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Bürgergeld-ReformWohnungslosigkeit als Druckmittel ist ein Tabubruch

Gastkommentar von

Greta Schabram

Bürgergeldempfangenden, die Termine versäumen, wird gedroht, die Übernahme der Wohnkosten zu streichen. Damit riskiert der Staat Obdachlosigkeit.

Viele Regenschirme machen noch kein zu Hause Foto: Matias Basualdo/imago

D ie Bundesregierung plant, bei Meldeversäumnissen von Bürgergeldbeziehenden künftig die Regelleistungen zu kürzen und die Kosten für Miete und Wohnnebenkosten zu streichen. Was als Maßnahme zur „Eigenverantwortung“ verkauft wird, ist in Wahrheit ein gefährlicher sozialpolitischer Dammbruch. Hier wird das existenziellste Gut – das Dach über dem Kopf – zum Druckmittel gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft.

Der Staat instrumentalisiert Mietschulden und Wohnungslosigkeit als Sanktionsmittel. Wer eine Meldefrist versäumt oder einen Termin verpasst, riskiert nicht nur die Kürzung des ohnehin knappen Existenzminimums, sondern auch den Verlust der Wohnung. Damit entfällt die gesicherte Mietkostenübernahme von Bürgergeldbeziehenden, die dadurch noch schlechtere Chancen haben, an eine Wohnung zu kommen. Das Grundbedürfnis nach Wohnraum wird zur Verhandlungsmasse bürokratischer Kontrolle.

Greta ­Schabram

ist Referentin für Sozialforschung, Wohnungspo­litik und Statistik beim Paritätischen Gesamtverband.

Die Sanktionen würden selbst ganze Familien und ebenso Menschen mit Behinderung treffen, die bei ihren Eltern leben. So werden Kinder und Menschen mit Beeinträchtigung in eine existenzielle Unsicherheit gedrängt. Aufgrund eines bürokratischen Mechanismus, der Armut zur Disziplinierung nutzt, liefen sie dann Gefahr, ihr Zuhause zu verlieren.

Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu beenden. Dieser Aktionsplan hat bislang keine spürbaren Ergebnisse gebracht. Dass jetzt noch Menschen gezielt dem Risiko ausgesetzt werden, ihr Zuhause zu verlieren, konterkariert die politischen Versprechen und führt die fachliche Arbeit wie beispielsweise übergreifender Arbeitsgruppen zur Wohnraumprävention ad absurdum.

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Jahrzehntelange Erfahrungen der Wohnungslosenhilfe zeigen: Wohnraumprävention ist immer günstiger, nachhaltiger und humaner als die nachträgliche Bewältigung von Wohnungslosigkeit. Die geplante Regelung ist sozial kalt und ökonomisch kurzsichtig. Es ist nicht weniger als eine Entkernung des Sozialstaatsgedankens.

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25 Kommentare

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  • Eine Absenkung auf Null kann es nicht geben, selbst bei Totalverweigerern, Querulanten oder sonstwie der Regierung nicht genehmen Menschen. Das BVerfG sieht in das Existenzminimum als Ausfluss der Menschenwürde, das auch dem größten Drecksack, Stinkstiefel oder Versäumer von Terminen zusteht.



    Dass das ganze Thema natürlich nahezu null Relevanz für Haushaltsprobleme oder sonstige reale Problemlagen hat versteht sich angesichts des Quarks, der permanent hin und her gewälzt wird, um ja nicht an die wirklichen Themen (Erbschaftssteuer? Vermögenssteuer? Steuerhinterziehung?), die wirklich was bringen würden heran zu müssen, mal wieder von selbst.

  • Herrgott im Himmel! Ich hab null Verständnis für das ganze reaktionäre Gerede hier, von wegen die "Totalverweigerer" seien ja selbst schuld, wenn sie obdachlos werden. (Noch dazu in einer linken Zeitung). KEIN Mensch verursacht seine Obdachlosigkeit selbst, weil KEIN Mensch das will. Wenn er es nicht schafft mitzuwirken, dann NICHT weil er es seinen braven Mitbürgern mal so richtig zeigen will, sondern weil er es eben nicht hinbekommt. Manche vielleicht auch mit einer Leck-mich-am-A...- Haltung dem Staat ggü. Kann ich ehrlich gesagt verstehen. Was ich schon alles erlebt habe, wie Jobcenter, Sozialhilfeträger und Rentenversicherung die Hilfebedürftigen schikanieren, bürokratische Hürden aufstellen vom andern Stern, selbst schlechte Arbeit abliefern, Antragsbewilligungen endlos verzögern, nicht erreichbar sind, ... das geht auf keine Kuhhaut. Da liegt das Problem, nicht bei den paar "echten Totalverweigerern". Millionen Hilfebedürftige bekommen keine Leistungen vom Staat, auf die sie Anspruch hätten, weil die bürokratischen Hürden zu hoch sind. Gegenüber dieser "Einsparung" sind die paar sogenannten "Totalverweigerer" pille palle. Ausserdem gehören die auch zur Solidargemeinschaft.

    • @John Lemon:

      Danke John für diesen richtig guten Kommentar. Das unterschreibe ich sofort.

  • taz: *Bürgergeldempfangenden, die Termine versäumen, wird gedroht, die Übernahme der Wohnkosten zu streichen. Damit riskiert der Staat Obdachlosigkeit.*

    Der Staat ('in diesem Fall die Union und ihr Steigbügelhalter SPD') "hilft" also kräftig dabei mit, damit die Obdachlosigkeit in Deutschland noch mehr ansteigt. Ein Staat der auf der einen Seite immer noch den Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatgedanke) im Grundgesetz stehen hat - und auch den Art. 1 GG (Menschenwürde) - auf der anderen Seite aber bei der Vergrößerung der Obdachlosen kräftig 'am Rad dreht', um Angst vor Arbeitslosigkeit zu schüren, damit die Arbeitnehmer nicht aufmucken und demnächst sogar mehr als 8 Stunden am Tag arbeiten (das hat der BlackRocker ja schon angekündigt), in so einem Staat stimmt etwas nicht mehr; und dafür muss man nicht einmal zur AfD blicken, da reicht schon ein Blick zur CDU/CSU und zur SPD.

    Gibt es eigentlich so viele Parkbänke in Deutschland, wo die neuen "Merz-Obdachlosen" dann nächtigen können? Wir haben immer mehr Wohnungs- und Obdachlose in Deutschland, weil es keine bezahlbaren Wohnungen mehr gibt, und der "Regierung" fällt nur ein, dass man die Obdachlosenzahl ja noch vergrößern könnte.

  • Wie hier wieder so viele aus einer - ich unterstelle und mutmaße - mittelstands-bequemen Haltung argumentieren. Die Herablassung schmerzt. Es gibt Lebenskrisen, unbehandelte und undiagnostizierte psychische Erkrankung, Unsichtbarkeit von Behinderungen, Pfelgeverpflichtungen, Sprachbarrieren und anderes, die dazu führen, dass Leute es auch mal länger NICHT schaffen, Termine wahrzunehmen oder abzusagen. Oft auch Suchterkrankungen, oder Menschen mit Behinderungen, die nicht anerkannt werden. Das sind dennoch Bürger*innen, es sind Menschen. Mit Menschenrechten, wie z.B. dem Recht auf Obdach, auf nicht erfrieren, auf Nahrung.



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    Schon klar, optimal wäre absagen. Wenn die Leute nicht in Not wären, wenn sie die nötigen Kompetenzen denn zur Hand hätten, würden die meisten von ihnen arbeiten, und nicht Bürgergeld oder Sozialhilfe beziehen.



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    Und was hier viele im Forum schreiben, dann sollen sie halt zum Arzt gehen, ist auch nur möglich, wenn man krankenversichert ist. Und einen Arzt/Ärztin hat, dem/der man vertraut. Es ist so von oben herab, das einfach vorauszusetzen, als wäre es selbstverständlich. Viele haben niemanden, dem sie sich anvertrauen können, auch keine Mediziner*innen.

  • War heute nicht eine Ueberpruefung von 70 Personen aus 19 Bedarfsgemeinschaften in Schoeneberg, die sich nicht beim Jobcenter meldeten? Um 6 Uhr gerade mal 19 angetroffen. [1]

    Und darum geht es. Statt Beziehern hinterherzulaufen, verstaerkt von der Polizei, geht man in Zukunft davon aus, dass wer sich nicht meldet und 4 Termine einfach so verstreichen laesst, offensichtlich schon Arbeit gefunden hat oder garnicht dauerthaft in Deutschland wohnt.

    Wir reden doch ueber Menschen, die arbeiten wollen, oder nicht? Wie wollen diese denn im Beruf ueberleben, wenn sie ueber Monate nicht in der Lage sind einen Brief zu schreiben oder ein Telefonat zu fuehren? Fuer wen das kurzfristig zutrifft, sollte sich wegen dieser Arbeitsunfaehigkeit an einen Arzt wenden. Besteht diese Problematik auf Dauer, koennte ein gesetzlicher Betreuer Abhilfe schaffen.

    [1] www.tagesspiegel.d...berg-14555624.html

  • "Damit riskiert der Staat Obdachlosigkeit." Nein. Nicht der Staat, sondern diejenigen, die konsequent und nachhaltig nicht kooperieren riskieren Obdachlosigkeit.

    • @PeterArt:

      Und was hat die Solidargemeinschaft davon, wenn schwache Menschen auch noch wohnungslos werden?



      Erhöhte Kriminalität? Mehr Leid auf den Straßen? Erhöhte Kinderarmut? Erhöhte Kosten zur Bereitstellung von Notunterkünften? Sozialarbeiter und medizinische Helfer unter Druck?



      All diese Risiken wiegen die 1 Milliarde, die bei Bürgergeldempfängern angeblich zu holen ist nicht auf!



      Tax the rich!

      • @Nudel:

        Stimme 100% zu. Und um die Absurdität zu verdeutlichen, sage ich es nochmal in anderen Worten: Die Sozialarbeiter*innen, die dann benötigt werden um das Leid zu mildern, das der Staat mit seiner Härte verursacht, werden wieder vom Staat bezahlt.

    • @PeterArt:

      Schreiben Sie doch bitte "gehorchen", wenn Sie gehorchen meinen. Kooperieren ist in dem Zusammenhang Orwell-gleiches Neusprech.

      Ansonsten haben Sie aber Recht, die Menschen riskieren Obdachlosigkeit. Der demokratische Staat riskiert nur, dass seine Grundlagen erodieren: Anomie.

  • Was ich nicht verstehe, wenn ein Bürgergeldempfänger einen Termin nicht einhalten kann, kann er dies doch begründen und einen anderen Termin ausmachen, anstatt einfach nicht zu erscheinen.

    • @Filou:

      Was glauben Sie von welchen Leuten das geredet wird,



      die bräuchten eher Betreuung.



      Manch mal kommt auch der Brief zu spät oder man kommt



      aus Geldmangel nicht mehr zu Amt.



      Nur weil gewisse Sachen in der eigenen Lebenswirklichkeit nicht vorkommen heißt das nicht das es sie nicht gibt.

    • @Filou:

      Ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass viele das eben nicht können?: Angststörungen, Depressionen, ... (auch wenn sie nicht diagnostiziert sind).

    • @Filou:

      Wissen Sie, wie schrecklich sich Scham anfühlt? Wie stark sie das Handeln bestimmen kann?

  • Die Regierung will auch nicht, dass es den Bürgern gut geht. Geschwächte Bevölkerungsgruppen können nicht aufbegehren.

    • @AlexMasterP:

      Ist es nicht genau anders herum? Versorgte Bevölkerungsgruppen begehren nicht auf?

  • Dass einem die Miete gekürzt wird, erfolgt doch erst ab dem 4! versäumten Termin. Ist es zu viel verlangt, dass Bürgergeldempfänger eine Mitwirkungspflicht haben, um einen Job zu bekommen?

    • @Wolferich:

      Ist es zu viel verlangt das man akzeptiert das manche im Leben Einschränkung haben die man selber nicht hat.



      Wir reden hier von wenigen.

  • Das ist nicht nur ein Tabubruch, das ist Erpressung. Unsere Regierungsparteien cdU und sPD sind ja -dem Himmel sei Dank- den chtistlichen und sozialen Grundsätzen verpflichtet - jedenfalls auf dem Papier. Die machen sowas nicht, oder?

  • Ich fände es in Ordnung, wenn dann eine Wohnung von Amts wegen gestellt würde, die dann eben sehr klein und schlicht ausfällt und entsprechend günstiger für die Solidargemeinschaft ist als eine größere Mietwohnung. Aber so etwas gibt es ja nicht, also finde ich das Ansinnen nicht gut.

  • Danke für diesen klarsichtigen Kommentar, für den sich jedes CDU/CSU-SPD-Mitglied schämem sollte.

  • Wer den ersten Termin versäumt, erhält unmittelbar eine Zweiteinladung; bleibt auch dieser Termin ungenutzt, werden die Leistungen um 30 % gekürzt. Wird ein dritter Termin ebenfalls nicht wahrgenommen, werden die Geldleistungen vollständig eingestellt. Erfolgt im Folgemonat kein Erscheinen, werden sämtliche Leistungen einschließlich der Kosten der Unterkunft (KdU) eingestellt (mutmaßlich im Wege der gesetzlich zu regelnden vorläufigen Zahlungseinstellung). Härtefälle – insbesondere gesundheitliche oder andere schwerwiegende Gründe – sind zu berücksichtigen. Bei der ersten Pflichtverletzung gilt eine 30 %-Minderung; bei Arbeitsverweigerung wird im Einklang mit dem Sanktions-Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Regelsatz vollständig gestrichen; die KdU sollen in diesen Fällen direkt an den Vermieter gezahlt werden

  • "Damit riskiert der Staat Obdachlosigkeit." - Eine sehr seltsame Sichtweise. Wenn man den Menschen als mündiges Wesen begreift müsste es doch heißen, dass ggf. die Leistungsempfänger ihre Obdachlosigkeit riskieren, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen.

  • Ist diese Regelung sozial kalt? Ist sie ökonomisch kurzsichtig? Klar, und damit entspricht sie der Definition von CDSU Politik. Und die SPD gewinnt weitere Goldmedaillen im Dummrumstehen und Dummausderwäschegucken