Wölfe in Deutschland: Ein Ja für einfacheren Abschuss
Deutschland stimmt unter Druck von Bauern zu, den Schutz des Wolfs in einem internationalen Abkommen zu senken. Das soll Abschüsse erleichtern.
Berlin taz | Deutschland und die meisten anderen EU-Staaten wollen den Schutzstatus des Wolfes senken. Die Mehrheit im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten billigte am Mittwoch einen Antrag der Europäischen Kommission, die Einstufung der Tierart im internationalen Naturschutzabkommen Berner Konvention von „streng geschützt“ auf „geschützt“ zu reduzieren.
Nach dieser Änderung könne der Schutz des Wolfs auch im EU- und nationalen Recht gesenkt werden, teilte das Bundesumweltministerium mit. „Da, wo der Wolf Probleme macht und der Erhaltungszustand es zulässt, sollten die rechtlichen Möglichkeiten für Entnahmen/Abschüsse erweitert werden“, so das Ministerium der Grünen-Politikerin Steffi Lemke, die eine Herabstufung lange verhindert hatte.
Damit reagiert die Ampelkoalition auf die Dauerkritik von Landwirten. Viele Bauern sehen die vergleichsweise tier- und naturfreundliche Viehhaltung auf der Weide durch Wölfe zusätzlich gefährdet. Denn seit die Art im Jahr 2000 dauerhaft nach Deutschland zurückkehrte, ist die Zahl der bei Wolfsangriffen getöteten, verletzten oder vermissten Nutztiere laut Behörden 2022 auf den Rekordwert 4.366 gestiegen. Zudem gibt es Sorgen, dass Wölfe Menschen angreifen könnten. Naturschützer argumentieren, der Wolf habe bis zu seiner Vertreibung zum Ökosystem in Deutschland gehört. Außerdem sei er der „Gesundheitspolizist“ der Natur, er reiße zum Beispiel kranke Rehe und verhindere so, dass sie andere anstecken.
Lemke rechtfertigte die geplante Herabstufung des Wolfs mit der Entwicklung seines Bestands. Die Zahlen hätten sich so entwickelt, „dass diese Entscheidung aus Sicht des Naturschutzes verantwortbar und aus Sicht der Weidetierhalter notwendig ist.“ Die Weidetierhaltung sei für die Artenvielfalt „von unersetzbarem Wert“. Tatsächlich bieten Weiden besonders vielen Tier- und Pflanzenarten Lebensräume. Dass sie nun nachgab, begründete Lemke so: „Wir haben uns in Gesprächen mit der EU-Kommission erfolgreich dafür eingesetzt, dass andere Arten nicht von einer Herabstufung des Schutzstatus betroffen sein werden.“
Generalangriff auf den Artenschutz?
Die Umweltorganisation WWF Deutschland sieht in der Entscheidung dennoch einen „populistischen“ Generalangriff auf den europäischen Artenschutz: „Es ist absehbar, dass nach dem Wolf weiteren 'unbequeme´ Arten ihr Schutzstatus entzogen werden soll“, warnte der Verband.
„In der stark emotionalisierten Debatte wird bewusst nicht thematisiert, dass auch in der bestehenden Rechtslage der Abschuss von Wölfen, die ernste Schäden verursachen, angeordnet werden kann“, sagte Marie Neuwald, Wolfs- und Beweidungsreferentin des Naturschutzbunds. Es mangele jedoch am Vollzug vor Ort, was sich durch die Herabstufung nicht ändern werde. „Wer annimmt, dass durch den erleichterten Abschuss von Wölfen das Risiko von Rissen verschwindet, irrt. Auch wenige Wölfe können großen Schaden anrichten, wenn sie auf ungeschützte Herden treffen“, so Neuwald. Wichtig sei deshalb, Nutztiere etwa durch Zäune zu schützen.
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, erklärte dagegen: „Der Schutzstatus des Wolfes ist nicht mehr gerechtfertigt, die Probleme mit dem Wolf selbst nehmen in Deutschland und Europa dramatisch zu.“ Die Herabsetzung des Schutzstatus sei ein „erster wichtiger Schritt“. Danach müsse die EU auch die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie entsprechend ändern.
