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Wirtschaftsabkommen EU–KanadaCeta bleibt falsch

Gastkommentar von Anne Bundschuh

In dieser Woche soll der Bundestag grünes Licht für Ceta geben. Gegen das EU-Kanada-Handelsabkommen gingen zu Recht Hunderttausende auf die Straße.

Demonstration gegen das Handelsabkommen Ceta im September in Berlin Foto: Wolfgang Kumm/dpa

S chon 2017 ist Ceta, das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, zu großen Teilen in Kraft getreten. Während die Große Koalition es jedoch nicht vollständig ratifizierte, geschieht dies nun ausgerechnet unter Federführung eines grünen Wirtschaftsministeriums. Und das, obwohl der Ceta-Investitionsschutz, der nun vollständig wirksam werden soll, Demokratie, Klima- und Umweltschutz gefährdet.

Zwar hatte die Bundesregierung ihre Zustimmung zur Ceta-Ratifizierung Ende Juni an die Verabschiedung einer sogenannten Interpretationserklärung geknüpft. Sie soll zwei der gefährlichsten Klauseln des Sonderklagerechtssystems begrenzen: den Schutz von Investoren vor „ungerechter Behandlung“ und vor „indirekter Enteignung“.

Der zwischen der EU und Kanada abgestimmte Text dieser Interpretationserklärung wurde allerdings bis heute nicht veröffentlicht. Auch der Text­entwurf, den die Bundesregierung gemeinsam mit der EU-Kommission im Rat vorlegte, gelangte Anfang September nur durch ein Leak an die Öffentlichkeit. Welche Änderungen die anderen EU-Mitgliedstaaten oder Kanada danach noch durchsetzten, ist völlig unklar.

Selbst die Bundestagsabgeordneten, die in wenigen Tagen über das Abkommen abstimmen sollen, kennen den Text noch nicht. Ein solches Ausmaß an Intransparenz und an selbst geschaffenem Zeitdruck sollte eigentlich schon genügen, um den Deal abzulehnen. Doch auch inhaltlich gibt es mehr als genug zu kritisieren. Be­für­wor­te­r*in­nen weisen gern darauf hin, dass sich der Ceta-Investitionsschutz von älteren Varianten der Sonderklagerechte unterscheide.

Stephanie von Becker
Anne Bundschuh

ist Referentin für Handels- und Investitionspolitik bei dem Umweltverein PowerShift e. V. Zuvor koordinierte sie das Netzwerk „Gerechter Welthandel“, das sich aus den Protesten gegen TTIP und Ceta gegründet hatte.

Weiter Sonderklagerechte für Konzerne

Und es stimmt, dass beispielsweise eine Berufungsinstanz eingeführt wurde und dass Schieds­rich­te­r*in­nen unter Ceta von den Vertragsstaaten berufen werden statt von den Streitparteien selbst. Aber: Am entscheidenden Mechanismus hat sich nichts geändert. Internationale Konzerne erhalten weiterhin Sonderrechte und können vor einem extra dafür eingerichteten Schiedsgericht hohe Entschädigungen von Staaten verlangen, deren politische Maßnahmen ihre Konzernprofite einschränken.

Nur beispielhaft sei hier auf die kürzlich entschiedene Schiedsgerichtsklage von Rockhopper gegen Italien verwiesen: Etwa 250 Millionen Euro wurden dem britischen Öl- und Gaskonzern zugesprochen, weil Italien eine Ölbohrinsel nicht genehmigt hatte. Ein Vielfaches der Summe, die der Konzern zuvor in das Projekt investiert hatte.

Nach Recherchen von Greenpeace würden mindestens 360 kanadische Unternehmen durch Ceta Sonderklagerechte gegen Deutschland bekommen – viele davon im Energiesektor. Darüber hinaus könnten auch US-amerikanische Konzerne über ihre kanadischen Tochtergesellschaften den Ceta-Investitionsschutz in Anspruch nehmen, wie auch der Öl- und Gasriese ExxonMobil, der im vergangenen Jahr in Deutschland einen Umsatz von 9,5 Milliarden Euro erzielte.

Die Frage bleibt: Warum sollten diese Investoren Zugang zu einer Sondergerichtsbarkeit bekommen, statt – wie alle anderen Akteure auch – vor ordentliche Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten und Kanada zu ziehen? Dass Konzerne Klagen gegen Klimaschutzmaßnahmen einreichen können, daran wird also die Interpretationserklärung nichts ändern: Die Schutzstandards „unfaire Behandlung“ und „direkte Enteignung“ werden nicht aus Ceta gestrichen, sondern lediglich etwas genauer „interpretiert“.

