Zukunft der Klimabewegung: Ende Gelände – und wie weiter?
Ende Gelände, Fridays for Future, Extinction Rebellion – die Klimabewegung erlebt einen Höhenflug. Das stellt sie aber auch vor grundsätzliche Fragen.
Am Anfang kamen nur ein paar hundert Leute zu den Klimacamps im Rheinland. Rund zehn Jahre ist das jetzt her – und die meisten, die heute dabei sind, gingen damals noch zur Schule und hatten keine Ahnung vom C02-Ausstoß und der Erderwärmung. Heute ist das anders: selbst Vierzehnjährige wissen, dass es mit der Klimapolitik so nicht weitergehen kann. Sie schwänzen den Unterricht, um zu protestieren, und verzichten freiwillig darauf, in den Urlaub zu fliegen. Noch nie hatte die Klimabewegung so großen Zulauf, noch nie so breiten Rückhalt in der Bevölkerung.
Für die Aktivist*innen ist das großartig, einerseits. Andererseits stellt es sie aber auch vor große Fragen. Wie soll es jetzt weitergehen? Wie kann man das Potenzial nutzen, was muss jetzt passieren? Wie verhindert man, dass das Interesse abebbt, dass die Proteste im Sande verlaufen?
Wer unter den Aktivist*innen herumfragt, bekommt ganz unterschiedliche Antworten. „Wir müssen einmal durchatmen“, sagt Kathrin Henneberger, die Sprecherin von Ende Gelände. Ihr Aktionswochenende im Rheinland ist knapp einen Monat her, man sei noch in der Auswertungsphase. Henneberger spricht von einem deutlichen Erfolg. Rund 6.000 Menschen, auch aus dem europäischen Ausland, waren nach Viersen bei Mönchengladbach gereist, um gegen die Kohleindustrie zu protestieren.
Auch hier stellt sich die Frage: Wie soll es weitergehen? Wie viel mehr Menschen werden sich auf die hochschwellige Aktion einlassen, bei der man körperlich fit und ziemlich entschlossen sein muss? Die mediale Aufmerksamkeit scheint ebenso ihrem Limit entgegenzugehen. Die Aufnahmen von Gleisblockaden liefen in der „Tagesschau“, fast alle großen deutschen Medien schickten Journalist*innen. Was soll noch kommen?
Generalstreik wird zur Streikwoche
„Fridays for Future und Extinction Rebellion haben die Bewegung total verändert“, sagt Scholeh Razani von der Hamburger Ortsgruppe. Den Schüler*innen sei innerhalb kürzester Zeit gelungen, was die Bewegung schon lange versucht: „Sie haben das Thema in die Mitte der Gesellschaft getragen.“ Natürlich ergeben sich daraus jetzt Fragen, räumt Razani ein. Andererseits: Die Struktur von Ende Gelände sei ja da, die Strategie des zivilen Ungehorsams habe sich bewährt. Warum sollte man etwas Funktionierendes wegschmeißen?
Während die Aktivist*innen von Ende Gelände, die alles basisdemokratisch und im Konsens entscheiden, noch Telefonkonferenzen abhalten und diskutieren, haben die Schüler*innen von Fridays for Future schon einen Generalstreik ausgerufen. Am 20. September sollen deutschlandweit Schulen, Unis, Büros und Fabriken bestreikt werden.
„Nicht besonders gut abgesprochen“, sagen verschiedene Klimaaktivst*innen über den Termin. Was die Arbeit in breiten Bündnissen angeht, haben die Schüler*innen noch kaum Erfahrung. Klimaaktivist*innen aus den USA hatten für eine Woche später, den 27. September, einen „Global Earth Strike“ geplant. In Deutschland wird es nun wohl auf eine Aktions- und Streikwoche vom 20. bis 27. September hinauslaufen. Eine pragmatische Lösung.
Parallel dazu laufen im Lokalen bereits Planungen zu anderen thematischen Schwerpunkten. In Hamburg bereitet sich die Ortsgruppe von Ende Gelände auf einen neuen Angriff auf ein altes Ziel vor: Das Steinkohlekraftwerk Moorburg des Energieriesen Vattenfall bläst noch immer tonnenweise CO2 in die Luft und belastet die Elbe. Seit Deutschland keine Steinkohle mehr fördert, wird sie aus Kolumbien oder Russland importiert, wo ganze Landstriche draufgehen und Menschenrechte wenig zählen.
Gegner Autobranche
Noch etwas weiter nördlich von Hamburg, bei Brunsbüttel, wollen sich Klima-Aktivist*innen die Fabrik des Düngemittelproduzenten Yara vornehmen und rufen unter dem Motto „Free the Soil“ zu massenhaftem zivilen Ungehorsam auf. Yara gehört zu den Weltmarktführern für Stickstoffdünger. Viele Ende Gelände-Aktivist*innen wollen sich anschließen.
Wieder andere planen, im September nach Venedig zu fahren. Italienische Aktivist*innen wollen dort gegen die Kreuzfahrt protestieren, die neben der Umwelt auch ihr kulturelles Erbe zerstöre.
Am weitesten aber scheinen die Überlegungen in Frankfurt fortgeschritten zu sein. Dort plant ein Bündnis namens „Sand im Getriebe“, dem auch viele Aktive und Ehemalige von Ende Gelände angehören, die Internationale Automesse IAA zu blockieren.
Der Verkehrssektor verursacht rund 20 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen. 95 Prozent davon wiederum kommen aus dem Straßenverkehr. Mit der Autobranche haben sich die Aktivist*innen einen sehr naheliegenden, aber auch sehr mächtigen Gegner ausgesucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut