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Familiennachzug von GeflüchtetenKampagne mit monströsen Zahlen

Seehofer hat zum Nachzug absichtlich zu hohe Zahlen in die Welt gesetzt. Tausende Geflüchtete blieben deshalb jahrelang von ihrer Familie getrennt.

Die CSU hat lange daran gearbeitet, Flüchtlingen das Recht auf Zusammenleben vorzuenthalten Foto: dpa

Berlin taz | 786. Das ist die Zahl der Visa, die Deutschland zwischen August und November für Angehörige von Flüchtlingen mit „eingeschränktem Schutzstatus“ ausgestellt hat. Im August war eine Regelung in Kraft getreten, nach der jeden Monat 1.000 solcher Angehöriger kommen dürfen. Nun sind es erheblich weniger.

Der Flaschenhals sind die Botschaften: 44.763 Anfragen für einen Termin, um ein solches Familienvisum zu bekommen, sind bei dem deutschen Botschaften anhängig, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete. Die Menschen müssen so lange warten, überhaupt einen Antrag stellen zu dürfen, dass das Kontingent, auf dass sich Union und SPD geeinigt hatten, nicht mal ansatzweise ausgeschöpft werden kann.

Es ist ein Zustand, den es eigentlich gar nicht geben dürfte. Familien haben ein Recht darauf, zusammen zu leben. Das gilt auch für Flüchtlinge. Doch die CSU, die Partei, die wie keine andere die traditionelle Kleinfamilie hochhält, hat lange daran gearbeitet, Flüchtlingen dieses Recht vorzuenthalten.

Als zwischen Oktober und Dezember 2015 etwa 920.000 Asylsuchende nach Deutschland kamen, stand in der Bild-Zeitung, es sei „aufgrund der familiären Strukturen“ im Nahen Ostens mit einem „Familien-Faktor von ‚vier bis acht‘“ zu rechnen. Deshalb könnten durch das Recht auf Familiennachzug „bis zu 7,36 Millionen“ kommen, die in Deutschland leben wollen“. Quelle: Ein „Geheimpapier“ aus den Innenbehörden. Belege gab es dafür keine.

Keine Grundlage

Mit dieser monströsen Zahl startete vor allem die CSU eine Kampagne, die damit endete, dass viele SyrerInnen nur noch einen eingeschränkten, so genannten subsidiären Schutzstatus bekamen – und damit kein Recht auf Familiennachzug.

Wer weiß, unter welchen Bedingungen viele ihrer Angehörige im Nahen Osten leben, mag sich gar nicht vorstellen, was es für Flüchtlinge, die es hierher geschafft haben, bedeutet, sie nicht zu sich holen zu dürfen. Ihre Kinder, Frauen, manchmal auch Ehemänner leben in überfüllten Lagern in Griechenland, auf der Straße im Libanon, von 30 Euro EU-Hilfszahlungen im Monat in der Türkei oder immer noch im kriegsgeschüttelten Syrien.

Die SPD wollte deshalb das Recht zum Familiennachzug in den Koalitionsvertrag hinein verhandeln. Seehofer lehnte dies ab. Und setzte wieder Zahlen in die Welt, die keine Grundlage hatten: Noch zu Beginn des Jahres behauptete er damalige Innenminister in spe, 300.000 Angehörige könnten nach Deutschland kommen, wenn die SPD sich durchsetzt.

Jetzt zeigt sich: Es sind wohl deutlich weniger – nämlich die rund 45.000, die bei den Botschaften um einen Termin nachgesucht haben, den aber nicht bekommen. Auch das kommt, davon darf man ausgehen, nicht von ungefähr.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb am Mittwoch, Seehofer habe sich „grob verschätzt“. Sie denkt zu gut von den Menschen. Absichtlich zu hohe Zahlen in die Welt zu setzen, das war seit Jahren die Methode, mit der die christsoziale Familienpartei dafür sorgte, Tausende Flüchtlingsfamilien auf Jahre hinweg getrennt zu halten.

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13 Kommentare

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  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...und die Grünen erzählen immer die Geschichte vom Horst, dem vernünftigen Politiker.



    Naja, die Grünen haben bei den Koalitionsverhandlungen unter anderem einer "atmenden Obergrenze" zugestimmt, war ja auch so eine Idee, von der CSU.

  • Die 45.000 Antragsteller (fuer einen Termin!!) sind aber auch keine Referenz, denn bei besseren Aussichten wuerden mehr Leute einen beantragen.



    Den Termin bekommt man vermutlich auch nicht online, sondern man muss erst mal irgendwo hinfahren und vorsprechen.



    Und ist es genau eine Nachzugsberechtigte je Terminanmeldung???

