft Munition gestohlen und gehortet haben.

Polizei im Spezialeinsatz

Polizisten einer Spezialeinheit beim Einsatz auf dem Grundstück in Banzkow August 2017 Foto: Jens Büttner/dpa

Am Mittwoch beginnt vor dem Landgericht Schwerin einer der bisher größten Prozesse zum Hannibal-Netzwerk mit rechtsextremen Mitgliedern in Polizei, Militär und anderen Behörden. Die Staatsanwaltschaft hat Marko G., einen ehemaligen Beamten des Spezialeinsatzkommandos Mecklenburg-Vorpommern, angeklagt, gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffengesetz und das Sprengstoffgesetz verstoßen zu haben.

Bei zwei Durchsuchungen auf dem Grundstück, im Fahrzeug und in Häusern von Marko G. fanden Polizist*innen unter anderem über 55.000 Schuss Munition und eine Maschinenpistole der Marke Uzi aus Bundeswehrbeständen.

Marko G. ist eine der Schlüsselfiguren des von der taz und anderen Medien aufgedeckten Hannibal-Netzwerks. Der Begriff steht für mehrere Chatgruppen beim Messenger-Dienst Telegram, die von einem ehemaligen Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) ins Leben gerufen worden sind. Er gab sich selbst den Decknamen Hannibal.

Die Mitglieder der von „Hannibal“ gegründeten Gruppen bereiteten sich als sogenannte Prepper auf einen „Tag X“ vor. Für manche war dieser Tag X eine Naturkatastrophe, auf die sich mit dem Einlagern von Konserven und Batterien vorbereiten wollten, andere jedoch sahen die Gefahr einer muslimischen Invasion und horteten deswegen Waffen. Einer dieser Waffenbeschaffer soll Marko G. gewesen sein, die Staatsanwaltschaft Schwerin schreibt dazu in einer Mitteilung: „Dabei fiel dem Angeschuldigten als Waffenexperte unter anderem die Aufgabe zu, Munition und Waffen für die Gruppe zu beschaffen und zu horten.“

Zwei Mitgliedern der vom in Schwerin angeklagten Marko G. administrierten „Nordkreuz“-Gruppe sollen Feindeslisten angelegt und die Tötung politischer Gegner geplant haben, das wirft ihnen der Generalbundesanwalt vor.

Viele Männer des Hannibal-Netzwerks radikalisierten sich nach der Ankunft von über einer Million Geflüchteten 2015 und 2016 in Deutschland. Gegen mehrere Männer, die sich in Telegram-Chats und bei realen Treffen austauschten, laufen Ermittlungen. Das Hannibal-Netzwerk hatte Ableger im Norden, Süden, Westen und Osten Deutschlands.

So war beispielsweise auch der Bundesoffizier Franco A., der laut Bundesanwaltschaft mit gefälschter syrischer Identität Terroranschläge geplant hat, Teil des Netzwerks, und zwar in Süddeutschland. Der mutmaßliche Rechtsextremist muss sich wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, also Terror, vor Gericht verantworten. Der Bundesgerichtshof hob eine anderslautende Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf, wie am Dienstag bekannt wurde.

Angeklagter war Administrator von Chatgruppen

Der in Schwerin ab Mittwoch vor Gericht stehende ehemalige Elite-Polizist Marko G. war nach Erkenntnissen der Ermittler*innen der Administrator von mindestens zwei Chatgruppen im Nordteil des Netzwerks: Nordkreuz und Nord.com.

Marko G. wurde bereits im September in Schwerin angeklagt, weil er mit Hilfe von mindestens drei weiteren aktiven und ehemaligen Polizisten ab April 2012 widerrechtlich Munition aus den Beständen des Landeskriminalamts Mecklenburg-Vorpommern gestohlen haben soll. Dabei geht es um insgesamt 55.000 Schuss, die zusammen mit zahlreichen Waffen und Sprengkörpern bei zwei Durchsuchungen gefunden wurden, die knapp zwei Jahre auseinanderliegen.

Zum ersten Mal durchsuchten Einheiten des Bundeskriminalamts das Wohnhaus und das Auto des Angeklagten im 20 Kilometer südöstlich von Schwerin gelegenen Ort Banzkow am 28. August 2017. Die lokalen Polizeibehörden wurden damals nicht eingebunden, unter anderem deshalb, weil Marko G. selbst Polizist im Landeskriminalamt ist.

Die Ermittler*innen des Bundeskriminalamts fanden bei G. unter anderem 23.800 Schuss Munition, zahlreiche Waffen und Blendgranaten. Was Marko G. zu diesem Zeitpunkt legal besaß und was nicht, soll der Prozess in Schwerin unter anderem klären. Der Ex-Elitepolizist besaß zu diesem Zeitpunkt mehrere Waffenbesitzkarten.

Noch am Tag der Durchsuchung entzog die zuständige Behörde Marko G. sämtliche Waffenbesitzkarten. Die Bundesanwaltschaft gab ihre Erkenntnisse über G. an die Ermittlungsbehörden in Mecklenburg-Vorpommern weiter. Sieben Beamt*innen des Landeskriminalamts ermittelten fortan in einer speziellen Ermittlungsgruppe, abgeschottet von ihren Kolleg*innen.

In Schwerin fürchtete man offenbar einen Maulwurf in den eigenen Reihen. Die Staatsanwalt Schwerin schreibt in einer Mitteilung, man habe „zum Schutz der Ermittlungen auch die Unterstützung von Polizeidienststellen anderer Bundesländer in Anspruch genommen“.

Am 12. Juni dieses Jahres, zwei Jahre nach der ersten Durchsuchung, ließ die Staatsanwaltschaft Schwerin das Wohnhaus von Marko G. noch einmal durchsuchen, dazu einen von ihm genutzten Bungalow. Die Beamt*innen fanden dieses Mal Waffen, Sprengkörper und etwa 31.500 Schuss Munition.

Darunter auch etwa 1.400 Schuss Gewehrmunition, die dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterliegen. Laut der Staatsanwaltschaft Schwerin verkaufen die Hersteller diese Munition ausschließlich an Polizeibehörden und Streitkräfte.

Die gestohlene Maschinenpistole

Die Beamt*innen fanden auch eine Maschinenpistole des israelischen Fabrikanten Israel Weapon Industries mit Schalldämpfer, weltweit bekannt als „Uzi“. Laut den Ermittler*innen wurde die Maschinenpistole im Dezember 1993 aus Räumlichkeiten der Bundeswehr in Brandenburg gestohlen.

Das Amtsgericht Schwerin erließ noch am selben Tag Haftbefehle gegen Marko G. und die drei Männer, die ihm geholfen haben sollen, Munition aus Beständen des Landeskriminalamts Mecklenburg-Vorpommern zu stehlen.

Am Tag der ersten Durchsuchung bei Marko G., damals im August 2017, nahmen sich BKA-Beamt*innen neben dem Haus von Marko G. auch die Wohn- und Geschäftsräume von fünf weiteren Männern vor. Durch diese Razzia erfuhr die Öffentlichkeit, dass die Bundesanwaltschaft in Nordeutschland eine potenzielle rechtsextreme Terrorzelle vermutet.

Oder wie es auf Juristendeutsch heißt: Sie verdächtigt zwei der insgesamt sechs Männer der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Ein Verdächtiger ist Rechtsanwalt und Lokalpolitiker, ein anderer ist Polizist wie Marko G., ein Kriminaloberkommissar aus Ludwigslust. Marko G. selbst ist für die Bundesanwaltschaft bis heute kein Tatverdächtiger.

Deswegen steht G. in Schwerin auch nur wegen der Vorwürfe des illegalen Besitzes von Waffen und Munition beziehungsweise der unsachgemäßen Lagerung derselben vor Gericht, sagt eine Sprecherin der dortigen Staatsanwaltschaft. Ihre Behörde stütze sich bei der Frage des Terrorverdachts auf die Erkenntnisse der Bundesanwaltschaft. Wenn diese Marko G. nicht als Terrorverdächtigen führe, werde er in Mecklenburg-Vorpommern auch nicht als solcher angeklagt. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte am Dienstag dazu lediglich, die Ermittlungen dauerten noch an.

Bleibt noch die Frage, warum ab Mittwoch nur Marko G. vor Gericht steht und nicht die drei ehemaligen SEK-Beamten, die ihm beim Munitionsklau geholfen haben sollen. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte am Dienstag, die Ermittlungen gegen die drei anderen mutmaßlichen Munitionsdiebe dauerten noch an.

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Illustration: taz/Infotext-Berlin (Montage)

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