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documenta fifteen – eine BilanzDas kollektive Versagen

Die documenta fifteen in Kassel endet diesen Sonntag. Sie wird als Skandalschau in die Geschichte eingehen.

Der documenta-Beirat: Morris, Kanwar, Pirotte, Dyangani Ose, Meta Bauer, Volz, Esche, Ngcobo Foto: Nicolas Wefers

D ie documenta fifteen ist ein einziges Missverständnis. Sie markiert eine Zäsur und hinterlässt einen Scherbenhaufen. Unter Ausschluss von Kunstmarkt und individueller Urheberschaften sollte sie neue Maßstäbe setzen. Und zeigte am Ende vor allem, wie manche Kulturfunktionäre agieren: ignorant gegenüber künstlerischen Szenen, ahnungslos bei komplexen politischen Vorgängen.

In der Rückschau wird deutlich, wie sehr für die Ausrichtung der Weltausstellung Einzelkämpfer wie Philippe Pirotte (bis 2020 Rektor der Frankfurter Städelschule), Jochen Volz (Direktor der Pina­kothek in São Paulo), Ute Meta Bauer (Gründungsdirektorin des Centre for Contemporary Art Singapore) oder Charles Esche (Direktor des Van Abbemuseums in Eindhoven) Verantwortung tragen.

Als Findungskommission und Beiräte der documenta fifteen waren sie es, die die indonesische Agitprop-Gruppe ruangrupa als Chefkuratoren einsetzten. Sie sind es, die in Deutschland bestens vernetzt sind. Und auf die ruangrupa wohl vertraute, als es hieß, jeden konkret belegten Vorwurf des ­Antisemitismus ins Leere laufen zu lassen.

Verquere Logik

Jochen Volz untermauerte via Telefonschalte aus Brasilien im Deutschlandfunk gerade erneut seine verquere Logik, nach der der Antisemitismusvorwurf „den“ Medien nur dazu diene, „ruangrupa, die documenta und bestimmte Sichtweisen zu diskreditieren“.

Volz und seine Mitstreiter behaupten, der Vorwurf des Antisemitismus würde rassistisch eingesetzt, um Menschen aus dem „globalen Süden“ herabzuwürdigen. In Kassel ging es offenbar von Anfang an nicht allein um unmittelbar antisemitische Darstellungen wie auf der skandalösen Großleinwand von Taring Padi.

Es scheint vielmehr ein Taschenspielertrick: Die indonesischen Kuratoren erklärt man qua Abstammung aus dem „globalen Süden“ für unangreifbar und authentisch. Wer sich darüber beschwerte, dass ruangrupa aus politischen – und keineswegs künstlerischen! – Erwägungen, völkisch-arabischen und islamistischen Positionen in Kassel Raum gaben, wird des Rassismus bezichtigt.

Es ging um solche Setzungen, Defini­tions­macht, nicht um Austausch. Auf dieser Weltkunstschau sollten Propagandabilder wie „Guernica-Gaza“ gezeigt werden, wollte man Israel als Faschistenstaat beschimpfen. Mit den Mitteln der Täter-Opfer-Umkehr, derer sich auch Putin gegen die Ukraine bedient: Man greift an und behauptet, ein Land vom Faschismus zu befreien.

Wagenburg statt Dialog

In Kassel erblödete man sich nicht, Propagandafilme zu zeigen, die den Terrorismus der palästinensischen PFLP und der japanischen Roten Armee feiern. Das sei alles von der Kunstfreiheit gedeckt?

Nein, ist es nicht.

Ruangrupa und Beirat behaupten gebetsmühlenartig, hinter der Kritik an solch hetzerischen Positionen verberge sich ein rassistischer Angriff auf die gesamte documenta, auf alle beteiligten Künstler des „globalen Südens“. Damit nahmen sie diese in Geiselhaft, verwandelten die documenta in eine Wagenburg.

Die Solidarität mit ausgeflippten, künstlerisch unbedeutenden Israelhassern – die auch nicht „die“ Palästinenser repräsentieren – wurde zum gemeinschaftsstiftenden Band.

Dank Direktoren vom BDS gekapert

Die Israel-Boykottbewegung BDS konnte diese documenta kapern. Als Verstärker in inter­na­tio­na­len Szenen dienten hierbei die übrigen vier documenta-Beiräte: Frances Morris (Direktorin der Tate Modern, London), Elvira Dyangani Ose (Direktorin des Macba, Barcelona), Gabi Ngcobo (Leitung 10. Berlin Biennale, jetzt Javett Art Centre, Pretoria) sowie der indische Filmer Amar Kanwar.

Alles keine Kollektivisten, eher Einzelunternehmer. Radical chic und ideologische Botschaften galten alles, unabhängige Kunst und künstlerische Sprachen fanden kaum Wertschätzung.

In der sich globalisierenden Welt ist es richtig, mittels Kultur und Kunst respektvolle Austauschverhältnisse zu schaffen. Falsch wäre es dabei aber, antidemokratischen Diskursen nachzugeben. Sie kommen zumeist im Klagegewand gegen Amerika, Israel und die europäischen Demokratien daher.

Und im Farbenspiel der Postkolonialen im schlichten Schwarz-Weiß. Die außereuropäischen Anteile an bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen blenden sie aus. Eine kritische Kunst, die ihren Namen verdient, wird sich niemals solch ideologischem Ansinnen untertan machen.

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Andreas Fanizadeh
Ressortleitung Kultur
Andreas Fanizadeh, geb. 1963 in St.Johann i.Pg. (Österreich). Kulturpolitischer Chefkorrespondent der taz. Von Oktober 2007 bis August 2024 Leiter des Kulturressorts der taz. War von 2000 bis 2007 Auslandsredakteur von „Die Wochenzeitung“ in Zürich. Arbeitete in den 1990ern in Berlin für den ID Verlag und die Edition ID-Archiv, gab dort u.a. die Zeitschrift "Die Beute" mit heraus. Studierte in Frankfurt/M. Germanistik und Politikwissenschaften.
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24 Kommentare

 / 
  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Eine Skandalschau?



    Nein.



    Eine skandalisierte Schau.



    Mein Eindruck: Nachdem die Qualitätspresse (keine Ironie!) einmal Springer auf den Leim gegangen war, kam sie nicht mehr davon runter bzw. wollte nicht zugeben, dass sie ihm auf dem Leim gegangen war.



    Da helfen als Beleg für den angeblich durchgängigen Antisemitimus auch nicht die kruden Aussagen von Herrn Volz, die Herr Fanizadeh hier als "Beleg" anführt. Sowas muss man zwar berichten - aber als Nachweis der angeblich antisemitischen Grundhaltung der Kuratoren ist es ansurd.



    Ich habe hier im Forum bei einem Fristen gelesen, es sei (bei einigen



    anderen Foristen) schon zwanghaft, bei jedem neuen "Fall" (??) nachzuweisen, dass es sich nicht um Antisemitismus handelt.



    Ich habe eher den Eindruck, es war und herrscht bei einigen Foristen und der Mehrzahl der Journalisten der innere Drang vor, zu beweisen, dass bei Ruangrupa generell und jedem präsentierten Werk irgendwo antisemitische Codes offen oder versteckt vorhanden sein müssen.



    Müssen!



    Schließlich hat man sich ja einmal für diese Lesart entschieden - und davon kann und will man doch nicht mehr abrücken.



    Das ist nach meinem Eindruck der Skandal und die Ursache der Skandalisierung.

  • Die Künstler des globalen Südens, allesamt selbst aus Staaten, wo Verfolgung und Zensur stattfand oder gar stattfindet, haben sich, nach meinem Wissen, überhaupt nicht geäußert oder mit Jüdischen Mitmenschen irgendwie solidarisch erklärt. Sie dürften unsere Geschichte kennen, so etwas Unfassbares ist sicher schon mal durchgedrungen, auch bis in den globalen Süden. Da hätte ich mir mal von dieser Seite eine Stellungnahme gewünscht, sonst müsste ich leider sagen, über den eigenen, künstlerisch-politischen Tellerrand gucken die auch nicht.

  • "Vielleicht schreit der eine oder die andere in Kassel auch deshalb so laut, weil er oder sie in Berlin-Mitte schweigt? Den Antisemitismus der „Anderen“ zu bekämpfen ist allemal leichter als den hauseigenen."

    Wollte ich noch zur Diskussion hinzufügen, dieser Artikel hatte meine Meinungsfindung stark beeinflusst und beleuchtet die Kontoverse. Für alle, die nicht unreflektiert mit dem Chor schreien wollen...

    www.berliner-zeitu...u-messen-li.252352

  • wieder ein sehr einseitiger beitrag zur dokumenta. in den vergangenen dokumentas ging es doch auch immer um definitionsmacht. was ist relevante kunst und wer bestimmt die kriterien dafür. positionen aus dem sogenannten globalen süden, von kollektiven, von marktfernen künstler_innen, waren dort doch lange selten bis nie zu sehen. dass jede berichterstattung hier einzig und allein den antisemitismusvorwürfen gewidmet ist, ist auffällig tendenziös und schade. es war eine tolle, inspirierende, hoffnungsvolle und wichtige ausstellung.

    • @Nafets Etnep:

      Nuja, Antisemitismus IST in Deutschland eben ein recht sicheres Mittel, sich im öffentlichen Leben zu diskreditieren und in dem Sinne auch ganze Institutionen zu "brandmarken". Wer sich den Schuh anzieht, muss auch in ihm laufen - und nicht stur darauf beharren, die ANDEREN wollten ihm böse. Damit schaufelt man sich hierzulande nur sein eigenes PR-Grab, und das mussten die Betrofffenen wohl auch erstmal lernen.

      Davon abgesehen: Wovon reden wir eigentlich? Geht es hier um Kunst oder nur um eine als Kunst getarnte Großdemo? Sofern die Dokumenta wirklich so massiv dazu dienen sollte, unter dem Anstrich künstlerischer Verwirklichung dem "Globalen Süden" politisch eine Stimme zu geben, ist ohnehin fraglich, ob das ganze noch als "Kunstausstellung" bezeichnet werden sollte. Kunst KANN politisch sein. Aber Politk sollte nicht die Kunst diktieren.

      • @Normalo:

        -?-Politk sollte nicht die Kunst diktieren-?-



        Wurde aber momentan in D mit der aktuellen Documenta auf das massivste so betrieben.

    • @Nafets Etnep:

      Voll meine Meinung.

  • Wenn ich ausnahmesweise einmal die Konkurrenz loben darf: In der (sonst eher platten) Zeit war heute ein längerer Artikel zu lesen als die beleidigte Abrechung oben:



    www.zeit.de/kultur...tkoloniale-theorie

  • Na ja, ganz unwahr ist der Vorwurf des Rassismus nicht.

    Aktuell ein spannendes Interview mit Hanno Loewy, Leiter des Jüdischen Museum Hohenems:

    "Ich glaube, die Kampagne speiste sich aus unterschiedlichen Motiven. Eines davon besteht darin, dass die Springer-Presse seit vielen Jahren versucht, Antisemitismus als ein linkes Problem darzustellen. Und dies gegen alle Fakten: Das Gros antisemitischer Gewalt kommt immer noch von rechts."

    www.derstandard.at...egen-die-documenta

    • @Cervo:

      Abgesehen davon, dass Linke Kritik am linken Antisemitismus in den linken und rechten, liberalen und konservativen Medien als eine Kampagne diffamieren, was soll das mit Rassismus zu tun haben?

    • @Cervo:

      Ein interessantes Interview!

    • @Cervo:

      Kennen Sie denn ein paar Beispiele für diese Kampagne der Springerpresse?

      • @Jim Hawkins:

        Wollen Sie behaupten, die sogenannte "Springer Presse" ist in DE der Vorreiter des Antikolonialismus und Sprachrohr des Globalen Südens ? ROFL



        Das ist das Thema des verlinkten Interviews!

        Und zum "Globalen Süden" schrieben Sie dereinst "Mit denen [Antisemiten] ist man dann also im selben Club. Und stört sich nicht am Terror, nicht am Antisemitismus, sondern faselt etwas von Meinungsfreiheit und dass im "Globalen Süden" die Sicht auf Israel eher eine finale ist." ( taz.de/Neue-Entwic...-Debatte/!5864980/ )

        • @Rudolf Fissner:

          Gibt es Beispiele oder nicht.

          Sonst sind Sie doch auch so gründlich.

          Oder gibt es diesem Fall nichts zu belegen, weil Springer per se böse ist?

          • @Jim Hawkins:

            Warum sollte Springer per se oder überhaupt "böse" sein? Wie kommen Sie darauf.

            Ich halte es nur für lächerlich Springer in der Rubrik Antikolonialismus einzuordnen. Springer schaut bei Themen des Kolonialismus und Rassismus eher weg.

            Und dass der Springer Konzern sich schon immer gegen Antisemitismus positionierte, ergo auch gegen linken Antisemitismus, sollte ihnen eigentlich bekannt sein. Antisemitismus ist überall verbreitet. Das sollte ihnen ebenfalls bekannt sein.

            Kommen wir zum Punkt von CERVO, der (nicht ich) die Aussage machte, dass der Springer Verlag versucht, Antisemitismus als ein linkes Problem darzustellen.

            Sagen wir es mal so: Der Verlag würde nie die Abschaffung des staatlich geförderten Fußballs wegen der vielen Rechten und Nazis in den Vereinen fordern.

            Kurz: Ja die Springerpresse pflegt gegenüber Linken einen schärferen Umgang mit Antisemitismus.

            Beim Antisemitismus sollte man aber nicht nur mit einem Auge genau hinschauen. Das instrumentalisiert das Thema.

            • @Rudolf Fissner:

              Ich hatte diese Frage in den Raum gestellt:

              "@Cervo Kennen Sie denn ein paar Beispiele für diese Kampagne der Springerpresse?"

              Sie haben dann darauf geantwortet, indem Sie nicht darauf geantwortet haben.

              Dann habe ich die Frage wiederholt und Sie haben noch einmal darauf geantwortet, indem Sie nicht darauf geantwortet haben.

              Das könnten wir noch ein paarmal wiederholen.

              Nur, wozu?

            • @Rudolf Fissner:

              Viele Worte und keine Antwort.

              Wenn es so ist, wie Sie es beschreiben, dann dürfte es doch nicht so schwer sein, das zu belegen.

              Also, noch einmal, worin besteht die Springer-Kampagne, Antisemitismus als Problem von links darzustellen?

              Wenn das so klar ist, dann sollte es doch nicht so schwer sein, ein paar Beispiele zu finden, oder?

              • @Jim Hawkins:

                @ Jim Hawkins: geben Sie bei google oder einer anderen Suchmaschine einfach nur "Bild" "Antisemitismus" "Linke" ein und Sie werden massenhaft fündig. Beispiele ohne Ende, ich wünsche viel Spaß beim Lesen.

                • @Patricia Jessen :

                  Neulich sah ich ein Video über eine Demonstration der Querdenker.

                  Dort wurde eine Demonstrantin nach der Quelle einer Behauptung gefragt, die diese auf einem Schild herumtrug.

                  Die Frau antwortete darauf, indem sie sagte, die Journalistin solle gefälligst selbst im Internet suchen.

                  Soll das also das Niveau sein? Ich behaupte etwas und wenn ich es belegen soll, sage ich, dass der Fragende das selbst machen soll.

                  • @Jim Hawkins:

                    Das ist jetzt aber schon was anderes - oder? Sie sitzen gerade selbst am Computer und schreiben Nachrichten und bräuchten wirklich nur drei Worte in Ihre Suchmaschine eingeben, um das belegt zu bekommen, was Herr Fissner schreibt. Und warum bringen Sie den Vergleich mit den Querdenker*innen - um den Ansatz von Hr. Fissner gleich von vornherein zu diskreditieren?

                    • @Patricia Jessen :

                      Ich fürchte, diese Methode würde zu nichts Gutem führen.

                      Man könnte dann jede Behauptung aufstellen und auf Nachfragen immer sagen, was der Fragende in das Suchfeld bei Google eingeben soll. Oder bei Bing (haha).

                      Eine schräge Debattenkultur, oder?

                  • @Jim Hawkins:

                    Sie wollen, dass ich Behauptungen anderer Kommentatoren belege, weil ich hervorhebe, dass BLÖD kein antikoloniales Blatt ist.

                    Kopfschüttel.

                    • @Rudolf Fissner:

                      Immer noch nicht die Nase voll?

                      Wenn ich etwas sinngemäß zitiere, etwa die Äußerungen des Interim-Direktors der Documenta zu Antisemitismus, sprechen Sie gleich von Unterstellungen.

                      Und was tue ich dann? Ich liefere.

                      Und was tun Sie im selben Fall? In konzentrischen Kreisen drum herumreden.

              • @Jim Hawkins:

                Das ist eigentlich die Frage, die ich von ihnen beantwortet haben möchte. Ich habe die Behauptung nicht in den Raum gestellt.

                Wo haben Sie die "Kampagne" aus dem Hut gezaubert zu der ich nun für Sie Antworte suchen soll? Das ist offensichtlich ihr selbst gebasteltes Absprungbrett.