Leser*innenkommentare
Thomas2023
Frau Lemke hat hier nicht nur auf die Bauern reagiert. Die Mehrheit in der EU war schon vorher für diese Maßnahme.
Irgendwann kommt man halt an den Fakten nicht mehr vorbei. Bei den exponentiellen Wachstumsraten ist der Wolf schon lange nicht mehr als vom Aussterben bedroht einzustufen
Perkele
Sollten die GRÜNEN dem tatsächlich zustimmen, dann ist es ein weiterer Beleg dafür, dass man sich dem Druck des Ackers nur allzu leicht beugt. Das hätte man von Steffi Lemke nicht erwartet. Es wäre ein weiterer Beweis für wenig Standhaftigkeit. Es ist und bleibt eine Tatsache: MIT der Natur zu leben und nicht GEGEN die Natur - das ist das Motto - nicht Populismus.
Ramaz
@Perkele Ich muss immer wieder feststellen das manche Naturliebhaber nicht mitbekommen haben das wir heute nicht in der Natur leben, sondern die Natur einen Platz in unserer überindustrialisierten Welt eingenommen hat. Es gibt keinen Tagesmarsch zur nächsten Gemeinde durch einen dunklen Wald mehr. Die nächste Gemeinde ist gewöhnlich schon in Sichtweite, ohne Urwald dazwischen in denen sich die Natur selbst reguliert.
Landlüüt
Frau Neuwald vom NABU aus Berlin liegt falsch. Die Anzahl der genehmigten und umgesetzten Abschüsse in Deutschland wird in den letzten Jahren unter 10 liegen. In Niedersachsen fordern mittlerweile mindestens 12 Landkreise ein aktives Wolfsmanagement. Die Städte nicht, warum auch!
Das Konzept verbesserter Zäunung und des aktiven Herdenschutzes entwickelt sich zu einer mantraartig wiederholten populistischen Forderung. NABU Vertreter ausserhalb von Berlin beginnen zu akzeptieren, dass Wölfe lernfähige Tiere sind.
www.dorstenerzeitu...928151-4001331452/
Frau Neuwald vom NABU Berlin ist leider etwas hinter der Realität.
Günter Witte
Die Herabstufung des Standards bedeutet noch gar nichts, dadurch gibt es noch keinen Wolf weniger. Wölfe haben eine Reproduktionsrate von 33%. d.h. alle 3 Jahre verdoppelt sich ihr Bestand. Wollen wir wirklich so lange warten und tatenlos zusehen bis wir 10 / 20 tausend Wölfe haben ? Auch wenn es die meisten nicht war haben wollen : Der Wolf ist das größte bei uns lebende Raubtier !!
Axel Donning
@Günter Witte Haben Sie eigentlich schon einmal etwas von dem Begriff "ökologische Lebensraumkapazität" gehört? Diese verhindert für jede Art, dass sie unbegrenzt wächst. Beim Wolf ist z.B. die Reviergröße ein Faktor; natürlich sind die Reviere bei guter Nahrungsgrundlage kleiner, womit nun wieder die Bedeutung des Herdenschutzes klarer werden sollte.
Frau Sperling
Ich kann es nicht fassen, dass auch Frau Lemke eingeknickt ist wie schon ihre Kollegen vorher. Ausgerechnet die Grünen geben der Gesellschaft zu verstehen, dass Arten- und Naturschutz nicht sehr wichtig sind. Es wäre besser und möglich gewesen, mehr Herdenschutz zu kompensieren. Wie kann Frau Lemke behaupten, dass Weidetierhaltung für den Naturschutz wichtig ist, gleichzeitig aber den Artenschutz und intakte Ökosysteme, zu denen der Wolf in Mitteleuropa nun mal gehört, derart herabstufen? Die Grünen biedern sich der CDU auf das Widerlichste an. Es steht richtig schlecht um den Umweltschutz in Deutschland und Europa.
