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Drama in Großbritanniens UnterhausLasst wählen!

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Boris Johnson hat keine Mehrheit mehr im Unterhaus. Es wäre absurd, wenn jetzt Teile der Opposition versuchen würden, Neuwahlen zu verhindern.

Ohne Mehrheit: Boris Johnson verlässt Dienstagnacht das britische Unterhaus Foto: dpa

V on wegen geknebeltes Parlament: Das britische Unterhaus hat Boris Johnson am späten Dienstagabend eine spektakuläre Niederlage zugefügt und sich die Hoheit über eine mögliche Verhinderung eines No-Deal-Brexit gesichert. Die regierenden Konservativen haben sich gespalten, die Regierung hat keine Mehrheit mehr. Die Stop-the-Coup-Demonstranten, die seit Tagen gegen Boris Johnsons „Putsch“ auf die Straße gehen, müssen sich etwas Neues ausdenken. Wenn jetzt jemand Macht eingebüßt hat, ist es Boris Johnson selbst.

So schnell kann es gehen. Boris Johnsons „Prorogation“ – also die vor einer Woche verfügte Beendigung der aktuellen Sitzungsperiode des Unterhauses – und die Eröffnung einer neuen Sitzungsperiode samt Thronrede am 14. Oktober: Schnee von gestern. Stattdessen wird das Parlament wohl vollends aufgelöst; es ist nur eine Frage von Tagen. Dieses Unterhaus wird dann nie wieder in der derzeitigen Zusammensetzung zusammenkommen, was die meisten Briten sehr begrüßen dürften.

In Großbritannien läuft alles auf Neuwahlen hinaus, vermutlich am 15. Oktober, kurz vor dem für den Brexit entscheidenden EU-Gipfel. Der Weg zu Neuwahlen ist klar: Entweder das von Johnsons Gegnern eingebrachte Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit am 31. Oktober geht durch – dann wird die Opposition den entsprechenden Antrag des Premierministers unterstützen. Oder es scheitert, was immer noch möglich ist – aber mangels Mehrheit könnte dann Johnson trotzdem nicht weiter regieren. Über kurz oder lang stürzt er per Misstrauensvotum, oder er tritt einfach als Premierminister zurück und sucht das Mandat des Volkes.

Klar ist jedenfalls: Selbst wenn das Parlament jetzt einen No-Deal-Brexit per Gesetz verhindert, ist dieses Gesetz praktisch bedeutungslos. Ein Premierminister Boris Johnson wird es nicht umsetzen. Entweder er gewinnt vor dem 31. Oktober eine neue Parlamentsmehrheit und kippt es wieder – oder jemand anders wird vor dem 31. Oktober Premierminister. In jedem Fall werden die Karten in der britischen Politik neu gemischt, bevor das jetzt beratene Gesetz relevant wird.

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Es wäre jetzt völlig bizarr, aber in der aufgeladenen politischen Stimmung nicht ausgeschlossen, wenn Teile der Opposition versuchen sollten, Neuwahlen zu verhindern, nach dem Motto: Lieber ein Boris Johnson ohne Mehrheit als ein Boris Johnson – oder auch ein Jeremy Corbyn – mit Mehrheit. Aber lange ginge das nicht gut. Der Brexit-Streit hat Großbritanniens Politik lange genug gelähmt. Zeit für eine Entscheidung an der Wahlurne: No Deal mit Johnson – oder No Brexit mit Corbyn.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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25 Kommentare

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  • "No Deal mit Johnson – oder No Brexit mit Corbyn."

    Dann lieber Corbyn.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Dass sich Demonstranten etwas ausdenken müssten, ist mir völlig neu. Einerlei ob Altes oder Neues. Sie tun das, was Demonstranten tun können: demonstrieren. Mehr ist nicht nötig. (Oder steht irgendwo etwas anderes geschrieben?)

    Von Boris Johnson (Regierungschef) kann man Gleiches nicht (jedenfalls nicht mit Berechtigung) behaupten. Regieren geht anders. Er verwaltet das Chaos. Arme Briten!

    Zum weiteren Fortgang der Ereignisse schalten wir um in die Kellerräume des britischen Unterhauses, Abteilung Bartwickelmaschine ...

    Oooommmm.

  • Das traurige an dem ganzen Londoner Kasperletheater ist ja, dass - selbst wenn man dem alten Ehrenmann Boris vertrauen könnte - durch eine Wahl am Ende wieder nix gelöst wird, sondern das Drama sich nur verlängert.

    Ich meine immer noch, dass die Queen endlich das Ganze die Hand nehmen sollte - schließlich ist es ja "ihr" Parlament und "ihre" Regierung... Danach kann sie ja das Kasperletheater neu wählen lassen.

    • @Vingerklip:

      Es heisst zwar "ihr" Parlament, Verfassungswirklichkeit ist aber, dass die Queen das tut (zu tun hat), was "ihre" Regierung vorgibt.



      Den einzigen Einfluss, den sie ausüben kann, sind die 4-Augen-Gespräche mit dem jeweiligen Regierungschef. Da kann sie beraten. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Brexit-Boris irgendeinen Rat annimmt. Auch von der Queen nicht.

  • So ein Käse Drei Jahre Zeit gehabt und jetzt kurz vor der Angst (wieder) kneifen.

    Das schlimme daran ist das diese Volksverdreher in Brüssel einen Aufschub mal wieder zustimmen werden, anstatt einfach zu sagen:

    NÖ! Es reicht jetzt Ihr habt uns schon drei Jahre verarscht und wir haben dabei Millionen Steuergelder von EU-Bürdern verschwendet.

    • @Klappstuhl:

      Es ist wohl doch eher so, dass die EU drei Jahre lang die Briten verarscht hat. - Und uns EU-Bürger nebenbei auch. Die EU versucht seit drei Jahren, die Briten zurück zu bluffen und zu zwingen. Unseren Journalisten sprechen die EU-Größen dabei immer vor, dass der Brexit ganz schlimm für GB wird (kann ja sein), dabei ist's die eigene Angst vor der Verkleinerung des Binnenmarktes für die persönlichen Lieblingskonzerne.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @Klappstuhl:

      Populist? Oder wollen sie erst einer werden?

      • @06438 (Profil gelöscht):

        Besser als einer der Menschen in Schubladen sortiert und keine anderen Meinungen neben seiner eigenen akzeptiert.

        • 0G
          06438 (Profil gelöscht)
          @Klappstuhl:

          Tut mir wirklich sehr leid Ihnen auf diesem Wege mitteilen zu müssen das meine 4 Schubladen belegt sind (randvoll) und sie keinen Platz mehr darin haben.

          Sollte ich sie trotzdem beim Stöbern erwischen dann können sie aber was erleben.

          Ansonsten - wie war denn das mit der Verarschung - es herrschte fast ein Jahr Totenstille vor den Verhandlungen zwischen EU - und UK - wen hat denn die Nichtkommnikation in dieser Zeit am meisten verarscht?

          EU hat seinen Vorschlag einer Grenze in der irischen See zurück gezogen - auf Vorschlag der Briten - wer war dabei denn dabei der Verarschende und wer war das Verarschungsopfer?

          Ist Verarschung jetzt eine neue politische Kategorie der Gauleiter - rechtsradikal - Polit - Terroristen - oder soll es nun lt. dem Gauleiter, der weinerlich wimmernd momentan um politische Korrektheit bittet, bürgerliche - rechtsradikal - Polit - Terroristen heißen?

          Bitte dringend um Aufklärung.

  • Klar - in schwierigen Lagen ist wählen immer die Lösung der Wahl. Das hat man ja schon eindrucksvoll beim Brexit-Referendum sehen können. «(º¿º)»

  • Dominic Johnson scheint Boris Johnson als das kleinere Übel zu sehen ...anders sind seine Kommentare mit disqualifizierender Wertung der Opposition als "hysterisch" (gestern) und angeblich wahlfeindlich gesinnt (heute) nicht zu verstehen.

  • Die Briten werden so oder so ein auf Jahre oder Jahrzente zerstrittenes Volk bleiben. Für die EU, deren Mitglieder und deren Bevölkerungen ist es wichtig, dass dieser Streit außerhalb der EU stattfindet.

    Daher ist doch ganz egal, was in London passiert oder nicht, Hauptsache UK tritt am 31.10.2019 aus der EU aus. Hoffentlich kommt keine der beiden Seiten auf die dumme Idee, diese Allerletzte-Jetzt-Aber-Wirklich-Allerletzte-Wirklich-Nicht-Mehr-Verlängerbare-Frist nicht nochmals zu verlängern.

    Ein vereintes Irland und ein eigenständiges Schottland können gerne mittelfristig mit einem verkürzten Aufnahmeverfahren wieder beitreten.

  • "Entweder das von Johnsons Gegnern eingebrachte Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit am 31. Oktober geht durch – dann wird die Opposition den entsprechenden Antrag des Premierministers unterstützen."

    Auch Boris Namensvetter sollte sich mal besser informieren: Alle Oppositionsparteien haben es schon abgelehnt am 14.10. wählen zu lassen. Grund: Die "Parlamentsferien" bis kurz vor dem Austrittsdatum am 31.10., die Abgeordneten hätten schlicht keine Zeit mehr, einen No-Deal-Braxit zu verhindern. Die Opposition wird erst dann wählen lassen, wenn ein kalter Brexit vom Tisch ist und traut Boris zurecht kein kleines Stück, da er sich nicht an britisches Gewohnheitsrecht hält, eine Verfassung gibt es dort ja nicht. Das Gesetz, sollte es durchkommen, ändert daran nichts. Ein Misstrauensvotum kommt wegen den Parlamentsferien ev. zu spät, um den Brexit zu verhindern.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Es wäre jetzt völlig bizarr, aber in der aufgeladenen politischen Stimmung nicht ausgeschlossen, wenn Teile der Opposition versuchen sollten, Neuwahlen zu verhindern,..........""

    ==

    Dominic Johnson unterstützt den größten und dicksten Serien-Lügner namens Boris Johnson den England momentan aufzubieten hat?

