Wohnraum für Studierende in Berlin: SPD sucht Wohnheim-Plätze für Studis
1.500 Plätze zu wenig: Beim Studi-Wohnraum hinkt Berlins Regierungschef Müller den Zielen hinterher. Genau das kritisierte er am Koalitionspartner.
Und natürlich war sie viel gebashter Punchingball von Journalist*innen, die nicht müde wurden, Lompschers Wohnungspolitik zum Abriss freizugeben. Und ja, die Bausenatorin baut wohl 5.000 Wohnungen weniger, als im Koalitionsvertrag vereinbart war (30.000).
Bemerkenswert dabei: Besonders der Koalitionspartner SPD hielt sich nicht gerade mit Kritik zurück. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller setzte der linken Bausenatorin vergangenen Sommer eine Frist für ein Konzept zum weiteren Ankurbeln des Wohnungsbaus, auch SPD-Innensenator Andreas Geisel stänkerte hier und da. Dass das Bauressort davor seit 1996 von der SPD geführt wurde, unter anderem auch von Müller und Geisel – also in der Zeit, als die Wohnungsfrage zur entscheidenden sozialen Frage der Stadt wurde –, störte dabei nicht. Langjährige SPD-Baupolitiker forderten sogar Lompschers Kopf. Mantraartig wiederholten SPD-Genoss*innen dabei den Satz, man müsse „bauen bauen bauen“ – zuletzt etwa Raed Saleh am Rande einer SPD-Klausur.
Interessant ist dabei, dass es der Absender selbst nicht besser macht. Berlins Regierungschef Müller ist nämlich als SPD-Wissenschaftssenator selbst für die Schaffung von Wohnraum verantwortlich. Seine Aufgabe wäre, neue Wohnheimplätze für Studierende bereitzustellen und – Überraschung – er schafft es nicht.
4.200 Studierende auf Wartelisten
5.000 Plätze waren bis 2020 versprochen. Eine Hälfte davon sollten die städtischen Wohnungsbaugesellschaften bauen, für die wiederum die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (wieder Lompscher, Linke) zuständig ist, die andere Hälfte die nach privatwirtschaftlichen Prinzipien betriebene Berlinovo unter der Zuständigkeit der Senatsverwaltung für Finanzen (Matthias Kollatz, SPD).
Das Versprechen: 2013 versprach Klaus Wowereit (SPD) als Regierender den Bau von 5.000 neuen Wohnungen für Studierende. Den entsprechenden Beschluss fasst der rot-rote Senat 2015. Jeweils die Hälfte davon sollen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften und die Berlinovo bis 2020 bauen.
Die Umsetzung: Die städtischen Gesellschaften haben bisher 185 Plätze fertiggestellt, im Bau seien 575 Wohnplätze, 1.521 in Planung. Als Preis gibt der Senat „vergleichsweise günstig“ an, geplant waren ursprünglich 245 Euro. Berlinovo hat 141 Wohnheimplätze gebaut, baut derzeit 139 weitere und hat 344 gekauft. Bis 2020 sollen es 2.327 sein. Ein Zimmer soll dort zwischen 250 und 390 Euro kosten, ein Apartment zwischen 630 und 760 Euro. (gjo)
Tatsächlich haben die Wohnungsbaugesellschaften bisher gerade einmal 185 Plätze fertiggestellt, wie es auf taz-Anfrage heißt. Im Bau seien 575 weitere Wohnraumplätze. Die Berlinovo habe 141 Plätze in der Storkower Straße fertiggestellt, weitere 344 in der Gotthardstraße angekauft und 139 seien im Bau. Der große Rest befinde sich in „verschiedenen Planungsschritten“.
Laut Senatskanzlei werden bis Ende 2020 rund 1.500 Plätze weniger fertig als geplant. Man schaffe es bis dahin, nur 3.572 Plätze statt der sogar schon von Wowereit 2013 versprochenen 5.000 Wohnheimplätze zur Verfügung zu stellen. Daran halte man allerdings weiter fest. Es dauere nur länger: bis 2022 nämlich.