Ein großer Spielraum verbleibt somit bei den Schiedsgerichten. Im konkreten Fall werden die beispielsweise darüber entscheiden, ob ein Förderverbot für fossile Energien als angemessene Klimaschutzmaßnahme oder als „indirekte Enteignung“ eines Ölkonzerns zu werten ist. Das Ceta-Abkommen macht keinerlei Vorgaben, ob Schieds­rich­te­r*in­nen über umweltrechtliche Expertise verfügen müssen.

Dafür schreibt es Fachwissen in Völkerrecht sowie optional im Investitions- und Handelsrecht sowie der Streitbeilegung vor. In einem Gutachten haben die Juristinnen Alessandra Arcuri und Federica Violi von der Universität Rotterdam unter anderem darauf hingewiesen, dass diese Gruppe von Schieds­rich­te­r*in­nen in der Vergangenheit häufig Umweltrecht missachtete. Ob man in der Zukunft ausgerechnet ihnen die Entscheidung über die Angemessenheit von Klimamaßnahmen übertragen sollte, darf daher bezweifelt werden.

BIP der EU würde nur geringfügig steigen

Wenn die Abgeordneten in den kommenden Tagen also für die Ceta-Ratifizierung stimmen, stimmen sie damit auch für die Ausweitung eines Klagesystems, das massiv den staatlichen Handlungsspielraum unter anderem in Bezug auf den Klimaschutz und die Energiewende bedroht. Und das völlig ohne Notwendigkeit: Eine Modellierungsstudie im Auftrag der EU-Kommission ergab bereits 2017, dass das Bruttoinlandsprodukt der EU durch Ceta um gerade einmal 0,01 Prozent ansteigen würde.

Und selbst dieser Anstieg wäre vor allem auf Zollsenkungen und andere Inhalte zurückzuführen, die mittlerweile bereits seit Jahren angewendet werden. Es gibt also keinerlei Belege dafür, dass die noch bevorstehende vollständige Ratifizierung einen konkreten ökonomischen Nutzen für Deutschland hätte. Mit der Ceta-Ratifizierung zeigt die Bundesregierung letztendlich, dass sie lieber an völlig überholten Instrumenten aus dem letzten Jahrtausend festhält.

Progressive Wege in Richtung einer echten Transformation sehen anders aus. Ceta ist hierfür im Übrigen nur ein Beispiel. Auch die geplanten Handelsabkommen der EU mit Chile und Mexiko will die Ampelkoalition einschließlich der Sonderklagerechte für Konzerne ratifizieren, wenn ihnen Interpretationserklärungen beiseitegestellt werden. Für alle, die sich für eine gerechte Handelspolitik einsetzen, wird es daher nach der Abstimmung an diesem Donnerstag noch weitaus mehr zu tun geben.

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13 Kommentare

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  • Ich finde es gut wenn erschreckende Vertragsdetails nicht veröffentlicht werden. Das nennt sich gesunde transparente Demokratie. Wenn Handelsverträge nicht mehr veröffentlicht werden, Menschen ohne Gerichtsverfahren einsitzen, sind wir einen Schritt weiter....

  • Mündige VerbraucherInnen



    Es dürfte bekannt sein, dass Firmen wie amazon so gut wie keine Steuern zahlen.



    Ich gehe daher davon aus, dass die Menschen, die hier Kritik üben, diese und ähnliche Platformen nicht nutzen.



    Ebenfalls ist es bekannt ,dass, neben dem undemokratischen Agieren, Produkte in China (auch) in Zwangsarbeit gefertigt werden.



    Ich gehe ebenfalls davon aus, dass die KritikerInnen chinesische Produkte boykottieren.



    Vieles könnte man diesen Beispielen hinzufügen, der/die Endverbraucher ist auch vehement gegen Vorratsdatebspeicherung, agiert im Netz aber , nicht nur ohne doppelten Boden, sondern bodenlos naiv.



    Es dürfte klar sein, dass Länder wie Kanada energiepolitisch eine Chance darstellen.



    Mit Katar wünsche ich keine Zusammenarbeit.



    Wenn Katar allerdings eine Firma wie RWE übernimmt, ist das scheinbar uninteressant. Es handelt sich ja bloß um " kritische Infrastruktur".

  • Wir überlegen, das Strafrecht wegen den Aktionen der Letzten Generation zu verschärfen und Konzernen eine eigene Gerichtsbarkeit bzgl "entgangener Gewinne" einzurichten. - Perverser geht es kaum, mehr Unterwerfung kann nicht gefordert und nicht geleistet werden.

  • Ein trauriges Kapitel Geschichte. Am 10. Oktober 2015 gingen an die 250 000 Leute in Berlin gegen CETA u. TTIP auf die Straße, am 17.9.2016 (ich hoffe ich habe die Datümer richtig im Gedächtnis) waren es, verteilt auf 7 Demos, über 300 000.

    Am Montag danach, d. 19.9.16, hat dann Sigmar Gabriel dem SPD-Sonderkonvent erzählt, dass es besser ist, erst die einleitenden Schritte auf EU-Ebene zu unterzeichnen, damit das Ding in die Ratifizierung geht und dadurch(!) die Gelegenheit zur breiten Diskussion innerhalb der Parlamente und mit der Zivilgesellschaft entsteht. - So als wenn wir nicht schon heftig diskutiert hätten.

    Im Oktober 2016 wurde dann die Wallonie erpresst, zuzustimmen. Ende Oktober wurde der Vertrag unterzeichnet.

    Ab Herbst 2017 ist das meiste "vorläufig" in Kraft - und wahrscheinlich nie außer Kraft setzbar seitens der EU, weil die kaum die nötige Einigkeit zur Aussprache der Kündigung aufbrächte.

    Seit damals sind andere Themen in den Mittelpunkt gerückt, Klimawandel, Pandemie, Krieg, Preisentwicklung.

    Und nun geht es ganz easy. Im Hintergrund, fernab der öffentlichen Aufmerksamkeit, wird zugestimmt.

    Was ganz fehlt, ist das Bewusstsein, dass große Investitionen immer von öffentlichem Interesse sind und nicht in die Entscheidung von Privat-Unternehmen gehören. Da sind SPD und Grüne gleich blind (und die FDP sowieso anderer Ansicht).

    Und so geschieht wieder ein wesentlicher Schritt in der schleichenden Machtübernahme der Konzerne, wie es mal ein Bekannter formuliert hat.

    Ein trauriges Lehrstück von Politik.

  • Von John Brunner gibt es einen Science Fiction "Schafe blicken auf"



    Unter anderem werden massenhaft Leute verrückt, weil ein profitgieriger ein Gift so ent"sorgt" hat, dass es ins Trinkwasser gerät.



    Mir scheint, auch die Grünen sind nicht gegen dessen Auswirkungen gefeit.

  • "Selbst die Bundestagsabgeordneten, die in wenigen Tagen über das Abkommen abstimmen sollen, kennen den Text noch nicht."

    Wer kann das mit seinem Gewissen vereinbaren?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Wozu brauchen Politiker ein Gewissen? Das stört nur bei der Karriere.

      • @Jörg Schulz:

        Also alles ausnahmslos gewissenlose Karrieristen? Warum sollten solche Leute in die Politik gehen, wenn man mit solchen Eigenschaften in der Wirtschaft viel lukrativer unterwegs sein kann? Und warum wählen wir solche Typen immer wieder? Und welche Alternative schwebt ihnen vor?

  • Die Darstellung überzeugt nicht. Es braucht für jeden Vertrag eine Vereinbarung, welche Schiedsgerichte im Falle eines Disputs einzubeziehen sind. Das hat wenig mit der wirtschaftlichen Größe eines Unternehmens zu tun (Rockhopper ist z.B. ein kleines Unternehmen). Eine Vermischung von ECT und CETA ist auch nicht korrekt.

    • @alterego:

      "Es braucht für jeden Vertrag eine Vereinbarung, welche Schiedsgerichte im Falle eines Disputs einzubeziehen sind."

      Nein. Es gibt ordentliche Gerichte. Gesonderte Schiedsgerichte sind nicht nur unnötig, sondern sogar schädlich.

  • Das riecht ja geradezu nach lobbygesteuerter Willkürpolitik die nicht im Sinne von Bürgern, Demokratie, Gemeinwohl und Umwelt ist.

    • 0G
      06455 (Profil gelöscht)
      @Goldi:

      Kann Ihnen nur zustimmen.



      Völlig unerklärlich, dass dies in einer Regierung geschieht unter grüner Beteiligung.

      • @06455 (Profil gelöscht):

        Hartz4 ist auch unter Rot/Grün erfunden worden, ein System, dass sich CDU und CSU vorher nie getraut hätte einzuführen. Tabubrüche passieren scheinbar immer unter den progessiven Parteien (links will ich hie rnicht schreiben) verteidigt werden diese Dammbrüche dann hinterher von den sog. Christen im Parlament und zwar mit den abstrusesten Argumenten, siehe Hartz4...