Axel Donning
@Frau Sperling Da kann ich nur zustimmen; entgegen jeder Vernunft wird der Arten- und Naturschutz immer weiter in den Hintergrund gedrückt. Die Grünen sind keine Anwälte des Naturschutzes (mehr).
Mustardman
@Frau Sperling So zynisch es klingen mag, aber Mitteleuropa ist schon lange kein intaktes Ökosystem mehr, noch nicht einmal ansatzweise. Das sind alles nur noch Kulturlandschaften und das wird auch so lange so bleiben, wie der Mensch in diesen Zahlen in Mitteleuropa lebt.
Für auch nur halbwegs intakte Ökosysteme müsste man vor allem den Menschen ganz massiv zurückdrängen und das fordert natürlich niemand.
Von daher ist diese Diskussion von allen Seiten her eigentlich völlig unehrlich bis makaber. In einem intakten Ökosystem wären Tiere wie Weidetiere oder auch Menschen eine natürliche Beute für Raubtiere aller Art. Sobald man hier überhaupt anfängt Unterschiede zu machen, verlässt man schon den Boden der "Natur"-Diskussion.
Axel Donning
@Mustardman "Natur" ist ein von Menschen erfundenes Konzept; unter dem Begriff versteht jeder etwas anderes. Dagegen ist ein Ökosystem auch durchaus eine vollkommen gestörte und überprägte Landschaft - z.B. unsere Industrie - Agrarlandschaft. So, nun muss man noch wissen, was ein Ökosystem Stabilität verleiht und es davor bewahrt, radikal den Zustand zu wechseln, was der "Natur" egal sein darf, dem Menschen, der auf stabile Verhältnisse angewiesen ist aber einen gewaltigen Tritt in den A.. bescheren dürfte.
Ricky-13
taz: „Wer annimmt, dass durch den erleichterten Abschuss von Wölfen das Risiko von Rissen verschwindet, irrt. Auch wenige Wölfe können großen Schaden anrichten, wenn sie auf ungeschützte Herden treffen“, so Neuwald. Wichtig sei deshalb, Nutztiere etwa durch Zäune zu schützen.
Richtig, denn die Bauern wissen doch, dass der Wolf seit Jahren wieder im Land ist, aber trotzdem lassen sie ihr Vieh weiterhin in Ställen - oder auf Weideland - die nicht nach allen Seiten gut gesichert sind. Das wäre ja so, als ob man morgens zur Arbeit geht, die Haustür auflässt und noch einen Zettel an die Tür hängt, mit dem Hinweis wo das Geld und der Goldschmuck im Haus ist. Vielleicht sollte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, darüber lieber mal nachdenken, anstatt wieder mal die 'einfachste Lösung' zu fordern: "Wölfe abknallen", denn das sagt er ja im Grunde mit seinem Satz ("Der Schutzstatus des Wolfes ist nicht mehr gerechtfertigt, die Probleme mit dem Wolf selbst nehmen in Deutschland und Europa dramatisch zu."). Was der Präsident des Deutschen Bauernverbandes da so einfach behauptet, ist aber wissenschaftlich gar nicht belegt.
Troll Eulenspiegel
Bei der FDP lamentiert Carina Konrad herum, Naturschutz brauche strenge Regeln.
Hervorragend.
Also: Die Entität "Natur" kann nur durch menschlichen Eingriff und menschengemachte Regeln überhaupt gedeihen. Bevor Homo sapiens sapiens die Erdgeschichte beigetreten ist, muss wohl viel falsch gelaufen sein.
Philippo1000
Peinlich, Peinlich!
Wir, als eines der reichsten Länder der Welt, sind nicht in der Lage eine einzige Raubtierart auszuhalten.
Hauptsache, wir reden afrikanischen Ländern ein,
dass Die eine Verantwortung für den Erhalt von "Großwild" haben.
Bei einer Umweltministerin der CDU/CSU hätte mich der Schritt nicht überrascht - aber bei den Grünen?
Peinlich, Peinlich!
Gerhard Krause
Der Wolf gehört zu Deutschland.