Bürgergeld-Reform: Wohnungslosigkeit als Druckmittel ist ein Tabubruch
Bürgergeldempfangenden, die Termine versäumen, wird gedroht, die Übernahme der Wohnkosten zu streichen. Damit riskiert der Staat Obdachlosigkeit.
D ie Bundesregierung plant, bei Meldeversäumnissen von Bürgergeldbeziehenden künftig die Regelleistungen zu kürzen und die Kosten für Miete und Wohnnebenkosten zu streichen. Was als Maßnahme zur „Eigenverantwortung“ verkauft wird, ist in Wahrheit ein gefährlicher sozialpolitischer Dammbruch. Hier wird das existenziellste Gut – das Dach über dem Kopf – zum Druckmittel gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft.
Der Staat instrumentalisiert Mietschulden und Wohnungslosigkeit als Sanktionsmittel. Wer eine Meldefrist versäumt oder einen Termin verpasst, riskiert nicht nur die Kürzung des ohnehin knappen Existenzminimums, sondern auch den Verlust der Wohnung. Damit entfällt die gesicherte Mietkostenübernahme von Bürgergeldbeziehenden, die dadurch noch schlechtere Chancen haben, an eine Wohnung zu kommen. Das Grundbedürfnis nach Wohnraum wird zur Verhandlungsmasse bürokratischer Kontrolle.
ist Referentin für Sozialforschung, Wohnungspolitik und Statistik beim Paritätischen Gesamtverband.
Die Sanktionen würden selbst ganze Familien und ebenso Menschen mit Behinderung treffen, die bei ihren Eltern leben. So werden Kinder und Menschen mit Beeinträchtigung in eine existenzielle Unsicherheit gedrängt. Aufgrund eines bürokratischen Mechanismus, der Armut zur Disziplinierung nutzt, liefen sie dann Gefahr, ihr Zuhause zu verlieren.
Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu beenden. Dieser Aktionsplan hat bislang keine spürbaren Ergebnisse gebracht. Dass jetzt noch Menschen gezielt dem Risiko ausgesetzt werden, ihr Zuhause zu verlieren, konterkariert die politischen Versprechen und führt die fachliche Arbeit wie beispielsweise übergreifender Arbeitsgruppen zur Wohnraumprävention ad absurdum.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Jahrzehntelange Erfahrungen der Wohnungslosenhilfe zeigen: Wohnraumprävention ist immer günstiger, nachhaltiger und humaner als die nachträgliche Bewältigung von Wohnungslosigkeit. Die geplante Regelung ist sozial kalt und ökonomisch kurzsichtig. Es ist nicht weniger als eine Entkernung des Sozialstaatsgedankens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert