piwik no script img

Forschung zu KlimabewegungWie radikale Gruppen der Klimabewegung nutzen

Gemäßigte Protestgruppen profitieren von ihren radikalen Pendants, zeigt eine Studie. Zwischen Unterstützung und Polarisierung verläuft ein schmaler Grat.

Eine Aktivistin von „Just Stop Oil“ wird vor dem Verteidigungsministerium abgeführt Foto: Martyn Wheatley/imago

Ak­ti­vis­t*in­nen der Letzten Generation, die jüngst eine Umbenennung angekündigt hat, wurde immer wieder vorgeworfen, der Klima­bewegung mehr zu schaden als zu nützen. Umso spannender ist das Ergebnis einer britischen Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Nature Sustainability: Der öffentlichkeitswirksame, gewaltfreie und störende Protest einer radikalen Gruppe – die Studie untersuchte „Just Stop Oil“ in Großbritannien, vergleichbar mit der Letzten Generation – kann die Unterstützung für moderatere Klimaschutzgruppen – in der Studie waren das die „Friends of the Earth“ – erhöhen.

Die Studie

doppelblind

Neue wissenschaftliche Studien stellen wir jede Woche an dieser Stelle vor – und erklären, welchen Fortschritt sie bringen. Sie wollen die Studie finden? Jede hat einen Code, hier lautet er: doi.org/ 10.1111/1365-2664.14810

Die For­sche­r*in­nen des Social Change Lab in Cardiff fanden durch repräsentative Bevölkerungsumfragen vor und nach einer einwöchigen Protestaktion von Just Stop Oil heraus: Je bewusster die Befragten diese Aktion wahrnahmen, umso mehr unterstützen sie danach Friends of the Earth. Die Unterstützung für die gemäßigtere Gruppe stieg in dem Zeitraum von 50 auf knapp 54 Prozent.

Daran wird der „Effekt der radikalen Flanke“ sichtbar. Der gilt als positiv, wenn eine radikale Gruppe die Unterstützung für gemäßigtere Gruppen der gleichen Bewegung erhöht. Negativ fällt er aus, wenn die Unterstützung für diese sinkt.

Dem liegt ein psychologischer Prozess zu Grunde: Moderatere Gruppen erscheinen im Gegensatz zu einer radikaleren Gruppe „vernünftiger“. Und da Menschen dazu tendieren, sich selbst als eher vernünftig einzuschätzen und sich mit ihnen ähnlichen Personen zu identifizieren, steigt auch ihre Unterstützung für eine als vernünftig wahrgenommene Gruppe. Die Studie deutet allerdings auch darauf hin, dass Personen, die dem Klimaschutz eher skeptisch gegenüberstehen, nach radikalen Protestaktionen klimapolitische Maßnahmen stärker ablehnen als vorher.

Was bringt’s?

Der Effekt der radikalen Flanke verleiht der unbeliebten Letzten Generation gerade wegen ihrer Ablehnung, die sie beim Großteil der Gesellschaft auslöst, eine neue, positive Bedeutung. Allerdings sei an dieser Stelle erwähnt, dass einer der Studienautor*innen, der auch der Gründer des Social Change Lab ist, laut dessen Webseite „mehrere Jahre“ soziale Bewegungen aufgebaut hat, „um den Klimawandel zu bekämpfen“. Dabei hat er auch an der Strategie von Extinction Rebellion mitgewirkt.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Für die Überlegung von Bewegungen, welche Formen zivilen Ungehorsams sie wählen sollten, identifizieren die Forschenden zudem zwei Risiken. Radikale Taktiken können den sogenannten Backfire-Effekt auslösen und damit eine gesellschaftliche Polarisierung verstärken. Außerdem können sie zu verstärkter Repression führen, die letztlich die gesamte Bewegung einschränkt. Wie im vergangenen Jahr in Großbritannien, wo das Parlament als Folge von Klimaprotesten das Demonstrationsrecht verschärfte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • Vergleicht mal mal den Erfolg, den die Bauernproteste für sich verbuchen konnten, und den Erfolg der Klimaaktivisten, fällt einem folgendes auf. Beide Seiten griffen mehr oder weniger zu ähnlichen Mitteln: das Lahmlegen des Verkehrs. Die einen wurden als Terroristen beschimpft, die anderen erhielten sehr viel Zustimmung. Wie kann das sein? Eine mögliche Erklärung: bei den Protesten der Letzten Generation, richtet sich der Protest nicht nur alleine an die Politik, sondern an alle, an die gesamte Gesellschaft. Die Bauernproteste hingegen hatte nur die Politik als Adressaten. Da muss niemand befürchten, sein eigenes Verhalten verändern zu müssen. Das dürfte mit ein ganz ausschlaggebende Argument sein.

    • @Klaus Waldhans:

      Sowie die meisten Bauernproteste waren angemeldet und die von der Letzten Generation nie. Somit sind die Bauern gar nicht im Konflikt mit den Leuten gekommen. Dazu kommt nicht die Bauern haben den Dialog mit den Autofahrer gesucht und die Letzte Generation nicht.

  • Klimakleben nervt einfach. Mir ist es dabei egal, wie moderat das sein soll.

  • Das ist natürlich grundsätzlich interessant.



    Ich halte es jedoch für verfehlt, eine gesellschaftliche Studie in Großbritannien 1:1 auf Deutschland ummünzen zu wollen.



    Hierzulande haben Umfragen gezeigt, dass das Verständnis der BundesbürgerInnen für Klimaschutzaktionen mit zunehmender Aktivität der "letzten Generation" stark abgenommen hat.



    Obwohl es sich um europäische Länder handelt, sind die Gesellschaften von z.B. Griechenland, Polen und Schweden nicht gleich.



    Geprägt durch unterschiedliche Geschichte funktioniert Politik und deren Entwicklung unterschiedlich. Das sollte auch in wissenschaftlicher Hinsicht Berücksichtigung finden.

  • Das Fatale an der "Letzten Generation" war/ist, dass sie auf mehreren Ebenen schlicht narzisstisch dumm agiert haben. Ich hab tatsächlich zeitweise gedacht: "Ok, wäre ich Ölindustrie, ich würde die finanzieren!"

    1. Menschen in ihrem - stressigen oder auf Kante genähten - Alltag zu stören (Arbeitsweg?), um auf die eigenen Themen aufmerksam zu machen ... wie empathielos oder einfältig muss man sein um sich so so eine besch... Strategie auszudenken?? WTF.

    2. Der Name "Letzte Generation" zeigt auf den Abgrund, nicht auf Möglichkeiten etwas zu tun und etwas zu ändern, weiter zu leben. Menschen ändern ihr Verhalten, weil sie eine Zukunftsvorstellung haben: Die Menschen die ich kenne, die vom Nikotin oder von anderen Drogen runter gekommen sind, haben das alle geschafft, weil sie z.B. ihren Kindern eine gute Zukunft geben wollten, nicht weil sie Angst vor ihrem Tod (durch Drogen) hatten. Menschen machen sich auf den Weg, weil sie irgendwo hinkommen wollen. Ins gelobte Land, etc. ... ausschließlich auf einen, für viele Menschen noch dazu sehr abstrakten Abgrund zu verweisen ist ... nicht hilfreich?

    These: Solche strategischen Faktoren entscheiden über Nutzen oder Schaden von Radikalen.

  • Funktioniert ja auch andersherum: die AfD ist die beste Wahlwerbung für die Union.

    • @Ajuga:

      nicht nur die AFD. die Grünen auch

  • ".. kann die Unterstützung für moderatere Klimaschutzgruppen erhöhen."

    Zwischen den Zeilen gelesen heißt es also: die Gruppen erfahren eine Unterstützung. Leider hat die Studie vergessen, dass Volk zu fragen. Oder das Ergebnis hat nicht zum erhofften Narrativ gepasst.

  • "Der Effekt der radikalen Flanke verleiht der unbeliebten Letzten Generation gerade wegen ihrer Ablehnung, die sie beim Großteil der Gesellschaft auslöst, eine neue, positive Bedeutung."



    Ich glaube da schwingt auch ganz viel Prinzip Hoffnung mit in dieser Studie...



    Ja man könnte gerade den Beweis anführen, dass die AfD seit Jahren als radikale Flanke auf der anderen politischen Seite agiert und so die Merz-CDU und Linnemann gemäßigt erscheinen lassen - das würde der Studie Substanz geben.



    Aber es kommt halt meiner Meinung auch immer auf die Bevölkerung an - und die ist gerade deutlich leichter für konservative als für progressive Ideen zu begeistern, denn es ist ja nicht so das linke Gruppen ihre Arbeit eingestellt haben, sie haben nur fortwährend keinen Erfolg mehr - seien es Fridays For Future, LG, Extinction Rebellion oder auf politischer Ebene Harris, Die Linke, etc... - die tun und taten ja unaufhörlich, allein sie finden keinen Anklang mehr🤷‍♂️

  • Terrorismus, Gewalt und Rücksichtslosigkeit lohnen sich und werden von der menschlichen Gesellschaft, so wie sie ist, fast immer belohnt. Veränderungsversuche auf dem demokratischen und offiziell vorgesehenen Weg scheitern fast immer. Paradebeispiele sind Irland und Wackersdorf.



    Das fängt schon klein an. Bauanträge werden in der Kommunalpolitik fast immer abgelehnt oder mindestens stark modifiziert. Schwarzbauten werden nie abgerissen und fast nie verändert, auch dann nicht, wenn Maße das Zulässige deutlich überschreiten. Ja, es werden "Strafen" verhängt. In aller Regel bleiben die noch unter den Kosten eines vorher eingereichten Bauantrages.



    Schon in Eigentümergemeinschaften werden fast alle Bitten und Wünsche abgelehnt, wer aber rücksichtslos einfach macht, was immer er will, kommt damit so gut wie immer durch. Schlimmer, wenn eine Veränderung nachträglich genehmigt wird, dann gibt die Ausführung des Schwarzbauers das Muster vor, nach dem sich alle späteren zu richten haben.



    Solange die Menschen in ihrer großen Mehrheit so bleiben, wird sich daran und am Erfolg der Rücksichtlosen und Gewalttätigen nichts ändern.

  • "Allerdings sei an dieser Stelle erwähnt, dass einer der Studienautor*innen, der auch der Gründer des Social Change Lab ist, laut dessen Webseite „mehrere Jahre“ soziale Bewegungen aufgebaut hat, „um den Klimawandel zu bekämpfen“. Dabei hat er auch an der Strategie von Extinction Rebellion mitgewirkt."

    Ja stark. Und demnächst hier eine Studie, die darlegt, warum Atomkaft die Energiequelle der Zukunft ist und wie Windräder der Bio-Diversität schaden. Fairerweise muss erwähnt werden, dass an der Studie Ex Vorstände von Vattenfall und Volkswagen mitgewirkt haben.

    • @Deep South:

      Sie halten das wirklich für vergleichbar? Finanzielle Interessen versus altruistisches Engagement… Hat VW übrigens überhaupt etwas mit Atomkraft zu tun? Das in der Studie vorliegende Conflict of interest ist allenfalls gering. Die Tatsache, dass er wissenschaftlich Strategien überprüft, die er selbst mit entwickelt hat, heißt nicht, dass er nicht mehr ergebnisoffen prüfen kann. Er hat ja sogar als Stratege ein Interesse daran, die Wahrheit über Strategien des sozialen Widerstands herauszufinden.

  • Ok, Fazit also: Die Radikalen tragen zur Polarisierung der Gesellschaft bei. Nicht gut.

    • @PeterArt:

      Sie können von einem politischen Ansinnen nie 100% der Bevölkerung überzeugen.

      Für jede beliebige Maßnahme finden sich Menschen, die überhaupt nicht für diese ansprechbar/überzeugbar sind.

      Zum Bsp. ist es völlig egal was AFD Wähler:innen über den Klimaschutz denken.

      Die "Polarisieung" ist also egal.

      Wenn politische Kräfte im gemäßigten Lager mobilisiert werden, durch den radikalen Protest, ist der Effekt doch durchweg positiv.

  • Das finde ich schon sehr optimistisch, aufgrund notorisch ungenauer YouGov-Umfragen und einem minimalen Anstieg der Zustimmungswerte von 3,3 Prozent davon zu sprechen, dass radikale Gruppen der Klimabewegung nutzen.