Der zuständige Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach (SPD), sagt dazu: „Die eingetretenen Verzögerungen bei den Bauprojekten sind unerfreulich.“ Man arbeite aber weiter mit den anderen Senatsverwaltungen und Baugesellschaften und „mit Nachdruck“ an der Umsetzung. Unter anderem habe es mit allen Beteiligten seit Dezember 2017 drei Strategietreffen gegeben.
Dass das Problem drängt, bestreitet indes niemand: Zum Wintersemester 18/19 standen mehr als 4.200 Studierende auf der Warteliste, im Jahr zuvor waren es noch 3.800. Die Studierendenzahlen nehmen zu (aktuell 190.000) und die Wartezeit für einen bezahlbaren Wohnheimplatz beträgt ein bis drei Semester.
Auf dem freien Wohnungsmarkt haben Studierende mit wenig Geld längst keine gute Chancen mehr: Das Moses Mendelssohn Institut geht von 420 Euro aus, die Studis im Schnitt für ein WG-Zimmer in Berlin hinlegen müssten. Seit 2010 ist laut dem Institut der deutschen Wirtschaft die Miete in Berlin für eine studentische Musterwohnung (30 qm, durchschnittliche Ausstattung, nicht zu weit weg von der Uni) um 67 Prozent gestiegen.
Nicht zuletzt deswegen gibt es mittlerweile auch private Studierendenheime mit allerdings saftigen Preisen. Im Wedding etwa bietet Youniq „Studentenwohnung mit +“ an. Das heißt: Einzimmerapartments zwischen 514 und 1.119 Euro. Die Nutzung eines Fitnessraums und der „Washing Lounge“ kosten noch einmalig 480 Euro extra. Ähnlich teuer dürfte auch das Student Hotel am Alex werden, das im September öffnet und reiche Studierende mit Instagram-Optik und wenig sagenden Sinnsprüchen locken will. Bafög-Bezieher*innen werden sich beides nicht leisten können.
Christian Gräff, CDU-Bausprecher, sieht Müller nun in der Pflicht, einen berlinweiten „Aktionsplan für studentisches Wohnen zu erarbeiten“: „Das Klima, das dieser Senat erzeugt hat, Neubau und damit stabile Mieten zu verhindern, wirkt sich auch auf studentisches Wohnen aus.“
„Jeder Platz ein Erfolg“
Freuen kann sich Wissenschaftssenator Müller, dass die Koalitionspartner nicht so austeilen wie seine Genoss*innen: Wissenschaftssprecherin Catherina Pieroth von den Grünen sagt: „Für uns ist jeder neu geschaffene, bezahlbare Wohnheimplatz ein Erfolg.“ Es gebe halt die gleichen Schwierigkeiten wie bei „allen anderen Zielgruppen“.
Und bei der Linken fühlt man sich auch mitverantwortlich für die „extrem unbefriedigende Situation“: „Studierende teilen dieses Problem mit vielen anderen Gering- oder Durchschnittsverdienern“, sagt der Abgeordnete Tobias Schulze, Linken-Sprecher für Wissenschaft. Man arbeite daran, alle Mittel zur Dämpfung des Mietniveaus und zum Neubau preiswerten Wohnens zu nutzen.
Und Ina Czyborra, Sprecherin für Wissenschaft der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, relativiert gleich die Kritik an Lompscher mit, wenn sie sagt: „Es ist halt das gleiche Problem wie überall mit dem Wohnungsbau: kompliziertes Baurecht, steigende Baupreise und verknappte Bauwirtschaft. Uns betreffen dieselben Faktoren wie die Bausenatorin.“
*In einer vorherigen Version dieses Artikels fehlte der konkrete Hinweis darauf, dass neben der Senatskanzlei Wissenschaft und Forschung auch weitere Senatsverwaltungen für die Umsetzung des Senatsbeschlusses zum Ausbau studentischen Wohnraums zuständig sind: Für den Bau durch die städtische Baugesellschaften ist die Senatsverwaltung für Stadtentwicklungen und Wohnen verantwortlich, die Senatsverwaltung für Finanzen für die Umsetzung des Ausbaus bei Berlinovo.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“