Wissenschaftlerinnen über Rassismus: „Erschreckende Stille“

In einem offenen Brief an die Staatsanwaltschaft fordern Wissenschaftler*innen Aufklärung über den Tod des Psychiatriepatienten Tonou-Mbobda.

Menschenansammlung mit einem Banner mit der Aufschrift "Justice For Mbobda".

Weiter so viele Fragen wie damals offen: Kundgebung vor dem UKE nach dem Tod Tonou-Mbobdas 2019 Foto: Bodo Marks/dpa

taz: Frau Gardi, Frau Runge, als Verfasserinnen eines offenes Briefes an die Staatsanwaltschaft Hamburg wehren Sie sich gegen die Einstellung des Verfahrens im Zusammenhang mit dem Tod von William Tonou-Mbobda. Warum?

Awista Gardi: Um das zu beantworten, müssen wir in die Geschichte von Krankenhäusern und Psychia­trien schauen. Deren Entstehung war eng verknüpft mit der Kontrolle von und Gewalt gegen Menschen, die als nicht in gesellschaftliche Normen passend markiert werden. Dazu gehören queere Menschen, aber auch Schwarze Menschen und Personen of Colour. Diskriminierung hat diese Gewalt immer wieder legitimiert und durchführbar gemacht.

Und der Tod von William Tonou-Mbobda ist ein weiteres Beispiel?

Gardi: William Tonou-Mbobda war ein Schwarzer Mann, der übertrieben gewaltvoll behandelt wurde. Sein Fall reiht sich in eine Systematik ein. Ein Verfahren wäre wichtig, um der Verantwortung, die Deutschland in Bezug auf diese Systematik hat, nachgehen zu können. Gleichzeitig wäre die juristische Aufklärung seiner Todesumstände unglaublich wichtig für die Hinterbliebenen. Aber auch die Öffentlichkeit braucht eine nachvollziehbare Aufklärung, insbesondere, wenn wir mit Öffentlichkeit auch Schwarze Menschen in Hamburg meinen.

Pauline Runge: Der Fall zeigt, dass Schwarze Menschen und Personen of Colour in Deutschland nicht sicher leben können und kein gerechtes juristisches Verfahren bekommen. Daraus ergibt sich eine gesellschaftliche Verantwortung, sich damit auseinander zu setzen. Und das nicht im Stillen, sondern so laut, dass es gehört wird.

Der 34-jährige William Tonou-Mbobda starb im April 2019 am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), nachdem der Sicherheitsdienst gegen ihn vorgegangen war.

Tonou-Mbobda, der in Hamburg BWL studierte, hatte sich zuvor freiwillig in psychiatrische Behandlung begeben.

Zeug*innen berichteten von sehr brutalem Vorgehen des Sicherheitsdienstes. Tonou-Mbobda wurde während des Übergriffs durch die Securities reanimationspflichtig, starb wenige Tage später.

Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen die behandelnde Ärztin sowie drei Security-Mitarbeiter wegen des Vorwurfs der Körperverletzung mit Todesfolge.

Im August wurden die Ermittlungen eingestellt. Die Mitarbeiter*innen hätten in Notwehr gehandelt, für den Tatvorwurf habe es nicht genug Beweise gegeben.

Die Anwältin der Mutter von Tonou-Mbobda hat Beschwerde gegen die Einstellung eingelegt. Das Beschwerdeverfahren läuft noch.

Und Sie und die vielen Unterzeichner*innen des Briefs aus Universitäten und Hochschulen wollen eine laute Stimme sein?

Runge: Zuerst einmal finden wir es erschreckend, dass der Fall nicht für einen zivilgesellschaftlichen Aufschrei gesorgt hat und diese Stille herrscht. Der Brief ist eine Reaktion auf die Forderung der Black Community Hamburg, dass sich auch Menschen aus der Zivilgesellschaft und aus Institutionen positionieren sollen. Und wir wollten uns nicht nur als Einzelpersonen aktiv zeigen, sondern auch in unserer Funktion als Mitarbeiterinnen im Hochschulkontext.

Warum?

Runge: Wir sehen es als Teil unserer Profession, also als Menschen in der Sozialen Arbeit, dass wir soziale Probleme verstehen und zu mehr sozialer Gerechtigkeit beitragen wollen. Und wenn es einen Vorfall gab, der so gewaltvoll war und auf ein soziales Problem wie den institutionellen Rassismus verweist, dann verstehen wir es als selbstverständlich, dass wir uns mit unserem Professions- und Ethikverständnis positionieren müssen. Gleichzeitig ist unsere Profession in der Geschichte daran beteiligt gewesen, Gewalt in der Wissenschaft zu legitimieren, auch deshalb positionieren wir uns.