    • @meerwind7:

      was davon entkräftet jetzt die kritik an der zahl tausend(!)? pro jahr(!) als obergrenze für davongekommenen, denen man beim besten willen nicht verbeiten kann, mit ihren familien(!) zusammenzuleben.

      wärend 2017 in deutschland 150tausend menschen mehr starben als geboren wurden.

  • Warum ist die Verwendung gefälschter Zahlen durch Bundesbehörden nicht strafbar? Offensichtlich gefälschte Zahlen gibt es nicht nur bei Flüchtlingen, sondern auch bei Wirtschafts- und Energiezahlen. Die Bundesregierung extrapoliert die künftige Wirtschaftsentwicklung regelmässig aus der Vergangenheit, obwohl untrittig ist, dass die Demografie einbricht und sich das BIP etwa halbieren wird müssen. Im wirtschaftlichen Umfeld wären Manager mit hohen Haftstrafen bedroht. Warum gilt das nicht für Beamte im öffentlichen Umfeld?

  • "Ihre Kinder, Frauen, manchmal auch Ehemänner leben in überfüllten Lagern in Griechenland, auf der Straße im Libanon, von 30 Euro EU-Hilfszahlungen im Monat in der Türkei oder immer noch im kriegsgeschüttelten Syrien."

    Es sind ja nicht nur die 45.000 Angehörigen von nach d Geflüchteten sondern Hundertausende - wenn nicht Millionen - Geflüchtete, die weltweit im Elend leben.

    Hier 45.000 Angehörige - nach welchen Kriterien auch immer - herauszugreifen - diese finanziell von 30€ im Monat auf mindestens 800€ im Monat zu heben - ändert an der Situation in den Flüchtlingslagern und in den Herkunftsländern nichts.

  • Nachdem der Bürgerkrieg im allergrößten Teil Syriens vorbei ist, sollte man doch jetzt nicht mehr über Familienzusammenführung bei uns sondern nur noch dort sprechen. Wer soll das Land denn wieder aufbauen, wenn nicht seine Bürger?

    • @notsocommon:

      solange es dort nicht sicher ist, darf man niemanden zwingen dorthin zu gehen.



      flucht um sein leben zu schützen ist immer legitim und es spricht enorm gegen einen staat, sie für illegal zu erklären.



      in einer gerechten welt, würden jene es aufbauen, die es zerstört haben. und die rüstungsfirmen und lobbygeldempfänger sollten haftbar gemacht werden.



      und überhaupt sollte man niemandem die entscheidung verwehren, einem ort für immer den rückenzuzukehren, an dem man alles verlor an besitz und vielleicht an angehörigen und selbst traumatisiert wurde.



      auch deutsche haben nach den kriegen dieses recht für sich in anspruch genommen.

  • Warum schreiben Sie “monströs“ anstatt den Fall zutreffend zubenennen: gefälschten Zahlen ?



    Tatsache ist: Es wurde absichtlich mit falschen Zahlen operiert.



    “monströs“ beschreibt nur einen Zustand, nicht aber den Wahrheitsgehalt. Monströse Zahlen könnten auch wahr sein. Hier aber wurde absichtlich mit übertrieben hohem falschen Zahlen gearbeitet, also mit gefälschten Zahlen gearbeitet.



    Nicht gerade anständig für eine Partei, die sich bürgerliche Werte auf die Fahnen schreibt!

    • @Unvernunft:

      Die Zahl ist eine Schätzung.

      Eine Schätzung kann man nicht fälschen.

      Deshalb ist monströs passender.

  • Wieso soll sich eigentlich die alpenländische Partei einer christlich ordentlichen Familienkultur einsetzen für die Komplettierung moslemisch sozialisierter Großfamilien auf blau-weißer Erde ?



    Da verlangt man doch zu viel von den Schlechtmenschen aus dem Herrgottswinkel der Republik.

  • Hätte ja jemand anders realistischere Zahlen zusammentragen können. War wohl nicht gewollt.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Cededa Trpimirović:

      ...es gab realistische Zahlen für den sog. Familiennachzug. Nur, 'unsere' Bundesregierung bläst in das gleiche Horn, wie die Afd und der bundesdeutsche Bürger hört nur das, was er hören will.

    • @Cededa Trpimirović:

      oh, das ist mit sicherheit passsiert. nur langsamer, denn nicht für jeden werden auf zuruf detaildaten aus botschaften zugetragen. und auch nicht jedem werden die mirkofone der mainstreammedien vor die nase gehalten.



      und wenn die bild eben was schreibt über ein nichtexisiterendes geheimpapier von seehofer, dann ist so einer lüge nicht beizukommen. oder doch nur sehr langsam und mit hilfe von artikeln wie diesem hier, an dem sie nun rummäkeln.