    Tatsächlich entdecken lässt sich in der Opposition niemand der Neuwahlen grundsätzlich ausschliesst - im Gegenteil - siehe SNP, die Neuwahlen dazu benutzen wird um die Anzahl von schottischen Abgeordneten entscheident zu verbessern -- nachdem den Tories in Schottland ein Totalausfall blühen wird - und auch Labour rückt nicht von Neuwahlen ab - siehe Statements von Starmer und Corbyn.

    Der Punkt:

    Neuwahlen nach den Bedingungen der Opposition - darum geht es - und das bedeutet:

    Zunächst einen No-Deal - Brexshit zu verhindern - um dann Neuwahlen anzustreben - das ist der Plan.

    Hat Boris mit Dominic diese Nacht telefoniert um mit den neuesten populistischen Devisen Kreuzberg, Schöneberg und Friedrichshain zu fluten?

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Die Liberaldemokraten, genauso wie abgespaltene Tories, haben allerdings zum Ausdruck gebracht, dass sie lieber keine Neuwahlen hätten, wenn diese Corbyn an die Macht brächten.

      • @BigRed:

        Die LibDems haben gleich große Chancen wie Corbyn, an die Macht zu kommen bzw. stärkste Partei zu werden, also werden sie sich Neuwahlen nicht verweigern, zumal sie bei 15 Abgeordneten nur massiv zulegen können. Die Mehrheit der konservativen "Rebellen" (eigentlich vertreten sie nur die konservative Position seit 2016) wird nicht mehr zur Wahl antreten. Die Alternative zu Neuwahlen wäre ja nur Corbyn in einer Multiparteienkoalition, das möchte langfristig niemand, aber ev. kurzfristig bis zur Fristverschiebung des Brexit und Neuwahlen.

  • Es ist ein bisschen unbefriedigend, dass die faktisch, aber - soweit ich erkennen kann - gesetzlich nicht ganz sauber geregelte Frage nicht erläutert wird, ob ein konstruktives Misstrauensvotum den hier beschriebenen Prozess aufhielte.



    Was, wenn die Opposition gegen Johnsons Kurs beispielsweise einen Tory vom Format John Majors oder Kenneth Clarkes oder eine Genossin vom Format Betty Boothroyds mit der kurzen Agenda zum Premier wählte, ein zweites Referendum einzuleiten? Oder gar - was in diesem Zirkus ja überfällig wird - um die kanadische oder australische Verfassung ins britische Englisch zu übersetzen?

    Für Leser, die das deutsche Konzept des konstruktiven Misstrauensvotums im Kopf haben, ist eine Zwangsläufigkeit, die sich aus der Prämisse des Kommentars - der eines zwingend destruktiven Votums - ergibt, jedenfalls nicht gut nachzuvollziehen.

    Aber wir werden das ja im Tagesverlauf wohl sehen.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @Axel Cäsar Hüpfer:

      "".....................nicht ganz sauber geregelte Frage nicht erläutert wird, ob ein konstruktives Misstrauensvotum den hier beschriebenen Prozess aufhielte.""

      ==

      Das Misstrauensvotum, von der größten Opposition in das Parlament eingebraucht ist die sogenannte nukleare Option - das bedeutet es ist die letzte aller Möglichkeiten, den Serienlügner Boris Johnson mit seinen mafiösen ERG groupies wie Jacob - Rees Fog die rote Karte zu zeigen.

      Boris Johnson hat dazu gemeint das er in diesem Fall einfach nicht zurücktreten würde - und auf der anderen Seite haben Teile der Opposition (Lib-Dems, Jo Swinson) ein Problem damit, das Jeremy Corbyn dann als Oppositionsführer den der Interims PM bis zu den Neuwahlen abgeben würde.

      Nach einem Misstrauensvotum hat das Parlament 14 Tage Zeit eine neue Regierung zu bilden - wie soll das gehen wenn der augenblickliche präfaschistisch agierende PM Boris Johnson das Parlament ab nächsten Montag suspendiert hat?

  • Liebe taz. Stellen solche Kommentare nun tatsächlich die Meinung der Redaktion dar.



    Das fände ich sehr befremdlich.

    Diese einseitige Position auf Seiten der nationalistischen Populisten finde ich inzwischen unerträglich.

    • 6G
      64984 (Profil gelöscht)
      @Michael Garibaldi:

      Ganz meine Meinung!

    • @Michael Garibaldi:

      Gemach, gemach.

      Meist bin ich mit Dominic Johnsons Kommentaren nicht einverstanden.

      Dennoch lese ich sie aufmerksam zu: sie sind meist gut recherchiert, intelligent, und argumentativ gut gebaut.

      Das allerletzte was ich will, ist eine gleichgeschaltete Redaktion.

      Das aller-allerletzte was ich will ist eine Zeitung, die mich immer nach dem Strich bürstet.

      Ich muss ab und zu die Chance bekommen, meinen Standpunkt auf den Prüfstand zu stellen.

    • @Michael Garibaldi:

      Was ist unerträglich? Die Forderung nach Neuwahlen vor einer Entscheidung von höchster Tragweite ist doch wohl nicht verkehrt.