Sie betonen in Ihrem offenen Brief die politische Bedeutung einer Anklage. Justiz sollte doch aber unpolitisch sein.

26, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Chief-Projekt der HAW Hamburg. Sie forscht zu kulturellen Identitäten und gesellschaftlichen Ungleichheiten.

Gardi: Wir sind uns der Relevanz der Gewaltenteilung in Deutschland bewusst. So meinen wir das jedoch nicht. Es geht uns nicht um die Strukturierung der Judikative, sondern um die Praxis der Anklageerhebung und der Rechtsprechung. Diese Praxen sind auch immer eine Deutung derjenigen, die das Recht sprechen. Recht ist also eine hermeneutische Praxis, eine Art interpretativen Vorgehens. Und wenn das Gerechtigkeitsgefühl der von Rassismus Betroffenen mit dieser Deutung immer wieder nicht im Einklang steht, dann kann man sich die Frage stellen, ob Rechtsprechung überhaupt unpolitisch ist.

Für Sie ist sie das also nicht?

28, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department Soziale Arbeit der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg. Sie forscht zu sozialen Exklusionsprozessen von jugendlichen und jungen Erwachsenen, zu Wohnungslosigkeit und Flucht.

Gardi: Wir müssen im Blick haben, dass wir Recht und Gerechtigkeit voneinander trennen müssen. Es gibt rechtliche Praxen, die nicht gerecht sind. Und wenn das der Fall ist, dann haben wir die Verantwortung, die rechtlichen Praxen zu hinterfragen und zu versuchen, sie mehr zu sozialer Gerechtigkeit hin zu verändern. Diese Frage wird auch immer wieder von Anwält*innen von Betroffenen von sexualisierter Gewalt aufgeworfen. Was wir aber sicher sagen können ist, dass das Verhalten der Justiz immer in einem politischen Kontext erfolgt. Und mit politisch meinen wir, dass Politik beschreibt, wie gesellschaftliches Leben strukturiert wird, nach welchen Normen wir leben wollen oder können.

Das heißt?

Gardi: Wenn wir sehen, dass juristisch immer wieder auf eine Art und Weise vorgegangen wird, nach der rassistische Morde entweder nicht einmal zur Anklage gebracht werden oder mit Freispruch oder niedrigen Urteilen enden, dann sagt das sehr viel darüber aus, wie gesellschaftlich mit Rassismus umgegangen wird.

Laut Staatsanwaltschaft gibt es in dem Fall keinen Hinweis auf einen rassistischen Hintergrund.

Gardi: Wenn wir davon ausgehen – und das tun wir als Wissenschaftlerinnen, die sich mit Rassismus auseinander setzen – dass Rassismus ein grundlegendes, strukturierendes Element dieser Gesellschaft ist und in jeder Interaktion und Handlung eine Rolle spielt, manchmal impliziter, manchmal expliziter, und wenn wir uns dann auch noch die Geschichte der Psychiatrien und die koloniale Geschichte Deutschlands anschauen, dann müssen wir davon ausgehen, dass Rassismus eine Rolle gespielt hat. Die Frage müsste also nicht sein, ob Rassismus eine Rolle gespielt hat, sondern inwiefern.

Die Ermittlungen wurden laut Staatsanwaltschaft unter anderem eingestellt, weil die Beschuldigten aus Notwehr gehandelt hätten. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Gardi: Insbesondere das Argument der Notwehr bei einem Schwarzen Mann, der eigentlich nach Hilfe gesucht hat in einer Institution, weist darauf hin, wie lebhaft rassistische Vorstellungen von gewaltvollen Schwarzen Männern sind. Wir erkennen sie immer noch daran, dass Schwarze Männer, sogar wenn sie sitzen, als gewalttätig markiert werden und eine Gewaltanwendung, die zum Tod führt, als Notwehr markiert wird. Allein dieses Argumentationsmuster weist auf sehr viel impliziten Rassismus hin.

Sie fordern, dass ein unabhängiger, von der Zivilgesellschaft getragener Ausschuss den Tod von William Tonou-Mbobda untersucht. Wie genau soll das aussehen?

Runge: Damit schließen wir uns der Forderung der Black Community Hamburg an. Die Frage, wie dieser Ausschuss aussehen kann, ist unbedingt mit der Black Community Hamburg und den Hinterbliebenen William Tonou-Mbobdas auszuhandeln. Wir wollen da keinen Ton angeben.

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