Zum Ende des Fußballturniers: Eine Social-Media-EM

Wer gewinnt und wer verliert im Fußball, ist nicht immer so eindeutig wie ein 1:0. Diesmal gilt: gewonnen hat das Spiel, verloren die Uefa.

Zwei Fans stehen im Stadion und halten eine Regenbogenflagge, flankiert von Ordnern

PR-Desaster: die Uefa lässt den Regenbogen verbieten Foto: Darko Vojinovic/dpa

Das EM-Turnier der Männer ist vorbei, zumindest wird es vorbei sein, wenn die meisten diesen Text lesen – das Internet kennt ja die Gleichzeitigkeit des Seins. Mein den Fußball verachtender Opa soll nach wichtigen Spielen immer gefragt haben: Und, hat irgendjemand gewonnen oder verloren? So selbstgefällig blöd der Spruch, er ist fast schon wieder berechtigt nach so einem Turnier, denn hat das nun wirklich jemand?

Gewonnen hat unerwartet das Spiel. Kaum jemand hatte vorab sportlich Lust auf diese EM inmitten von Pandemie, Korruption, Klimakrise, Entfremdung. Aber mit dem Ende der Vorrunde hat er einen reingezogen, der Fußball, wie er das immer noch kann. Es war ihm egal, dass niemand so richtig gern hinsehen wollte, er erzählte verlässlich gute Geschichten. Plötzlich waren da wieder geliebte und verhasste Teams, unerwartete Helden, Schurken und Dramen, Schönheit, und es ging, was es lange nicht tat, um das Spiel selbst. Es waren spektakuläre Partien dabei, auch das nicht selbstverständlich.

Dass die Uefa es geschafft hat, trotzdem zu verlieren, ist Ausweis ihrer grandiosen Heuchelei. Mit ihrem irrlichternden Hin und Her zur Regenbogenfahne und dem Verbot von selbiger hat sie sich noch von Volkswagen links überholen lassen. Sie wirkte so aus der Zeit gefallen, dass es tatsächlich mit dem Teufel zugehen müsste, wenn jemand nicht endlich mal eine Gegenveranstaltung aufmacht. Nie stand eine EM derart im Zeichen politischer Proteste; eine Spielergeneration, die manchmal ein bemerkenswertes soziales Bewusstsein hat und manchmal das Einmaleins der Corporate Social Responsibility pflegt. Eine Social-Media-EM.

Eines konnte sie dabei nie: den Kontinent analog verbinden. Diejenigen Fans, die reisen durften, waren eher damit beschäftigt, PCR-Tests zu besorgen, statt Menschen vor Ort zu treffen, und viele ließen die Fliegerei gleich bleiben. Die Szenen zwischen Fanlagern, etwa der englische Nationalismus gegenüber den DänInnen, verliefen zwar schon mal schlimmer, aber hatten einen deutlich unangenehmeren Unterton als die sonnige Haltung vieler Spieler, siehe Chiellini.

Unterwegs auf Außenposten

Dieses Turnier fühlte sich auch nicht überall gleich nach EM an. In Baku klangen die Gespräche ganz anders, auch Nordmazedonien war natürlich ein Außenposten. Es kam mir oft vor, als befände ich mich in einem völlig abweichenden Script, auf Recherche an den Rändern des Imperiums, Texte liefernd dorthin, wo sie die EM mit so anderem Blick gucken. Selbst Entfremdung ist nicht global.

Mein Opa hatte natürlich versehentlich recht: Es kommt tatsächlich nicht immer vor, dass jemand gewinnt oder verliert. Es gibt Verlierer wie Spanien oder Dänemark, die in Wahrheit gewonnen haben, und siegreiche Verbände wie die Uefa, die beharrlich verlieren. Gewonnen und verloren wird immer, aber wie im Leben muss man beim Fußball schon etwas genauer hingucken, für wen was gilt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.