Autorin über Ost-West-Denken und Prägung: „Das Intime ist mit dem Politischen verknüpft“
In der Anthologie „Ost* West* frau*“ erzählen ost- und westdeutsche AutorInnen, wie sie durch politische Systeme und Zuschreibungen geprägt wurden.

taz: Frau Wurster, welche vermeintlich typischen Prägungen erkennen Sie bei sich?
Maren Wurster: Die Überheblichkeit, die mit Ignoranz gepaart ist.
taz: Hat es viel Mut erfordert, sich für das Buchprojekt mit sich selbst auseinanderzusetzen?
Wurster: Nein. Weil der Austausch zuerst zwischen Franziska und mir begonnen hat, eben auf einer persönlichen Ebene. Erst später haben wir sie erweitert und andere AutorInnen eingeladen. Ich war vielmehr offen und neugierig, auf mich und die anderen.
taz: Wie haben Sie die AutorInnen des Bandes ausgesucht?
Wurster: Zunächst haben wir SchriftstellerInnen, die wir toll fanden, gefragt. Dann wollten wir das Ganze ein bisschen gegen die typischen Zuschreibungen bürsten. Wir haben beispielsweise mit Mechthild Lanfermann eine westdeutsche Autorin im Buch, die in einer Familie groß geworden ist, in der alle Frauen gearbeitet hatten. Und Sabine Rennefanz, die im Osten eine Hausfrau als Mutter hatte. Wir wollten auf keinen Fall Klischees verstärken, sondern dagegen anschreiben.
taz: Apropos Klischees: Brauchen wir das Ost-West-Denken noch oder steht es uns eher im Weg?
1976 geboren, ist Schriftstellerin und Kuratorin. Die Anthologie „Ost* West* frau*: Wie wir wurden, wer wir sind“ ist in der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen (256 S., 22 Euro, E-Book 16,99 Euro).
Wurster: Ost-West-Denken ist zunächst ein Konstrukt. Wir könnten unsere Sozialisation zum Beispiel auch über den Gegensatz Stadt-Land betrachten oder mit der Frage, aus welcher gesellschaftlichen Schicht wir kommen. Es ist aber sehr interessant, wie wir dann doch durch die unterschiedlichen politischen Systeme der BRD und der DDR beeinflusst wurden, die sich stark auf unsere Vorstellungen von Arbeit, Frausein oder gelebter Sexualität ausgewirkt haben. Also, im Grunde genommen: Ja, brauchen wir. Es geht ja auch gar nicht darum, etwas zu zementieren, sondern zu gucken, wie tief eigentlich das Intime mit dem Politischen verknüpft ist.
taz: Heißt das, dieses Ost-West-Denken ist wichtig für Einzelne, weil man sich mit bestimmten Eigenschaften identifiziert?
„Ost* West* frau*: Wie wir wurden, wer wir sind“ mit Franziska Hauser und Maren Wurster: Mo, 16. 5., 19.30 Uhr, Hamburg, Literaturhaus, Schwanenwik 38
Wurster: Ja, absolut. Wir denken oft, dass bestimmte Eigenschaften natürlich sind. Im Vergleich und in der Auseinandersetzung mit anderen liegt die große Chance, zu erkennen, dass das Leben anders hätte laufen können. Dass es eben nicht natürlich ist, dass die Mutter zu Hause ist und immer Mittagessen für einen macht.
taz: Hat sich Ihr Blick auf Ihre eigene Geschichte durch das Projekt verändert?
Wurster: Ja. Es heißt ja, dass sich vor allem in den ersten Lebensjahren Selbst- und Fremdbilder entwickeln. Und mir ist aufgefallen, wie stark diese Prägungen doch sind. Ich habe mich sehr viel damit beschäftigt, wie meine Mutter gelebt hat und dass ich vieles davon wiederholt habe.
taz: Was haben Sie wiederholt?
Wurster: Ich bin, wie meine Mutter auch, als sie mit mir schwanger war, auf das westdeutsche Land gezogen und mit meinem Kind zu Hause geblieben. Und war dann plötzlich diese Hausfrau. Ich war dem Leben meiner Mutter ganz nahe und habe erkannt, dass für sie eben vieles nicht anders möglich war. Ich verstehe sie nun viel besser als früher. Überhaupt haben einige AutorInnen in dem Buch über die Frauen in ihren Familien geschrieben oder darüber, wie sie dann selbst versucht haben, anders als die zu leben.
taz: Brechen Sie im Buch mit Tabus?
Wurster: Wir brechen dahingehend Tabus, dass wir ganz verschiedene Positionen zu Wort kommen lassen, an denen wir uns selbst manchmal reiben und zugleich total froh sind, dass sie im Buch sind. Das Verständnis von Feminismus ist extrem unterschiedlich. Oder es gibt beispielsweise konträre Ansichten über Kinderbetreuung. Darüber, ob es richtig ist, Kinder früh in Institutionen zu geben oder nicht. Das ist unter uns AutorInnen sehr kontrovers diskutiert worden. Und das finden wir hervorragend so.
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